Die Revolution im Polymerhandel: Wie digitale Innovation auch die Nachhaltigkeit beschleunigt
Mit Kunststoff und Recycling nachhaltig arbeiten, das ist das Ziel vom Berner Unternehmen Meraxis. Wie er den digitalen und den nachhaltigen Wandel zusammen anpackt, erläutert Michael Grysczyk, Head of Digital and Disruptive Business bei Meraxis. Im Interview spricht er über die Bedeutung digitaler Technologien für die Geschäftsstrategie und warum eine digitalisierte Polymer-Lieferkette ein wichtiger Treiber für Nachhaltigkeit ist.
Meraxis ist ein relativ junges Unternehmen, das im Jahr 2019 gegründet wurde. Ihr Kerngeschäft ist der Handel mit Polymeren, oder, laienhaft ausgedrückt, mit Rohkunststoff. Welche Rolle spielt die Digitalisierung für Meraxis?
Nun, hier gibt es viele verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Zunächst einmal muss ich darauf hinweisen, dass Meraxis ein B2B-Unternehmen ist, das mit Polymeren und polymerbasierten Produkten handelt. Im Gegensatz zur Digitalisierung der Verbraucher, die wir tagtäglich erleben, hinkt das B2B-Geschäft in Sachen Digitalisierung völlig hinterher. Hinzu kommt, dass die Polymerbranche eine recht konservative Branche ist, in der noch immer viel Papierkram anfällt. Wir leben immer noch in einer Welt von physischen Treffen, Telefonaten und unstrukturierten Ketten-E-Mails, insbesondere im Kontakt mit kleinen und mittleren Unternehmen. Außerdem gibt es in dieser Branche noch nicht viele digitale Vertriebsdienste, automatisierte Prozesse oder gar E-Commerce-Lösungen. Viele Dinge werden manuell erledigt, weil nur wenige Menschen die Dringlichkeit einer Veränderung erkennen. Als wir Meraxis gründeten, war sich unsere Geschäftsleitung dieser Tatsache sehr bewusst und positionierte das Unternehmen bewusst als Haupttreiber für die Digitalisierung und Nachhaltigkeit in dieser Branche.
Wie sieht das in der Praxis aus? Wie integrieren Sie die Digitalisierung in Ihr Unternehmen?
Wir haben uns entschieden, unsere digitalen Ambitionen aus zwei verschiedenen Perspektiven zu gestalten. Auf der einen Seite haben wir die Perspektive der operativen Exzellenz, die alle Aktivitäten zur Optimierung, Automatisierung und Einführung neuer Prozesse umfasst. Das Hauptziel dieses Teils ist es, die Effizienz mit meist inkrementellen Innovationen zu verbessern. Andererseits verfolgen wir auch die Perspektive der radikalen oder disruptiven Innovation, die im Fokus meines Teams und aller beteiligten Kollegen und Partner steht. Hier sehen wir die Digitalisierung als Chance, unser Unternehmen vom Wettbewerb zu differenzieren und unseren Kunden durch digitale Dienste einen Mehrwert zu bieten. Dazu gehört auch, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln und einzuführen.
Wie passen diese beiden Perspektiven zusammen? Was ist die Gesamtstrategie dahinter?
In der Realität sind diese beiden Elemente eng aufeinander abgestimmt. Zum Beispiel ist der disruptive Teil meist irgendwie mit dem laufenden Geschäft verbunden und muss daher mit den entsprechenden Abteilungen abgestimmt werden. Unser kürzlich eingeführtes Kundenportal ist direkt mit unserem ERP-System, unseren Logistiksystemen und so weiter verbunden. Es wird viel Aufwand betrieben, um zu planen und sicherzustellen, dass unsere digitalen Initiativen ein kohärentes Ganzes bilden.
Wie schaffen Sie das Gleichgewicht zwischen radikalen Innovationen und operativer Exzellenz, gibt es einen Priorisierungsprozess?
Glücklicherweise ist unser Management fest entschlossen, langfristig zu denken. Natürlich bringen Effizienzinitiativen schnellere Effekte, aber um langfristig wettbewerbsfähig zu sein, muss man sein Portfolio diversifizieren und auch radikalere oder bahnbrechende Innovationen fördern. Ein starkes Engagement des Managements ist in diesem Fall wirklich entscheidend. Wir folgen der weit verbreiteten Branchenregel, die eine Aufteilung von 70 %, 30 % und 10 % vorsieht, wenn es um die Priorisierung und Zuweisung von Ressourcen geht. 70 % sind die inkrementellen Maßnahmen, also die Verbesserung des Kerngeschäfts. 20 % dienen der Erweiterung des Kerngeschäfts, und 10 % sind disruptiv, d. h. die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die nicht direkt mit unserem derzeitigen Kerngeschäft verbunden sind.
Wir versuchen, dieses Problem frontal anzugehen, und digitale Technologien spielen eine wichtige Rolle in unseren Bemühungen, die Nachhaltigkeit des Polymerhandels insgesamt zu verbessern.
Meraxis hat sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Polymerindustrie digital zu verändern. Gibt es Wettbewerber mit ähnlichen Ambitionen?
Das ist ein wirklich wichtiger Punkt für uns. Deshalb haben wir zusammen mit unserem Management, Kolleg*innen und einigen externen Parteien so genannte «Alptraum-Wettbewerber-Workshops» durchgeführt. Die Idee war, Ideen zu entwickeln, wer ein*e Alptraum-Konkurrent*in sein könnte und wer unser Unternehmen überholen könnte. Und ja, es gibt bereits einige Start-ups und Plattformen, die von ausserhalb der Branche kommen. Gerade wenn ich an die Recyclingbranche denke, gibt es viel Bewegung. Recycling-Plattformen wollen die Rolle eines Handels- oder Vertriebsunternehmens übernehmen. Wir sehen das nicht so dringlich, weil ihre Zahl noch sehr gering ist und sie eher auf schnelles Geschäft als auf langfristige Beziehungen ausgerichtet sind. Und im B2B-Bereich funktionieren viele Dinge über langfristige Beziehungen. Nichtsdestotrotz behalten wir das Thema weiterhin im Auge und überlegen ständig, wie wir Meraxis positionieren können, um vorbereitet zu sein.
Können Sie uns einige konkrete digitale Initiativen nennen, an denen Sie arbeiten?
Wir wollten wirklich mit den größten Kundenproblemen beginnen. In unserer Branche gibt es, anders als in verbrauchernahen Branchen üblich, keine einfache Verfügbarkeit von Informationen. Es gibt viele Dokumente: die Lieferinformationen, die gesamte Nachverfolgung, die Marktinformationen, die Vertragsinformationen. Das ist alles verstreut und nicht sofort verfügbar, wenn man es braucht. Deshalb haben wir letztes Jahr ein Kundenportal entwickelt, in dem alle Informationen an einem Ort zu finden sind. Das war ein guter Ausgangspunkt, denn der Schmerz war am größten, und es ermöglichte uns, eine Art Basis für künftige digitale Projekte zu schaffen, da wir nun alle Daten bereit und zugänglich haben. Und in diesem Jahr haben wir das Portal zu einer E-Commerce-Lösung erweitert. Unsere bestehenden Kund*innen können nun im Online-Portal ihre Bestellungen aufgeben, die Lieferungen planen, ihre Bestellungen bestätigen oder Änderungen an ihren Daten vornehmen. Sie können auch über das Portal verhandeln, wenn sie möchten.
Das klingt recht ambitioniert. Wie reagieren Ihre Kund*innen auf Ihre Digitalisierungsbemühungen?
Auf jeden Fall, manchmal müssen wir hart arbeiten, um sie zu überzeugen, etwas Neues auszuprobieren. Wenn Käufer*innen eines Unternehmens daran gewöhnt sind, es auf eine bestimmte Art und Weise zu tun und unser Geschäft seit 20 Jahren auf dieselbe Weise abgewickelt wird, ist es nicht so einfach, sie dazu zu bringen, ein neues digitales Tool auszuprobieren. Es kommt also weniger auf das Unternehmen an, sondern mehr auf die Menschen, die dort arbeiten. Aber gleichzeitig sehen wir eine neue Generation von Einkäufer*innen heranwachsen, die bereit sind, etwas Neues zu tun. Bei diesen Firmen ergreifen wir die Gelegenheit und treiben den Wandel voran, während wir gleichzeitig versuchen, die anderen von den Vorteilen unserer digitalen Werkzeuge zu überzeugen.
Was sind einige zukünftige digitale Initiativen für Meraxis?
Wir planen bereits die nächsten Schritte, d.h. den rein digitalen Vertrieb in neuen Märkten. Im Moment läuft der Verkauf noch hauptsächlich über Anrufe, Meetings, E-Mails usw., aber nicht über eine digitale Plattform oder ein Tool. Wir versuchen, dies für neue Märkte einzuführen, in denen wir heute wenig oder gar nicht tätig sind. Wir haben also nichts zu verlieren, wir können nur gewinnen und lernen. In einem anderen Projekt wollen wir die Materialempfehlungen für unsere Kund*innen auf der Grundlage von Datenanalysen und Empfehlungssystemen optimieren. Also ja, es laufen derzeit viele spannende digitale Projekte.
Wir stehen mit dem Klimawandel und der verstärkten Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeit vor einer globalen Herausforderung. Wie gehen Sie bei Meraxis mit einem solch herausfordernden Umfeld um?
Wir versuchen, dieses Problem frontal anzugehen, und digitale Technologien spielen eine wichtige Rolle in unseren Bemühungen, die Nachhaltigkeit des Polymerhandels insgesamt zu verbessern. Eine Möglichkeit, wie wir mit diesem Thema umgehen, ist, dass wir versuchen, ein One-Stop-Shop für die Branche zu sein. In unserer Branche gibt es traditionell die großen Kunststoffhersteller und viele kleine Recyclingunternehmen, so dass man entweder hier oder dort kaufen kann. Wir wollen diese beiden Ströme kombinieren, so dass wir eine Vielzahl von Kunststoffen über denselben Kanal anbieten können. Was die Digitalisierung betrifft, so wollen wir den richtigen Materialmix anbieten, der auf den Bedürfnissen und Anwendungen der Kunden basiert. Denn derzeit ist es oft nur ein Versuch-und-Irrtum-Prozess. Polymerverarbeiter versuchen, die richtigen Materialalternativen zu finden, sie bestellen einige Muster bei vielen verschiedenen Unternehmen und probieren sie dann im Grunde aus. Das hat damit zu tun, dass die Qualität von Rezyklaten sehr unbeständig ist und es keine wirkliche Standardqualität gibt.
Wie können Sie dieses Problem mit Hilfe digitaler Technologien lösen?
Durch unsere Position im Liefernetzwerk haben wir eine gute Chance, die Qualität verschiedener Lieferanten und Partner zu kontrollieren und all diese Daten in einer Datenbank zusammenzuführen. Auf dieser Grundlage können wir dann dem Kunden helfen, den richtigen Materialmix auszuwählen, die Qualität seiner Produkte zu verbessern und einen stabileren Materialfluss zu erreichen. Das ist auch für die Zulieferer gut, denn es führt zu regelmässigen und planbaren Geschäften. Wir gehen davon aus, dass die Anforderungen an recyceltes Material bald Teil der Industrievorschriften sein werden, daher arbeiten wir hart daran, auf diese Entwicklung bestens vorbereitet zu sein. Es geht vor allem darum, die Daten in der gesamten Lieferkette zu nutzen.
Seit diesem Jahr ist Meraxis Teil unseres Partnernetzwerks. Was ist der nächste Trend, den wir als Hochschule auf dem Radar haben sollten?
Wir sehen, dass die Kombination bzw. die Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Wachstumsthemen im Moment ist. Das spiegelt auch das höchste Bedürfnis der Gesellschaft wider. Wie kann die Digitalisierung also Unternehmen wie Meraxis helfen, zirkulärer und nachhaltiger zu werden? Das ist für uns ganz klar die Priorität Nummer eins. Zweitens würde ich sagen, dass die Digitalisierung von B2B-Firmen und -Branchen noch in den Kinderschuhen steckt und in naher Zukunft noch viel Arbeit vor sich hat. B2B-Firmen sind bei Studierenden vielleicht noch nicht so bekannt, aber sie können auch ermutigt werden, bei diesen Hidden Champions Karriere zu machen. Deshalb freuen wir uns, an akademisch-industriellen Kooperationen wie dem IDTM-Partnernetzwerk teilzunehmen, um gemeinsame Projekte zu lancieren, Erfahrungen auszutauschen und vielleicht einige zukünftige Meraxis-Mitarbeiter unter Ihren talentierten Studenten zu finden.
Zur Person
Michael Grysczyk ist Head of Digital and Disruptive Business bei Meraxis. Der gebürtige Deutsche studierte Technik und Management an der Technischen Universität München und sammelte erste Erfahrungen in der Automobilindustrie. Vor seiner jetzigen Tätigkeit war er Vorstandsassistent bei Rehau, einem Tier-1-Zulieferer der Automobilindustrie und Schwesterunternehmen von Meraxis, und Projektleiter im Bereich digitale Innovation.
Partnerschaft
Seit September 2022 ist Meraxis Praxispartnerin des Instituts Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Die Meraxis AG ist ein globaler Kunststoff-Distributor und mit über zwei Milliarden Euro Umsatz eines der weltweit führenden Handelsunternehmen für Kunststoffe. Das Unternehmen wurde im Jahr 2019 gegründet, hat seinen Sitz in Muri bei Bern.
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