Warum Plattformen die Kreislaufwirtschaft voranbringen

Die Nutzung digitaler Technologien (DT) zur Förderung zirkulärer Praktiken in allen Industriesektoren spielt eine Schlüsselrolle, um die Themen Nachhaltigkeit, Ressourcenverbrauch und Klimawandel zu adressieren und resiliente Systeme aufzubauen. In diesem Kontext sind digitale Plattformen ein wirksames Instrument, um Technologien zu vereinen und den Informationsfluss zwischen Akteuren in Wertschöpfungsketten zu verbessern. In einem ersten Artikel beleuchteten wir, welche Funktionen und Dienste Plattformen anbieten und wie diese Kreislaufstrategien unterstützen. In diesem Beitrag möchten aufzeigen, welche Gesetze in den vergangenen Jahren die Datenfreigabe von Akteuren entlang der Wertschöpfung förderten und welche wirtschaftlichen Potenziale sich bei der Etablierung zentraler Circular Economy Plattformen als Branchenlösung ergeben.

Insbesondere globale Branchen sind von einer «Take, Make, Dispose»-Mentalität, bisher eher bekannt als Prinzip der «linearen Wirtschaft», geprägt (Lacy & Rutqvist, 2015). Allein in der Schweiz fallen bis zu 90 Mio. t Abfall jährlich an – einer der höchsten Mengen an Siedlungsabfällen weltweit (Bundesamt für Umwelt, 2022). In diesem Kontext ist die Circular Economy (CE) ein probates Mittel, um den Ressourceneinsatz durch Reduktion der Stoffströme, Verlängerung der Produktlebensdauern und Rückführung von Ressourcen in Kreisläufe zu optimieren. Doch oft scheitert die Umsetzung dieser Prinzipien daran, dass sie wirtschaftlich nicht oder noch nicht tragbar sind, sei es aufgrund niedrigerer Preise für Primärrohstoffe relativ zu den Preisen (und Qualitäten) recycelter Materialien oder weil die Aufbereitung von Produkten für den Zweitmarkt einen hohen logistischen und technischen Aufwand darstellt. Allen wirtschaftlichen Anreizen in einem komplexen Ökosystem voraus gehen jedoch Gesetzgebungen, welche die Anwendung zirkulärer Praktiken in verschiedenen Industriesektoren, landesweit oder in Europa, nicht nur zu intensivieren versuchen, sondern diese auch verpflichtend ausgestalten.

Wandel zur Kreislaufwirtschaft durch neue Gesetze

Bereits 2015 verabschiedete die Europäische Union einen umfangreichen Aktionsplan um Herausforderungen auf dem Weg zu einer klimaneutralen, wettbewerbsfähigen CE zu bewältigen und die Belastung natürlicher Ressourcen, der Süßwasserbestände und der Ökosysteme auf ein Minimum zu reduzieren (European Commission – Circular Economy Action Plan, 2015). Der Aktionsplan steht im Einklang mit dem EU-2050-Klimaneutralitätsziel als Teil des European Green Deals. Ein erstes Massnahmenpaket, um diesen Wandel zu beschleunigen wurde 2020 erlassen, welches durch EU-weite Vorschriften die Förderung nachhaltiger Produkte, zum Beispiel durch Verbesserung des Verpackungsdesigns oder der verbindlichen Reduktion bei der Verwendung von Materialien bis 2030 unterstützt (European Parliament, 2021). In diesem Kontext spielt auch die Ökodesign-Richtlinie eine zentrale Rolle, welche die Erstellung digitaler Produktpässe anstrebt, um alle relevanten Informationen entlang des Produktlebenszyklus zu teilen (European Union, 2022). Der digitale Produktpass ist ein Beispiel, wie DT fundamental zum Wandel in einer CE beitragen können. Wichtige Wegbereiter in diesem Zusammenhang sind digitale Plattformen, die verschiedene Technologien und Stakeholder zusammenbringen.

Das Potenzial digitaler Plattformen

10 der von uns 24 untersuchten Plattformen wurden auf Basis neuer Regulationen innerhalb verschiedener Industriesektoren ins Leben gerufen. Die ältesten dieser Plattformen (International Information Dismantling System und International Material Information System) entstanden bereits Anfang 2000 als Antwort auf die Revision der End-of-Life Vehicle Directive. Durch die Gesetzesanpassung wurden Automobilhersteller zur Freigabe von Informationen verpflichtet, um die Wiederaufbereitung von Fahrzeugen nach der ersten Nutzung zu vereinfachen (IDIS | Discover IDIS, 2022). 2007 folgte die zentralisierte Web-Datenbank für Materialdeklarationen «BOMCheck», welche anhand der neuen REACH Verordnung durch einen Zusammenschluss von Erstausrüstern der Elektronik-Industrie gegründet wurde (Sphera BOMcheck, 2020). Ebenfalls basierend auf der REACH Verordnung wurde 2019 die «Scan4Chem»-App entwickelt, um Erzeugnis-Lieferanten auf Anfrage eines Verbrauchers bei der kostenlosen Bereitstellung von Informationen über besorgniserregende Substanzen zu unterstützen (Scan4Chem, 2022). Eine weitere Web-Applikation für die Elektronikindustrie ist die «Information-4-Recycler» Plattform, die aufgrund der Richtlinie über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (WEEE) Hersteller zur Organisation und Finanzierung der Rücknahme und Wiederaufbereitung ihrer Produkte verpflichtet. Die Plattform ermöglicht Abfallbetreiber*innen Zugang zu Informationen über verarbeitete Materialien in Produkten, die eine separate Behandlung benötigen (About – I4R Platform, 2022).

Was haben all diese Plattformen gemeinsam?

Wie eingangs beschrieben, bieten Plattformen die Möglichkeit verschiedene Akteur*innen auf einem unabhängigen Medium zu vereinen, wodurch ökonomische Potenziale entstehen: Zum einen ermöglichen CE-Plattformen innerhalb eines Industriesektors ein zentrales, neutrales und vertrauliches Datenmanagement. Unternehmen dieser Branche müssen keine eigenen kostenintensiven Lösungen erarbeiten, um den geltenden Gesetzen gerecht zu werden. Die Entwicklung, das Hosting und der Unterhalt werden meist von einer unabhängigen Instanz getragen und durch eine monatliche oder jährliche Mitgliedsgebühr der teilnehmenden Stakeholder finanziert. Dies führt zu geringeren Kosten für Unternehmen, die andernfalls ein aufwendiges Reporting erstellen müssten, um die Einhaltung der Vorschriften nachzuweisen. Zum anderen gewährleistet die Nutzung und die damit finanzielle Unterstützung möglichst vieler Akteure auf einer Plattform die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Plattform. Wir argumentieren, dass Plattformen, die auf Basis einer neuen Gesetzgebung entwickelt werden, ein tragfähiges Geschäftsmodell für Service Provider und Softwareentwickler darstellen und langfristig die Umsetzung von kreislauffähigen Prinzipien durch geeignetes Datenmanagement erleichtern.

Ausblick

Unsere Untersuchungen setzen den Startpunkt einer ausführlichen Studie, in der die bisherigen Erkenntnisse über den Einfluss von aufkommenden Gesetzgebungen auf die Entwicklung von CE-Plattformen in Realsystem durch Experteninterviews validiert werden sollen. Eine ähnliche Dynamik zwischen Realsystem, freiwilligen und gesetzlichen Standards hatte Groesser (2012) früh in der Energieeffizienz von Gebäuden analysiert. Ein weiterer Schwerpunkt der ausführlichen Studie wird die Eruierung und Implementierung von Methoden und Technologien zur Datenerhebung und Management sein. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Integration von digitalen Plattformen zur nachhaltigen Entwicklung bei allen Unternehmen einen essenziellen Beitrag leistet, nicht nur um die Ressourceneffizienz zu steigern und Kosten zu senken, sondern auch um den steigenden Anforderungen durch neue Gesetze gerecht zu werden.


Referenzen

  1. About – I4R Platform. (2022). https://i4r-platform.eu/about/
  2. Bundesamt für Umwelt. (2022). Abfall und Rohstoffe: Das Wichtigste in Kürze. https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/thema-abfall/abfall–das-wichtigste-in-kuerze.html
  3. European Commission—Circular Economy Action plan, (2015). https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52015DC0614
  4. European Parliament. (2021). https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20210128STO96607/wie-will-die-eu-bis-2050-eine-kreislaufwirtschaft-erreichen
  5. European Union. (2022). https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52022PC0142
  6. Groesser. (2012). Co-Evolution of Standards in Innovation Systems. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-7908-2858-0
  7. IDIS | Discover IDIS. (2022). https://www.idis2.com/discover.php
  8. Lacy & Rutqvist. (2015). Waste to wealth: The circular economy advantage (First published). Palgrave Macmillan.
  9. Scan4Chem. (2022). Scan4Chem. https://scan4chem.at/
  10. Sphera BOMcheck. (2020). Sphera BOMcheck. https://sphera.bomcheck.com
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AUTHOR: Ässia Boukhatmi

Ässia Boukhatmi ist Doktorandin im Bereich Digtal Technology Management und Circular Economy an der BFH und der TU Berlin. Sie hat einen Master-Abschluss in Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt auf Umweltressourcen und erneuerbare Energien.

AUTHOR: Stefan Grösser

Stefan Grösser ist Professor für strategisches Management und Business Analytics. und leitet die Abteilung Wirtschaftsingenieurwesen an der BFH Technik & Informatik. Er doziert im Master of Engineering (MSE) und arbeitet in mehreren Forschungsprojekten in den Bereichen Simulationsmethodik (System Dynamics, Agent-based Modelling), Entscheidungsfindung und Strategieinstrumente (Decision Making and Strategy Tools), Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) und Geschäftsmodelle (Business Models).

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