Über die Potenziale und Hürden der Schweizer Kreislaufwirtschaft

Obwohl die Schweiz theoretisch alle Möglichkeiten für eine nachhaltigere und ökologische Produktion hätte, wird diese noch nicht umgesetzt. Woran dies liegt, hat das Institut Sustainable Business der BFH Wirtschaft zusammen mit der EPB Schweiz AG im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) untersucht.

Die ganz grossen Umweltpotenziale – welche rund 2/3 der gesamten Treibhausgasemissionen verursachen – beschränken sich in der Schweiz auf wenige Bereiche. Dies sind die Ernährung inklusive der landwirtschaftlichen Produktion, der Bereich Bauen und Wohnen sowie die Mobilität. In diesen Bereichen gilt es anzusetzen, wenn wir unsere Umweltprobleme in den Griff bekommen wollen. Handlungsbedarf besteht aber nicht nur produktionsseitig. Neben umfassenden Verbesserungen in den Wirtschaftsbranchen sind gerade auch massgebende Änderungen im Konsumverhalten (Menge und Art des Konsums) in unserer Gesellschaft eine Voraussetzung, um den mit unserem Leben in Verbindung stehende Umweltfussabdruck auf ein planetenverträgliches Mass herunterzubringen. Dabei sind alle drei grundsätzlichen Ansätze «Effizienz», «Konsistenz» und ein «gesundes Mass an Suffizienz» unter Berücksichtigung von indirekten Wirkungen (bis hin zu Rebound-Effekten) zu kombinieren. Gefragt ist also eine fundamentale Transformation vom heutigen linearen Wirtschaftssystem, welches zu grossen Teilen auf kostengünstigem Rohstoff- und Energieverbrauch und anschliessender Entsorgung beruht, in ein zukunftsfähiges, ressourcenschonendes System.

Knackpunkt ist die Kostenwahrheit

Die Erschliessung der Umweltpotenziale ist allerdings meist nicht ganz einfach. Denn einer Realisierung der umrissenen Verbesserungspotenziale stehen meist nicht einzelne Hürden, sondern vielschichte Hürdenkonstellationen in den bestehenden Markt- bzw. Regimestrukturen im Weg. Wobei aber natürlich auch nicht alle Hürden gleichbedeutend sind. Die wohl grösste Hürde liegt in der unzureichenden Kostenwahrheit bzw. Internalisierung externer Effekte, wodurch aktuell ökonomische Anreize für die Umsetzung von nachhaltigen Lösungen und Technologien für Marktakteure, aber auch für die Konsumenten weitgehend fehlen. Regulatorische Hürden spielen auch eine wichtige Rolle. Allerdings steht da weniger der Abbau von Überregulierungen im Fokus. Vielmehr geht es um die Korrektur von Fehlanreizen, Beschränkungen aufgrund einer vorgenommenen Güterabwägung, der unzureichende Vollzug bestehender Vorgaben und die für Marktakteure ungenügende Rechts- und Planungssicherheit. Oft wird die breite Anwendung von vielversprechenden Technologien durch organisatorische und prozess-bezogene Restriktionen und schliesslich wieder durch fehlende ökonomische Anreizstrukturen verhindert. Teilweise bestehen auch technologische Hürden, da solche vielversprechenden Technologien bisher noch nicht entwickelt wurden. Weiter relevant sind fehlendes anwendungsorientiertes Wissen zur Umsetzung von nachhaltigen Lösungen und die fehlende Sensibilisierung der Bevölkerung.

Von «Pflästerli-Politik zu umfassender Transformation

Aufgrund dieser vielfälligen Hürden ist ein gesamtsystemischer Ansatz, mit Steuerung auf unterschiedlichsten Ebenen und an diversen Ansatzpunkten erforderlich. Nur so ist eine ausreichend wirksame und schnelle Veränderung unserer aktuellen Wirtschafts- und Konsummuster möglich. Eine isolierte «Pflästerli-Politik» kann und wird diesem Anspruch nicht gerecht werden. Vielmehr verlangt dies einen gesamtheitlichen Ansatz, in dem unterschiedliche Politikbereiche (z.B. Ressourcen-, Energie-, Klima-, Landwirtschafts-, Wald-, Wirtschafts-, Forschungs- und Innovations- sowie Bildungspolitik) über viele, verschiedene Anwendungsfälle hinweg in aufeinander abgestimmter Form und konsequent auf die Erreichung der ambitionierten Nachhaltigkeitsziele hinwirken. Um gesellschaftlich tragfähigen Lösungen zu entwickeln, sollten dabei am besten Schlüsselakteure aus dem gesamten Stakeholder-Spektrum (z.B. Zulieferer, Produzenten, Konsumenten, Finanzsystem, Politik, Nicht-Regierungsorganisationen) in die Lösungsfindung einbezogen und umfassende Mittel für die grundlegenden Umstellungen bereitgestellt werden. Das umfassend definierte Konzept der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) erscheint in diesem Zusammenhang als geeignetes Leitparadigma, an dem sich die anstehende Nachhaltigkeitstransformation orientieren kann.

Schweiz hat beste Voraussetzungen für Pionierrolle

Die Herausforderungen sind vielfältig und erfordern ganzheitliche Ansätze, die lieber gestern als heute umgesetzt worden wären. Doch wenn wir es als Schweiz nicht schaffen, wer soll dies denn sonst tun? Mit unserer Innovations- und Kaufkraft haben wir beste Voraussetzungen, um bei dieser Transformation eine Vorreiterrolle einzunehmen und auch wirtschaftlich von dem so erarbeiteten Wissens- und Praxisvorsprung zu profitieren. Die intensiven Exporttätigkeiten würden zudem zu einer Skalierung der Effekte im Ausland führen, und so einen über die Schweiz hinausgehenden Beitrag zur weltweiten Nachhaltigkeit schaffen. Bisher nimmt die Schweiz bei der Transformation noch keine Vorreiterrolle ein. Patentanmeldungen sind ein verlässlicher Indikator, um die Entwicklung neuer Technologien vorauszusagen. Weltweit erhobene Zahlen für neu eingereichte Patente der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen, dass die Schweiz zwar relativ viele grüne Patente einreicht, der Anteil grüner Patente bezogen auf die generelle Innovationskraft aber verglichen mit anderen OECD Ländern unterdurchschnittlich ausfällt (OECD 2022).

Alle Akteur*innen involvieren

Gefragt ist deshalb ein längerfristiges Umdenken aller involvierten Akteuren*innen: Politiker*innen, Unternehmer*innen, Konsumenten*innen, Finanzsystem und auch die Zivilgesellschaft müssen gemeinsam am Transformationsprozess arbeiten. Denn eines ist klar: wenn wir unsere global gesteckten Umweltziele auch nur einigermassen erreichen wollen, werden wir die Art und Weise wie wir wirtschaften in den nächsten Jahren massiv anpassen müssen. Wenn wir auch in und nach dieser Phase als Schweiz unsere Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten wollen, sollten wir lieber mit einem gewissen Wissensvorsprung in diese Phase starten – bzw. den aktuell bestehenden Rückstand zumindest in Grenzen halten. Nachhaltiges und zirkuläres Business ist das Gebot der Stunde.


Die ganze Studie finden Sie hier.


Referenz

OECD (2022). OECD Green Growth Indicators (database).

Creative Commons Licence

AUTHOR: Jan Frecè

Prof. Dr. Jan T. Frecè forscht am Institut Sustainable Business der BFH Wirtschaft insbesondere zu den Themen unternehmerische Nachhaltigkeit, Unternehmenswerte und Nachhaltigkeit im digitalen Raum.

AUTHOR: Ingrid Kissling-Näf

Prof. Dr. Ingrid Kissling-Näf ist Direktorin des Departements Wirtschaft der Berner Fachhochschule. Als Ressourcenökonomin engagiert sie sich für nachhaltige Entwicklung, Social Innovation und nachhaltiges Unternehmertum. Sie ist Co-Leiterin des Instituts Sustainable Business und Präsidentin der Nachhaltigkeitskommission der BFH. Sie ist zudem als Stadträtin in Bern und UNICEF-Delegierte aktiv.

AUTHOR: Andy Spörri

Dr. Andy Spörri ist Teamleiter Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft bei EBP Schweiz AG.

AUTHOR: Tobias Stucki

Prof. Dr. Tobias Stucki ist Co-Leiter des Institut Sustainable Business. Er forscht zu nachhaltiger Entwicklung und Kreislaufwirtschaft.

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