Warum Spaghetti essen Minuspunkte bringen kann

Von Umweltschutz über Verzollung bis Steuern – die chinesische Regierung überwacht auch Firmen. Was ausländische Investor*innen in den jeweiligen Provinzen alles beachten müssen, untersucht Forscher Omar Serrano vom Institut Marketing und Global Management der BFH Wirtschaft. Zusammen mit der Unternehmensberaterin Anna Kämpfer spricht er im Podcast über den Dschungel der lokalen Regulatorien und wie es Firmen vermeiden auf der schwarzen Liste zu landen.

Hier geht es zu einer Kurzfassung des Gesprächs und zum Podcast.

Omar, du hast in einer Studie untersucht, welche Auflagen ausländische Investor*innen in China erfüllen müssen. Was hast du dabei festgestellt?

Omar Serrano forscht und lehrt am Institut Marketing & Global Management.

Omar: Es geht um das Sozialkreditsystem, das auch Firmen betrifft. China entwickelt sein eigenes Regulierungsmodell. Weil es keine unabhängige Justiz gibt und die Partei eine sehr wichtige Rolle spielt, funktionieren traditionelle, also europäische oder amerikanische regulatorische Modelle nicht. Auf einer zentralen Datenbank werden die Regulatorien und allfällige Strafen im Umweltbereich oder Arbeitsrecht gespeichert. Das heisst, wenn ich einen Zulieferer aus China suche, kann ich nachschauen, ob dieser bereits Probleme gehabt hat. Zudem werden Unternehmen dann weiter geprüft, wenn es etwa schon mal Probleme mit der Umweltbehörde gab. Eine Firma kann so auf einer schwarzen Liste landen. Schwarze Liste bedeutet negativ, rote Liste, positiv. Hinzu kommen Verwaltungsstrafen. Wenn man viele davon hat, kann man auch auf der schwarzen Liste landen. Das heisst, als Schweizer Firma in China muss man regelmässig überprüfen, dass man keine Verwaltungsstrafen im System hat oder im schlimmsten Fall auf einer schwarzen Liste steht.

Anna, du hilfst Firmen durch diesen Dschungel von Auflagen. Welche Probleme haben die Firmen und wie kannst du ihnen dabei helfen?

Anna Kämpfer: Ich fokussiere mich auf den Bereich E-Commerce, Social Commerce und Influencer Marketing. Im Bereich Cross Border E-Commerce hat man den Vorteil, dass man nicht vor Ort eine Firma gründen muss, sondern die Waren direkt von der Schweiz exportieren kann. Dennoch muss man die Regularien erfüllen, wie Omar gesagt hat. China ist sehr komplex, da es zum einen viele Auflagen gibt und diese zum anderen sehr dynamisch sind: was gestern galt, ist übermorgen vielleicht schon anders. Zudem werden zum Teil Gesetze geschrieben, die nicht unbedingt durchgesetzt werden. Da braucht es in der Regel Leute, die sich up to date halten. Gerade im E-Commerce Cross Border ist es so, dass wenn man das Regulatorische kennt, dann sind die Probleme eher operativ. Das kann man dann aber eigentlich umgehen, wenn man eine gute Markt- und Potenzialanalyse macht. Dabei helfen wir den Firmen.

Welche Regularien sind das, Omar? Gibt es für E-Commerce weniger Regularien als für ausländische Firmen, die in China ansässig werden?

Omar: Wir haben gesehen, dass es enorme Unterschiede gibt. Je nach Provinz sind zum Beispiel Regulatorien stärker auf Umweltthemen konzentriert. Arbeitssicherheit ist auch etwas Typisches. Eine Firma in Peking etwa hatte zum Beispiel mal ein Problem mit Werbung. Sie haben Formulierungen wie «National» und «das Beste» benutzt. Das darf aber anscheinend nur die Partei, weshalb sie eine Verwaltungsstrafe bekommen haben. Natürlich werden auch politische Aspekte berücksichtigt. Shanghai fokussiert aber sehr stark auf Umweltfragen und Jiangsu auf Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Regularien sind regional sehr unterschiedlich, deshalb kommt es sehr darauf an, wo man produziert.

Anna Kämpfer berät Schweizer Firmen beim Eintritt in den chinesischen Markt.

Anna: Im Cross Border gibt es die E-Commerce Policy. Generell wird das Ausländische wegen der Dual Circulation Policy nicht sehr gerne gesehen.  Ausländer*innen und auch viele Expats haben das Land verlassen. Wobei im Cross Border E-Commerce die Positivliste von Gütern, die importiert werden dürfen, erweitert worden ist. Das deuten wir als Zeichen, dass die ausländischen Waren dennoch gerne gesehen sind. Im Cross Border E-Commerce gibt momentan mehr als 100 Special Economic Zones, damit sind die Bedingungen für eine bestimmte Warengruppe in der jeweiligen Region gut. Auch die Verzollung wird dank den Bonded Warehouses (Zollagern) erleichtert.

Aber nebst den Gesetzen geht generell darum, was man darf und was nicht. Man muss extrem aufpassen. Ich gebe ein Beispiel aus dem Influencer Marketing: Ich arbeite mit einem Influencer zusammen, der auf der chinesischen Plattform Douyin, dem Pendant zu Tiktok, eine halbe Million Follower hat. Er achtet stark darauf, was sagt oder lieber nicht, weil es oft gekoppelt ist mit den politischen Geschehnissen – ob und wie zensiert wird. Insbesondere Ausländer*innen mussten darauf achten zu der Zeit, als Nancy Pelosi Taiwan besuchte. Das war super heikel. Da hat es genügt, dass jemand in einem Video Spaghetti gegessen hat. Denn das wurde als Zeichen des Westens interpretiert und nicht goutiert.

Das klingt, als ob ein ausländisches Unternehmen viele Hürden überwinden muss und dann kommt noch die aktuelle politische Situation hinzu, die man nicht einplanen kann. Wie attraktiv ist es tatsächlich für Schweizer Firmen, in den chinesischen Markt einzutreten?

Omar: Es gibt drei grosse Märkte in der Welt: EU, USA und China. Und China ist heute in vielen Bereichen der wichtigste Markt, wie in der Chemie-, Auto- und Pharmaindustrie. Die Mittelschicht explodiert trotz den Wirtschaftsproblemen, die durch Corona ausgelöst wurden. Chinas Wirtschaft ist am schnellsten rausgekommen aus diesem ersten Tief und wächst um 3 Prozent. Das darf man nicht unterschätzen. Manchmal denkt man so von der Berichterstattung her, Chinas Boom sei vorbei. Und es ist auch kein einfacher Markt, in der Tat. China ist in der Wirtschaft generell sehr viel dynamischer als Europa, nicht nur auf der regulatorischen Ebene, sondern auch bei den Trends – es ist ein Markt im Turbo-Tempo. Für viele Firmen ist es der wichtigste Markt geworden. Deswegen muss man sich damit beschäftigen. Man kann das nicht ignorieren.

Anna, deckt sich das mit deiner Erfahrung?

Anna: Generell stimme ich Omar zu. Unternehmen müssen sich überlegen; ob sie das wirklich wollen. Es ist ein grosser Markt und ein sehr anspruchsvoller Markt. Man muss sich einfach bewusst sein, dass Zeit und Ressourcen in die Marktanalyse stecken muss, um zu entscheiden, ob man in den chinesischen Markt eintreten will. Früher gab es viele Firmen, die gedacht haben: «Ah super, da gibt es 700 Millionen Konsumenten, alle sind auf den Plattformen von Alibaba. Ich mache jetzt einen von Flagship Store und dann verkaufe ich sehr gut, selbst wenn ich nur 0.01% Marktanteil habe.» Das ist dann meistens nicht geglückt, weil man im Voraus sehr viel investieren muss, um überhaupt auf diesen Plattformen zu sein und gesehen zu werden. Heutzutage hat man das gelernt und man investiert mehr in die Analyse. Wichtig ist auch zu wissen, dass die chinesische Gen Z exklusiv in Social Media kauft und auf «by chinese» achtet. Das geht zurück auf die Welle des Guochao. Das ist eine nationale Welle, die von der Regierung angestossen wurde. Der Begriff beschreibt einen Trend insbesondere der chinesischen Gen Z, für chinesische Kultur, Traditionen und auch Marken. Seinen Ursprung hat Guochao in der Modeindustrie und hat sich in den letzten zwei Jahren zu einem wichtigen Marketing-Aspekt in allen Branchen entwickelt. Es ist vergleichbar mit Swissness und den Ritterspielen bei uns. Ich beobachte das Phänomen und staune, wie es das Konsumverhalten beeinflusst: Diese zweite Generation der Einzelkinder ist mit Social-Media-Tools aufgewachsen und sucht sich ihre Gesellschaft online. Sie spielen lieber Online-Games, haben virtuelle Haustiere oder sehen zusammen einen Film, den sie online kommentieren, statt physischen Kontakt mit ihren Peers zu haben. Allein über dieses Phänomen könnte man einen Podcast machen.

Omar: Man soll auch nicht vergessen, dass wir eine ziemlich gute Position haben, weil wir ein Freihandelsabkommen mit China haben. Das haben die meisten europäischen Länder nicht, nur Estland und Norwegen. Schweizer Firmen haben also einen Vorteil. Doch die Praxis ist oft anders: Wir haben mehrere Studien, auch zusammen mit der Universität St. Gallen gemacht und gesehen, dass Schweizer Firmen das Freihandelsabkommen nicht nutzen. Sie kennen es schlichtweg nicht. Umgekehrt kennen es die chinesischen Firmen sehr gut und nutzen es viel mehr. Insgesamt kann ich auch sagen, dass chinesische Firmen unsere Märkte viel besser kennen als umgekehrt. Dennoch ist es das drittwichtigste Exportland für die Schweizer Wirtschaft und ein weiter wachsender Markt.

Dies ist eine gekürzte Fassung, das ganze Gespräch hören Sie hier:

Alle Folgen von Let’s Talk Business finden Sie hier.


Links zum Thema 

  1. Studie über Technoregulierung in China
  2. Institut Marketing und Global Management der BFH Wirtschaft

Dieser Podcast wird produziert mit freundlicher Unterstützung von: Audioflair Bern und Podcastschmiede Winterthur.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Anne-Careen Stoltze

Anne-Careen Stoltze ist Redaktorin des Wissenschaftsmagazins SocietyByte und Host des Podcasts "Let's Talk Business". Sie arbeitet in der Kommunikation der BFH Wirtschaft, sie ist Journalistin und Geologin.

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1 Antwort
  1. Annett
    Annett sagte:

    Es ist in China sehr einfach, Firmen und Bürgern technologische Lösungen, wie z.B. das Sozialkredit-System, aufzuzwingen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Es ist viel schwieriger, Lösungen zu implementieren, die die Menschenrechte und insbes. die Privatsphäre der Menschen respektieren. Digitalisierung sollte den Menschen das Arbeiten und das tägliche Leben erleichtern und nicht primär zur Überwachung, Machterhaltung und Durchsetzen politischer Interessen dienen. In diesem Sinne ist China kein Beispiel für Digitalisierung, dem man nachstreben sollte.

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