Mit Experimenten die Demokratie 2.0 erforschen

Von Fuzzy Voting bis Liquid Feedback – wie viel Wandel braucht die Demokratie? Das Projekt «Demokratie Labor Basel» von der BFH Wirtschaft und Smart Regio Basel untersucht die Herausforderungen der politischen Partizipation und, wie man die demokratischen Strukturen und Prozesse in der Schweiz modernisieren kann. Die Forscher*innen haben einige Vorschläge – ein Einblick in das neu gestartete Projekt.

Bei internationalen Demokratie-Ratings ist die Schweiz regelmässig auf Spitzenplätzen zu finden. So belegt sie beispielsweise beim Demokratie-Barometer, das die Qualität von Demokratien misst, den ersten Platz, verfügt mit grossem Abstand über die am stärksten ausgebaute direkte Demokratie und weist von allen OECD-Ländern das höchste Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung auf. Dabei gehen jedoch gerne bekannte Probleme und neue Herausforderungen vergessen: eine notorisch tiefe Stimmbeteiligung, abnehmendes Vertrauen während der Corona-Krise, offensichtliche Mühe mit der Digitalisierung, fehlendes Miliz-Personal speziell in kleineren Gemeinden und als Evergreen die fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten für Ausländer*innen, selbst wenn sie bestens integriert sind. Auch für die Schweizer Demokratie gilt: Es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Beteiligungsrechte allein kein Garant für politische Gleichheit

Die gut ausgebauten demokratischen Institutionen übertünchen insbesondere, dass die Existenz formeller Instrumente noch keine Gleichheit in Bezug auf die Beteiligung, Interessenvertretung und Politikgestaltung garantiert. Im Gegenteil, die tiefe Beteiligung (sowohl bei Wahlen als auch an der Urne und am deutlichsten an Gemeindeversammlungen) bildet eine erste Quelle der Ungleichheit. Denn politische Anliegen finden nur Gehör, wenn sie tatsächlich vorgebracht werden. Umgekehrt kann eine geringe Beteiligung dazu führen, dass einzelne Interessen – gemessen an ihrer realen Bedeutung – ein zu grosses Gewicht erhalten. Die bekannten Demokratiedefizite, welche sowohl die repräsentative Demokratie (also Parlamente und gewählte Regierungen) als auch die direkte Demokratie (Volksabstimmungen und Gemeindeversammlungen) betreffen, können am Ende dazu führen, dass formal demokratisch gefällte Entscheide nicht den Wünschen der Bevölkerung entsprechen.

An diesem Punkt setzt das neue Projekt «Demokratie Labor Basel» an. Mitfinanziert von der Stiftung Mercator Schweiz und gemeinsam durchgeführt von Smart Regio Basel und der BFH Wirtschaft, wird im Kanton Basel-Stadt ein experimenteller Rahmen geschaffen, um eine Reihe von Ansätzen zu Demokratiereformen gemeinsam mit den Bürger:innen vor Ort zu testen und zu evaluieren. Wichtig ist dabei zu betonen, dass es sich um ein wissenschaftliches Projekt handelt; wir führen keine Neuerungen definitiv ein, sondern klären lediglich ab, ob ein Bedarf nach den vorgeschlagenen Reformen besteht, ob die Neuerungen verstanden und akzeptiert werden, wie sie in der Praxis gehandhabt werden und welche Auswirkungen auf die Demokratie und die politischen Entscheidungen zu erwarten wären.

Stimmberechtigte qualitativ stärker beteiligen

Zu diesem Zweck wird aus dem kantonalen Einwohnerregister eine Zufallsstichprobe (Schweizer*innen sowie niedergelassene Ausländer*innen ab 16 Jahren) gezogen. Die ausgewählten Personen werden schriftlich eingeladen, sich freiwillig und flexibel für die Teilnahme an den verschiedenen Teilprojekten des «Demokratie Labor Basel» anzumelden. Selbstverständlich hoffen wir auf ein reges Interesse und entsprechend viele Rückmeldungen. Da das Gesamtprojekt über einen längeren Zeitraum bis Ende 2024 läuft, ist vorgesehen, dass in regelmässigen Abständen nachgefasst bzw. die Stichprobe erneuert wird.

Konkret verfolgt das «Demokratie Labor Basel» eine ganze Reihe von Projekten, die sich auf die folgenden vier Module verteilen (vgl. Abbildung):

  1. Neue Wahl- und Abstimmungsformen
  2. Neue Instrumente der Deliberation und Information vor Abstimmungen
  3. Neue Formen der Bürgerbeteiligung und Partizipation
  4. Neue Instrumente zur Erhöhung der Responsivität

Abbildung: Teilprojekte des «Demokratie Labor Basel»

Der Fokus des «Demokratie Labor Basel» liegt somit auf dem experimentellen Einsatz und der Evaluation von Reformideen, welche vor allem die Inklusion gesellschaftlicher Anliegen und die Responsivität der Politik auf die geäusserten Anliegen verbessern sollen. Somit tragen diese Neuerungen im Idealfall dazu bei, die eingangs beschriebenen politischen Ungleichheiten etwas auszugleichen.

Die wissenschaftliche Herangehensweise ist jedoch grundsätzlich ergebnisoffen. Die Ergebnisse der einzelnen Projekte werden weisen, welche Reformideen tatsächlich den gewünschten Mehrwert mit sich bringen.


Über das «Demokratie Labor Basel»

Mehr Informationen über das Labor finden Sie hierDas Projektteam wird in einer Beitragsserie laufend über die Projekte und die daraus gewonnenen Erkenntnisse berichten.


Literatur

  1. Zur Schweizer Demokratie und aktuelle Herausforderungen: Linder, Wolf und Sean Mueller (2017). Schweizerische Demokratie: Institutionen–Prozesse—Perspektiven (4. Auflage). Bern: Haupt Verlag.
  2. Zu den Defiziten heutiger Demokratien im Allgemeinen: Schäfer, Armin und Michael Zürn (2021). Die demokratische Regression: die politischen Ursachen des autoritären Populismus. Berlin: Suhrkamp.
  3. Artikel zum Projektauftakt auf bzbasel.ch
  4. Zu demokratischen Reformansätzen: OECD (2020). Innovative Citizen Participation and New Democratic Institutions: Catching the Deliberative Wave. 
Creative Commons Licence

AUTHOR: Daniel Schwarz

Daniel Schwarz ist promovierter Politikwissenschaftler am Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) der Uni Bern und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Public Sector Transformation der BFH Wirtschaft. Er gehört zum Gründerteam der Online-Wahlhilfe "smartvote" und ist Präsident des Trägervereins "Politools".

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