Datenkolonialismus und die Rolle des öffentlichen Sektors 

Daten sind nicht nur das Öl im digitalen Zeitalter, sondern auch ein Gut, das unrechtlich beschafft werden kann oder das missbräuchlich verwendet werden kann. Auf dem Gebiet Datensouveränität  ist Prof. Dr. Ulises Mejîas von der State University of New York, College at Oswego eine Koryphäe. Im Mai haben wir die Ehre ihn am Departement Wirtschaft der Berner Fachhochschule (BFH) zu begrüssen. Wir sprachen mit ihm über seinen Besuch in der Schweiz und seine Keynote an der TRANSFORM 2022 zum Thema Datenkolonialismus.

Sie sind Professor an der State University of New York. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der BFH Wirtschaft? 

Mein Co-Autor Nick Couldry und ich wurden letztes Jahr von Matthias Stürmer an eine virtuelle Konferenz eingeladen, welche zu vielen interessanten Gesprächen und Diskussionen führte. Dieser Besuch ist eine Fortsetzung dieser produktiven Zusammenarbeit.

Sie werden in diesem Monat nach Bern und an die BFH Wirtschaft kommen. Was sind Ihre Pläne für diesen Besuch? 

Ich komme im Rahmen des «Fulbright Specialist Program» in die Schweiz (mein erster Besuch!), welches Expert*innen mit Spezialkenntnissen mit Gastinstitutionen zusammenbringt, die ihr Wissen auf diesem Gebiet erweitern möchten. Während meiner zwei Wochen hier werde ich eine Keynote auf der TRANSFORM-2022-Konferenz sowie einen Vortrag für die Öffentlichkeit halten,  mich mit der Presse austauschen, Workshops mit Student*innen durchführen und an anderen Aktivitäten teilnehmen.

Welche Erwartungen knüpfen Sie an diesen Besuch? 

Ich glaube, dass dies eine einmalige Gelegenheit sein wird, mit der BFH interdisziplinäre Dialoge und darüber hinaus zu schaffen. Ich denke, die Schweiz ist ein sehr interessanter Ort, um meine Arbeit zu diskutieren, da das Thema «Datensouveränität» in den politischen Debatten hier an Bedeutung gewinnt. Ich hoffe, dass unsere Gespräche dazu beitragen können, ein kritisches, gerechtes und inklusives Verständnis für die Untersuchung des anhaltenden Social Data Mining und einiger seiner negativen sozialen Auswirkungen zu entwickeln. 

In Ihrer Keynote an der TRANSFORM 2022 werden Sie über Datenkolonialismus sprechen. Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie den Teilnehmer*innen vermitteln wollen? 

Der erste Teil meines Vortrags wird auf der Arbeit basieren, die Nick Couldry und ich in unserem Buch The Costs of Connection: How Data Colonizes Human Life and Appropriates it for Capitalism (erschienen bei Stanford University Press, derzeit in chinesischer, italienischer, spanischer und türkischer Übersetzung) vorstellen. Wir argumentieren, dass die Rolle der Daten in der Gesellschaft nicht nur als eine Entwicklung des Kapitalismus, sondern als der Beginn einer neuen Phase in der Geschichte der Menschheit verstanden werden muss, die in ihrer Bedeutung mit dem Aufkommen des historischen Kolonialismus konkurriert. Dieser neue «Datenkolonialismus» basiert nicht auf der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen oder Arbeitskräften, sondern auf der Aneignung menschlichen Lebens durch Daten.  

Im zweiten Teil werde ich mich auf die Rolle des öffentlichen Sektors im Zusammenhang mit der aufkommenden Diskussion über Datensouveränität konzentrieren. Ich werde über die Chancen und Herausforderungen sprechen, die sich ergeben, wenn wir uns mit Datenextraktivismus auseinandersetzen. Während aus den Kämpfen um die Dekolonisierung in der Vergangenheit Lehren gezogen werden können, werde ich am Schluss meiner Keynote aufzeigen, was es bedeuten könnte, diese Lehren in anderen Kontexten anzuwenden. 


Zur Person

Ulises Ali Mejías ist ausserordentlicher Professor für Kommunikationswissenschaften und Direktor des Institute for Global Engagement an der State University of New York, College at Oswego. Er ist Medienwissenschaftler und beschäftigt sich mit kritischen Internetstudien, Netzwerktheorie und -wissenschaft, Technologiephilosophie und -soziologie sowie der politischen Ökonomie der digitalen Medien. Er ist der Autor von Off the Network: Disrupting the Digital World (University of Minnesota Press, 2013) und verschiedenen Artikeln, darunter «Disinformation and the Media: The case of Russia and Ukraine» in Media, Culture and Society (2017, mit N. Vokuev), und «Liberation Technology and the Arab Spring: From Utopia to Atopia and Beyond» in Fibreculture (2012). Er ist der leitende Forscher des Projekts Algorithm Observatory.


Events

1. TRANSFORM 2022 – Shape the State 31. Mai

Der Ruf nach «Datensouveränität» und «digitaler Souveränität» ist in Europa bereits auf der politischen Agenda angelangt, in der Schweiz nimmt das Thema erst an Fahrt auf. Welche Bestrebungen gibt es in Staat und Wirtschaft, der Abhängigkeit der Tech-Giganten zu entkommen? Wie sollen beispielsweise Public-Cloud-Dienste angeboten werden? Neben den bereits festgelegten strategischen Ausrichtungen einer souveränen Digitalpolitik aus der Sicht der Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung und Wirtschaft werden im zweiten Teil der Tagung konkrete Beispiele souveräner Anwendungen von Gemeinden, Kantonen und Bund präsentiert. Das Institut Public Sector Transformation möchte die Transformation des digitalen Raums hin zu mehr Souveränität mit Expert*innen diskutieren.

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2. Mediengespräch am 24. Mai, 10:15 Uhr im Staatslabor, Bern

Wenn Sie daran teilnehmen möchten, melden Sie sich bitte per E-Mail bei Annique Lombard an.  

Creative Commons Licence

AUTHOR: Jasmine Streich

Jasmine Streich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Public Sector Transformation des Departements Wirtschaft der Berner Fachhochschule. In ihrer Forschungstätigkeit beschäftigt sie sich mit digitaler Barrierefreiheit und der Transformation des öffentlichen Sektors.

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