Wie wir die Bedingungen für Gründerinnen in der Schweiz verbessern können

In der Schweiz gründen Frauen seltener ein innovatives Unternehmen als Männer. Woran das liegt haben Forscher*innen der BFH Wirtschaft in ihrer Studie untersucht. So werden unter anderem unternehmerische Fähigkeiten auf den verschiedenen Bildungsstufen nicht ausreichend vermittelt und weibliche Rollenmodelle fehlen häufig. Auch soziale Normen und geschlechtsspezifische Vorurteile behindern die Firmengründung. Die Forscher*innen haben zudem fünf Bereiche mit hohem Verbesserungspotenzial ermittelt.

Die Gründungsrate von Frauen liegt weit hinter derjenigen von Männern zurück: Gemäss dem aktuellen Global Entrepreneurship Monitor Schweiz beträgt sie 7,2 % bei Frauen und 12,3 % bei Männern (Baldegger, Gaudart & Wild, 2022). Noch grösser sind die Unterschiede bei Gründungen von Unternehmen, die sich an Innovation und Wachstum orientieren. So wurden beispielsweise nur knapp 7 % der im Schweizer Start-up-Radar aufgeführten Finanzierungsrunden von frauengeführten Unternehmen durchgeführt (Kyora & Rockinger, 2020).

Warum also unterscheiden sich die Gründungsraten in einem innovativen Land wie der Schweiz so stark zwischen den Geschlechtern? Und wie kann man die Situation verbessern? Die Autor*innen haben in einer umfassenden empirischen Studie die Rahmenbedingungen für Unternehmerinnen untersucht und fünf Bereiche mit hohem Verbesserungspotenzial ermittelt.

1. Stärkung des Unternehmertums in der Ausbildung

Der Wunsch, ein Unternehmen zu gründen, und das Vertrauen in die eigenen unternehmerischen Fähigkeiten können bei Mädchen und Frauen durch entsprechende Angebote in Schulen und Hochschulen geweckt und gestärkt werden. Die derzeitige Entrepreneurship-Ausbildung reicht nicht aus – weder auf der Primar-, Sekundar- noch auf der postsekundären Ebene. In den Schulen sollten Schüler*innen die Möglichkeit haben, sich in einem geschützten Rahmen unternehmerisch auszuprobieren. Es kann eine Spielwiese geschaffen werden, auf der sie – mit entsprechender Unterstützung – erfahren können, was es bedeutet, an ihren eigenen Ideen zu arbeiten. Durch die Arbeit an eigenen Projekten und Ideen erfahren Schüler*innen Selbstwirksamkeit. Gleichzeitig sollte im Unterricht darauf geachtet werden, dass nicht nur männliche Gründer, sondern auch weibliche als Vorbilder gezeigt werden. Und schliesslich sollte das Thema unternehmerisches Denken und Handeln auf der tertiären Stufe in allen Studiengängen einen Platz haben; nicht nur in der Betriebswirtschaftslehre. Unternehmerische Kompetenzen sind Zukunftskompetenzen.

2. Frauen in der mittleren Lebensphase zur Unternehmensgründung befähigen

Finanzierungsmöglichkeiten konzentrieren sich oft auf jüngere Menschen, wodurch Frauen in der mittleren Lebensphase benachteiligt werden. Frauen zögern jedoch oft, in jungen Jahren und während der Familienphase ein Unternehmen zu gründen. Das liegt zum Teil daran, dass für viele Frauen in dieser Lebensphase die finanzielle Absicherung wichtig ist. Aber auch die Gründung eines Unternehmens in der mittleren Lebensphase bringt Herausforderungen mit sich: Der Zugang zu Technologie ist zum Beispiel schwieriger, wenn die Verbindungen zu den Universitäten nicht mehr bestehen. Vieles kann getan werden, um Frauen in der mittleren Lebensphase die Gründung von Unternehmen zu erleichtern: Zum Beispiel könnten Förderorganisationen ihre Reichweite auf Frauen und Männer unterschiedlichen Alters ausdehnen, und es sollten Netzwerke für Frauen aufgebaut werden, die in der mittleren Lebensphase Unternehmerinnen werden wollen. Wenn akademische Gründerinnen in späteren Lebensphasen wieder an die unternehmerischen Ökosysteme der Universitäten anknüpften, erhielten sie (wieder) Zugang zu universitätsnahen Finanzierungsinstrumenten. Zudem können sie dazu beitragen, altersdiverse Teams zu bilden.

3. Anerkennung der Heterogenität der unternehmerischen Bestrebungen

In den Medien werden häufig wachstumsorientierte und zeitintensive Start-ups hervorgehoben, die von männlichen Unternehmern gegründet wurden. Gleichzeitig werden Gründerinnen in den Medien oft als «Powerfrauen» dargestellt, so dass «normale» Frauen sich nicht mit ihnen identifizieren können. Diese Darstellung entspricht jedoch weder der Realität, noch spiegelt sie die bestehende Heterogenität von Gründerinnen wider. Diese einseitige Darstellung kann insbesondere auf Frauen, die häufig wirkungsorientierte Gründungsvorhaben verwirklichen und sich in mehreren Rollen zwischen Familie, Beruf und/oder eventueller Gründung bewegen, abschreckend wirken. Um das Unternehmertum für Frauen attraktiver zu machen, sollte stärker in den Vordergrund gerückt werden, wie vielfältig die Möglichkeiten einer Unternehmensgründung sind. So könnten in den Medien beispielsweise folgende Punkte stärker gewichtet werden:

  • Startups, die auf Impact setzen oder einen lokalen Fokus haben,
  • Gründerinnen, die als Vorbilder dienen und mit denen sich ein grosser Teil der Frauen identifizieren kann, und
  • Organisationsformen, die es ermöglichen, mehrere Rollen gleichzeitig zu erfüllen, wie etwa Jobsharing.

 4. Verknüpfung von «sozial» und «technologisch»

Das verstärkte Aufkommen von «sozialem Unternehmertum» steht auch für ein breites Wertesystem, das dem vieler Frauen entspricht. Es ist daher anzunehmen, dass eine stärkere Betonung von wirkungsorientierten Unternehmen dazu beitragen kann, mehr Frauen für das Unternehmertum zu gewinnen. Dies könnte in mehreren Bereichen erfolgen:

  • in der Medienberichterstattung,
  • in Bildungsprogrammen für Existenzgründer*innen oder auch
  • bei der finanziellen Unterstützung von Initiativen.

Ein stärkerer Fokus auf wirkungsorientierte Start-ups in der Bildung könnte dazu beitragen, mehr Frauen für MINT-Fächer zu gewinnen, da Technologien natürlich auch genutzt werden können, um einen sozialen Wert zu schaffen und sozialunternehmerische Ideen zu verbreiten. Wenn mehr Mädchen und junge Frauen bereits in der Früherziehung für MINT-Fächer begeistert werden könnten, könnte sich dies auch auf die Ausrichtung ihrer Gründungsvorhaben auswirken.

5. Abbau von geschlechtsspezifischen Vorurteilen und traditionellen Normen

Das traditionelle Rollenverständnis, in dem vor allem Mütter die Betreuungsarbeit leisten, die damit verbundene Sozialisation und Stereotypisierung sowie die unzureichende Betreuungsunterstützung haben dazu geführt, dass Frauen seltener ein Unternehmen gründen wollen. Obwohl sich Normen eher langfristig als kurzfristig ändern lassen, können einige Massnahmen die implizite geschlechtsspezifische Voreingenommenheit ansprechen und so einen selbstverstärkenden Effekt auslösen, der langfristig mehr Frauen zur Gründung ermutigt. So können Auswahlkommissionen von Förder- und Investitionsprogrammen, die ausgewogen mit Frauen und Männern besetzt werden oder geschlechtsneutrale Vergabeverfahren die Zahl der Gründerinnen erhöhen. Diese wiederum könnten als Vorbilder für andere Frauen und potenzielle Gründerinnen dienen. Dies würde dann zu einer Veränderung der kulturellen Wahrnehmung führen, in der Gründerinnen als «normal» angesehen werden. Alternative Finanzierungsformen, wie beispielsweise Crowdfunding, können ebenfalls die Geschlechterkluft verringern.

Aber braucht es tatsächlich mehr Gründerinnen?

Ja, die braucht es. Die Autor*innen nennen vier Gründe weshalb gründungsrelevante Rahmenbedingungen für Frauen verbessert werden sollten, um so die Quote an Gründerinnen zu erhöhen:

  1. Mehr Vielfalt bei jungen Unternehmen: Das Unternehmertum könnte vielfältiger werden, wenn mehr Frauen daran beteiligt wären. Es gäbe vielleicht mehr Alternativen zu den stark wachstumsorientierten und monetär motivierten Gründungsvorhaben, die oft ein hohes zeitliches Engagement erfordern, das sich kaum mit einer Familie vereinbaren lässt. Zu dieser Vielfalt gehören unterschiedliche strategische Ziele, wie lokale Wirkung und Nachhaltigkeit und flexible Organisationsmodelle, die Gründungen zeitlich überschaubar machen.
  1. Mehr Produkte, die auf die Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet sind: Es ist auch davon auszugehen, dass Frauen stärker darauf achten, dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten werden müssen, wie es beispielsweise bei medizinischen Produkten der Fall sein kann. Gründerinnen könnten also mit dazu beitragen, dass Innovationen die Bedürfnisse vielfältiger Kundengruppen berücksichtigen.
  1. Demografischer Wandel, Arbeitsmarktbeteiligung und Fachkräftemangel: Die Bevölkerung der Schweiz altert rapide und die Geburtenraten sinken; wir werden mit einem echten Mangel an qualifizierten Arbeitskräften konfrontiert sein. Unsere Wirtschaft kann daher nicht ohne den Input von qualifizierten Frauen auskommen, der wirtschaftliche Verlust wäre enorm.
  1. Wandel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft: Viele Gründerinnen wollen mit der Gründung eines Unternehmens einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Die Erhöhung des Anteils von Gründerinnen könnte daher eine wichtige Rolle bei der Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit spielen.

Referenzen

  1. Baldegger, R., Gaudart, R., Wild, P. (2022). Global Entrepreneurship Monitor (GEM) Switzerland. Fribourg: HEG-FR (HES-SO).
  2. Kyora, S. & Rockinger, M. (2020). Swiss Startup Radar 2020/2021: Volkswirtschaftliche Bedeutung, Investorenlandschaft, internationaler Vergleich. Luzern: JNB Journalistenbüro GmbH.

Über das Projekt

Das Projekt wurde in Kooperation mit dem Global Entrepreneurship Monitor-Team Schweiz der Hochschule für Wirtschaft Freiburg (HSW-FR) durchgeführt.

Kommunikationspartner ist der FE+MALE Think Tank. FE+MALE ist eine gemeinnützige Denkfabrik, die Wege für die Gesellschaft zur Förderung von Unternehmensgründungen durch Frauen sucht.

Die ganze Studie finden Sie hier: 220519_RZ01_Women_Enterpreneurship_Report.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Nadine Hietschold

Dr. Nadine Hietschold ist Post-Doktorandin im Tenure-Track-Verfahren am Institut Innovation & Strategic Entrepreneurship der BFH Wirtschaft. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich Affordable und Social Innovation sowie im Bereich Konsument*innenwiderstand gegen Innovationen.

AUTHOR: Susan Müller

Prof. Dr. Susan Müller ist Forschungsprofessorin am Institut Innovation & Strategic Entrepreneurship der BFH Wirtschaft. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Aktivitäten von Gründer*innen, Intrepreneurship Education und Social Innovation. Im Jahr 2018 hat sie gemeinsam mit Vertreter*innen aus Berufsfachschulen,
Hochschulen und der Wirtschaft die Initiative «Unternehmerisches
Denken und Handeln an Berufsfachschulen der Schweiz» (UDH) lanciert.

AUTHOR: Jan Keim

Jan Keim ist Doktorand am Institut Innovation & Strategic Entrepreneurship
der BFH Wirtschaft und externer Doktorand am Institut Technologie- & Innovationsmanagement der RWTH Aachen. Er schreibt seine Dissertation zum Thema Schattenseiten von Unternehmertum und Innovation. Dabei erforscht er insbesondere Präventivmassnahmen und Bewältigungsstrategien. Er war selbst einige Jahre als Gründer aktiv.

AUTHOR: Ingrid Kissling-Näf

Prof. Dr. Ingrid Kissling-Näf ist Direktorin des Departements Wirtschaft der Berner Fachhochschule. Als Ressourcenökonomin engagiert sie sich für nachhaltige Entwicklung, Social Innovation und nachhaltiges Unternehmertum. Sie ist Co-Leiterin des Instituts Sustainable Business und Präsidentin der Nachhaltigkeitskommission der BFH. Sie ist zudem als Stadträtin in Bern und UNICEF-Delegierte aktiv.

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