Wie Digital Natives, Millenials und Gen-Z die IT-Branche heute gestalten – 60 Jahre Digitalisierung, Teil 4

Menschen sind im modernen Zeitalter der wichtigste Faktor, schreiben Chuck und Ken. Das Vater-Sohn-Gespann von IT-Experten schildert im 4. und letzten Teil ihrer Miniserie wie Digital Natives, Millennials und Generation Z die IT-Branche heute gestalten. Sie werfen einen unterhaltsamen Blick auf ihre sechs Jahrzehnte in der IT und zeigen, was die moderne Generation aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen kann.

Unsere Geschichten begannen im finsteren Zeitalter der Tabellier- und Buchhaltungsmaschinen der frühen 1960er Jahre und erzählten, wie die ersten Computer-«Mainframes» digitale Transformationen auf der Grundlage von Technologie ermöglichten: die Umwandlung verfügbarer Geschäftsdaten in verwertbare Informationen. Als in den 1970er Jahren das Mooresche Gesetz in Kraft trat, konzentrierte sich die digitale Transformation auf die Umgestaltung der Geschäftsprozesse. Das Zeitalter der Händler brachte Minicomputer mit hochgradig angepassten, «schlüsselfertigen» Anwendungen hervor, und die zunehmende Verbreitung dieser Anwendungen (z. B. MRP und ERP) führte zusammen mit den Fortschritten bei der Hardware zum Zeitalter der Commodity. Diese Erzählungen über die Entwicklung der digitalen Macht im Laufe der Generationen sind sehr nützlich, um besser zu verstehen, wo wir heute stehen.

Unser modernes Zeitalter bietet Technologiesprünge (Geschwindigkeit und Kapazität) mit einer erheblichen Verbesserung der Zugänglichkeit (nicht nur Rich-Client oder Browser oder Mobilgeräte, sondern auch Erschwinglichkeit) für digital versierte Nutzer, die in der Lage sind, diese leicht zu übernehmen. Der Begriff «as a Service» (Infrastructure-as-a-Service, Software-as-a-Service usw.) lässt sich in gewisser Weise besser mit unserem früheren Begriff «schlüsselfertig» beschreiben: Der Nutzer erwartet leistungsstarke, nützliche Funktionen, die sofort einsatzbereit sind, und möchte sich nicht um die Details im Inneren der Box kümmern, geschweige denn um das Hosting und die Wartung der Box.

Offshoring, bevor die Erde flach war

Die Markteinführungszeit war schon immer ein wichtiger Faktor für die digitale Transformation. Dies galt umso mehr im Zeitalter der Händler, als kleine Mini-Computerhändler die gleichen guten Ideen hatten wie die IBM’s, aber nicht über die Ressourcen verfügten, um schnell zu handeln. Es gab eine Lösung, und wir erzählen diese Geschichte jetzt. Wenn es noch andere Geschichten wie diese gibt, könnte dies ein Hauptgrund dafür sein, warum das Silicon Valley so schnell so international wurde.

Der Druck lastete jetzt auf mir. Es war das Zeitalter der Händler, ich war für die Entwicklung einer neuen ERP-Lösung für ein kleines Computerunternehmen zuständig, und wir wussten, dass IBM an demselben Produkt arbeitete. Der Markt war klein, und wir wussten: Wer zuerst da war, würde den Markt komplett beherrschen. Ich musste schnell handeln – aber das war vor über 40 Jahren, und talentierte freiberufliche Auftragnehmer waren rar gesät. Dann kam Indien. Ich hatte Verbindungen zu einem Ingenieurbüro in Mumbai, und sie überzeugten uns, dass ihre Programmierer unser System erlernen und unser Produkt in Rekordzeit auf den Markt bringen könnten. In Anbetracht des Drucks und der Tatsache, dass es keine anderen Möglichkeiten gab, war die Entscheidung leicht zu treffen.

Aber das war in den späten 1970er Jahren, und die Welt war noch nicht flach. Fernarbeit über den Pazifik war keine Option – also flogen wir stattdessen ein großes Team indischer Kollegen ins Silicon Valley. Sie lernten unser System in Rekordzeit und brachten den Code so schnell heraus, dass wir mit dem Testen kaum hinterherkamen. Ein paar Monate vergingen, und wir hielten die Lieferfrist unseres CEO ein und schlugen die Konkurrenz. Ich hoffe gerne – aber ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen -, dass dies eine Win-Win-Situation für alle war: Wir waren schneller als die Konkurrenz auf dem Markt, und ein Team hochtalentierter indischer Programmierer*innen bekam die wunderbare Chance, das Leben im Silicon Valley der 1970er Jahre kennenzulernen. Ich frage mich oft, ob einige von ihnen – oder ihre Kinder – eines Tages zurückgekehrt sind. (Chuck Ritley)

Offshoring, nachdem die Erde flach war

Im Zeitalter des Händlers wendeten sich einige der ersten Projekte zur digitalen Transformation aus Mangel an inländischen Ressourcen an den internationalen Markt. In der frühen Neuzeit war es kein Problem mehr, Arbeitskräfte zu finden, also war die Motivation eine andere.

Mein Vater suchte international nach einer Lösung für seine Implementierungsherausforderungen; ich tat dies, um unsere Verkaufsherausforderungen zu lösen. Ich arbeitete in Deutschland als Softwareberater für einen grossen globalen IT-Dienstleister, und in den frühen 2000er Jahren explodierte der Markt für freiberufliche und kleine Boutiquen für IT-Dienstleistungen. Unser grosses, monolithisches Unternehmen aus der Zeit der Dinosaurier konnte weder preislich noch von der Geschwindigkeit her mit ihnen konkurrieren – sie waren kostengünstig und schnell. Ganz zufällig entdeckte ich beim Surfen in unserem Intranet (selbst eine kaum ein paar Jahre alte Erfindung), dass unser Unternehmen ein Team von Softwareentwicklern in Bangalore hatte. Die Erde war nun flach, das globale Internet funktionierte gut genug, und so lagerte ich mit Erlaubnis meines Managers ein kleines Testprojekt dorthin aus: In nur wenigen Wochen hatte ich super Ergebnisse, super Qualität, und es kostete mich weniger als 10 % der Arbeitskosten vor Ort. Ich war süchtig. Leider waren andere in meinem Unternehmen nicht so begeistert wie ich.

Ich war ein Kind des Silicon Valley, das jahrzehntelang das internationale Mekka war, zu dem Europa erst seit kurzem geworden ist. Zu dieser Zeit war die Skepsis der Europäer gegenüber Offshore noch gross – und das vielleicht zu Recht, denn die Phase des «Beweises, dass es funktioniert» hatten die Europäer noch nicht hinter sich. Aber mit der Hilfe und Unterstützung einer kleinen Handvoll vorausschauender Kollegen zog ich nach Bangalore um und arbeitete Seite an Seite mit meinen indischen Kolleg*innen, um ein Projekt nach dem anderen zu gewinnen. Dank ihres Talents konnten wir unser winziges Offshore-Entwicklungsteam langsam zu einer grossen Softwareentwicklungsorganisation ausbauen. Ich bin ziemlich stolz auf die komplexen Softwareprojekte, die wir von Indien nach Deutschland verlagert haben, insbesondere angesichts der sprachlichen Herausforderungen.

In unserem Fall ging es bei der geschäftlichen Motivation nicht um Arbeitsarbitrage oder Gewinnmaximierung durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen – statt zu schrumpfen, wuchs in vielen Fällen unsere Onshore-Mitarbeiterzahl. Es ging nur um «Bieten und Gewinnen». Dank unserer neuen Softwareentwicklungskapazitäten in Bangalore bedeuteten neue Projekte mehr Umsatz in Deutschland. Übrigens, 15 Jahre später gibt es in Deutschland fast 150.000 Einwanderer aus Indien. Ich wage zu behaupten, dass sich das Silicon Valley und Deutschland gar nicht mehr so sehr unterscheiden. (Ken Ritley)

Das Qualifikationspendel schwingt zurück

Heute klassifizieren wir Wissensarbeiter*innen oft nach ihrem so genannten Qualifikationsprofil, ob es nun T-förmig oder I-förmig ist. Eine Person mit T-Profil verfügt über tiefgreifende Fähigkeiten in einem Bereich, die durch ein breites Spektrum an unterstützenden Fähigkeiten ergänzt werden; eine Person mit I-Profil verfügt über sehr tiefgreifende Fähigkeiten in nur einem Bereich.

Wie wir gesehen haben, erlebte das eiserne Zeitalter den Aufstieg der Programmierer*innen/Analytiker*innen, die mit der Programmierung eines Grossrechners ebenso vertraut sind wie mit der Erfassung der Geschäftsanforderungen und dem Entwurf des gesamten IT-Systems; mit anderen Worten: ein klassisches T-Profil. Das Zeitalter der Händler*innen und das Zeitalter der Massenware brachten IT-Expert*innen hervor, die sich eher auf die Branche als auf das Unternehmen konzentrierten . Und das bedeutete in zunehmendem Masse den Aufstieg von I-förmigen Spezialist*innen: den Requirements Engineer*innen, den Business Analyst*innen, den Entwickler*innen und – auch wenn sich bis heute kaum jemand darüber einig ist, was dieser Begriff bedeutet – den Architekt*innen. Für viele IT-Teams schwingt das Pendel heute zurück.

Ich hatte nie ein grösseres Privileg, so viele talentierte IT-Kolleg*innen zu haben, die an so vielen coolen IT-Projekten arbeiteten, als in meiner Zeit bei einer nationalen Bahngesellschaft: Meine kleine Welt war ein riesiges IT-Team mit über 150 Top-Ingenieur*innen, die es dem ganzen Land ermöglichten, mit der Bahn zu reisen. Die meisten von ihnen sind immer noch dort – wahrscheinlich, weil man, wenn man einmal süchtig ist, nie wieder weg will. Aber ich glaube, nur wenige von uns konnten sich vorstellen, wie jemals ein Zugticket verkauft wurde: Wir waren eine Ansammlung von Mikrospezialitäten, die in starren Silos organisiert waren. Da war zunächst die Trennung zwischen Business und IT – zwei Unternehmen, zwei Gebäude, zwei Kulturen, zwei verschiedene Sprachen. Die «Kund*innen» in der Geschäftsabteilung, die eine IT-Funktion benötigte, besprach die Anforderungen mit den Geschäftsingenieur*innen, die dann ein De-Briefing mit den Geschäftsanalyst*innen durchführten, die dann die benötigten Artefakte für unsere IT-Architekt*innen erstellen sollten. Die Architekt*innen wiederum entschieden, welche Softwareentwickler*innen die Funktion implementierten, und es war nie klar, wer letztendlich testen würde. Im einfachsten Fall gab es nicht weniger als fünf «Verständnislücken» zwischen den Kund*innen und der von ihnen getesteten Funktion – und oft noch viel mehr, wenn die Funktion mehrere Systeme betraf.

Wir hatten zwar E-Mail und Telefon, um die Lücken zu schliessen, aber jede Kommunikation, die weiter als ein Silo entfernt war, war im Allgemeinen verpönt, wenn nicht sogar verboten. Das war vor über einem Jahrzehnt, und die Bahngesellschaft wurde klug. Heute ist der Ansatz der Mikrorollen und der starren Silos durch etwas ersetzt worden, das man skalierte Agilität nennt: Geschäft und IT arbeiten eng zusammen, grosse Gruppen, die «Release Trains» (kein Wortspiel) genannt werden, koordinieren ihre Arbeit in der so genannten PI-Planung, und es ist ganz normal, dass IT-Ingenieur*innen in T-Form mehr als einen Hut tragen. Wenn dies bedeutet, dass das Skill-Pendel zurückgeschwungen ist, dann bezweifle ich, dass dies noch lange so bleiben wird. In den letzten zwei bis drei Jahren meines Unternehmenslebens habe ich den Aufstieg ganz neuer Geschäftsorganisationen erlebt, die sich auf technische Spezialgebiete konzentrieren: Data Science, Sicherheit, Automatisierung von Roboterprozessen und maschinelles Lernen.

Früher waren diese Bereiche nur ein kleiner Teil der «allgemeinen IT», aber inzwischen sind sie so spezialisiert und einzigartig, dass ich zunehmend grosse Verständnislücken bei der Zusammenarbeit dieser Rollen erlebe – oder schlimmer noch, ich habe regelrechte Konflikte erlebt, wenn die Rollen nicht übereinstimmen: Wenn zum Beispiel ein Datenwissenschaftler ein Produkt wie Kubernetes unbedingt haben will, während die IT-Infrastrukturingenieure es für ein unkontrollierbares Monster halten, wie soll das Unternehmen dann entscheiden? (Ken Ritley)

Schlussfolgerung: Jenseits des Goldenen Dreiecks

Wir haben unsere vier Artikel entwickelt, unsere Geschichten chronologisch erzählt und waren überrascht, wie gut sie zum Goldenen Dreieck passen: angefangen bei der Technologie über die Prozesse bis hin zu den Menschen. Rückblickend ist das keine Überraschung: Steve Jobs zitierte 1995 berühmt, dass «grossartige Technologie unsichtbar ist». Die Frage ist also, was kommt als nächstes? Geht das Zeitalter der digitalen Transformation zu Ende? Wir überlassen es den Historikerinnen und Philosophen, darüber zu spekulieren, aber wir sind der Meinung, dass die digitale Transformation, wie wir sie definieren, möglicherweise zu Ende geht. Wir haben gesagt, dass ihr Markenzeichen ist: Wir verändern die Art und Weise, wie wir arbeiten.

Die Transformation gilt vor allem für diejenigen, die in einem Paradigma zu Hause sind und dann auf ein neues Paradigma umsteigen. Unternehmen haben heute nicht nur Mitarbeiter*innen, die in einer einzigen Technologiebox zu Hause sind; vielmehr hängt die Affinität zu einer bestimmten Technologiebox von der Generation ab, was sich wiederum oft in der Managementhierarchie des Unternehmens widerspiegelt. Fangen wir an der Spitze an. CEOs sind heute mit grosser Wahrscheinlichkeit Babyboomer, die in jeder Hinsicht «digital herausgefordert» sind Die stereotypen CEOs können PDFs auf ihren iPads lesen, aber sie werden nie etwas dagegen haben, wenn wichtige Dokumente ausgedruckt werden.

Das Senior Management wird häufig von den «digital bewussten» Gen-Xern besetzt, die durchaus in der Lage sind, die von ihren Führungskräften benötigten PDFs zu erstellen. Und das mittlere Management wird von den «digital versierten» Millennials angetrieben, die sich mit jeder auf ihrem PC installierten Software gut anfreunden können. Aber die Generation Z, die heute ins Berufsleben eintritt, ist ein echter «Digital Native» Sie sind mit iPads in ihren Kinderwagen und Instagram auf ihren Spielplätzen aufgewachsen. Sie liefern sich ein Wettrennen, um die neuen digitalen Technologien zu übernehmen, die fast täglich auf den Markt kommen. Sie schwimmen mühelos in der turbulenten digitalen See. Kämpfen sie mit der digitalen Transformation? Ha! Das taten sie schon als Zehnjährige, als Facebook den Messenger kaufte. Könnte es also sein, dass die Reise der digitalen Transformation, wie wir sie in diesem Artikel definieren, vorbei ist? Wenn ja, was kommt als Nächstes? Vielleicht ist es an der Zeit, sich auf die immer unschärfer werdende Grenze zwischen Mensch und Maschine zu konzentrieren?


Miniserie zur digitalen Transformation

Dieser Artikel ist der letzte einer 4-teiligen Miniserie über die digitale Transformation.


Danksagung

Wir bedanken uns bei Maria Kreimer und Nikola Gaydarov für die ausführlichen Diskussionen, die wesentlich zu diesem Manuskript beigetragen haben.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Kenneth Ritley

Kenneth Ritley ist Professor für Informatik am Institut für Datenanwendungen und Sicherheit (IDAS) der BFH Technik & Informatik. Der gebürtige US-Amerikaner hat schon eine internationale Karriere in IT hinter sich, er hatte diverse Führungspositionen in mehreren Schweizer Unternehmen inne wie Swiss Post Solutions und Sulzer und baute unter anderem Offshore-Teams in Indien und Nearshore-Teams in Bulgarien auf.

AUTHOR: Chuck Ritley

Chuck Ritley war jahrzehntelang in der IT-Branche tätig, wo er in den 1960er Jahren zunächst riesige Mainframe-Systeme einführte und dann in den 1970er Jahren Redakteur einer der ersten Computerzeitschriften der Welt wurde. In den 1980er Jahren leitete er ein erfolgreiches Startup-Unternehmen, das viele Dutzend Mitarbeiter beschäftigte. Heute verbringt er seine Zeit als Pädagoge und unterrichtet fortgeschrittene Informatikkurse an Colleges in der Gegend von San Antonio, Texas.

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