Wie Händler die Minicomputer überall etablierten – 60 Jahre digitale Transformation, Teil 3

Dank der Erfindung der ersten Mikrochips verbreiten sich ab den 1970er Jahren Minicomputer in allen Branchen. Chuck und Ken, ein Vater-Sohn-Gespann von IT-Experten, schildern im 3. Teil ihrer Miniserie die Rolle der so genannten «Händler». Sie werfen einen unterhaltsamen Blick auf ihre sechs Jahrzehnte in der IT. Dank Chucks Anekdoten lässt sich nachvollziehen, warum der Verkauf der Minicomputer so eng gekoppelt war an speziell zugeschnittene Software.

In den ersten beiden Teilen ging es um Daten in Hülle und Fülle und darum, diese Daten in verwertbare Informationen zu verwandeln. Kurz gesagt, es ging darum, Unternehmen in die Lage zu versetzen, datengesteuert zu arbeiten. Das Problem mit diesen neuen Informationen und «Business Intelligence» war, dass sie süchtig machten. Grosse Unternehmen, die sie hatten, wollten mehr davon, und kleinere Unternehmen wollten unbedingt mitspielen und in den Genuss der Vorteile kommen. Glücklicherweise löste die Einführung des Mikrochips in den 1970er Jahren das Mooresche Gesetz aus, die Technologie war sehr entgegenkommend und bot genau die richtigen Möglichkeiten, als die Unternehmen begannen, das Bedürfnis zu verspüren.

Es geht weiter mit Prozessen

Die Welt der Minicomputer sah etwas anders aus als heute – mit kleineren Monitoren und unbequemen Tastaturen.

Mitte der 1970er bis Ende der 1980er Jahre wurde der Minicomputer eingeführt, der durch die Allgegenwart der ersten Microdata-Chips ermöglicht wurde. Diese Minicomputer selbst waren jedoch noch keine Massenware; auf ihnen lief proprietäre Software unter proprietären Betriebssystemen. Sogenannte «Händler», die mit jedem Hersteller verbunden waren, verkauften «schlüsselfertige» Lösungen, die sie entwickelten, um eine bestimmte geschäftliche Herausforderung für einen bestimmten Kunden zu lösen. Die Aufgabe der Händler bestand nicht nur darin, das Gesamtpaket (Hardware und Software) zu verkaufen, sondern vor allem darin, die Software zu entwickeln oder auf die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens zuzuschneiden. Ganz gleich, ob Sie in der Bekleidungsindustrie, im Speditionsgewerbe oder im Hotelgewerbe tätig waren, das «Zeitalter der Händler» hatte eine schlüsselfertige Lösung für Sie.

Die «Commodity-Ära» erstreckte sich von den späten 1980er bis zu den frühen 2000er Jahren. Aber Vorsicht: Wenn wir «Commodity» schreiben, beziehen wir uns auf ganz unterschiedliche Themen. Die Kommodisierung der Hardware, d. h. der PC, war natürlich ein wichtiger Faktor; die Unternehmen waren nicht mehr an einen einzigen Minicomputer-Anbieter gebunden. Aber die Bedeutung der Kommodifizierung von Software wird weit unterschätzt. Es gab viele verschiedene Varianten wichtiger Pakete wie ERP, und die Hürden für Unternehmen, zwischen ihnen zu wechseln, waren niedriger als je zuvor. Tatsächlich waren es diese Pakete, die es den IT-Mitarbeitern ermöglichten, von Unternehmensexperten zu Branchenexperten zu werden, die alle eine gemeinsame Sprache sprechen. Und schließlich kam es zu einer Kommodifizierung der Mitarbeiter; Freiberufler konnten problemlos zwischen Unternehmen wechseln, und der Allround-Ingenieur für Datenverarbeitung teilte sich in viele Spezialisierungen auf, wie z. B. Business-Analyst, Requirements Engineer, Programmierer, Tester usw.

Der Beginn von «Infrastruktur als Dienstleistung»

Infrastructure-as-a-Service und seine Geschwister (Software-as-a-Service und Platform-as-a-Service) haben wesentlich dazu beigetragen, die Hürden für die Einführung zu senken und die digitale Transformation zu beschleunigen. Doch bevor man AWS oder Azure zu viel Lob zollt, sollte man sich vergegenwärtigen, dass es sich dabei um sehr alte Konzepte handelt, die bis in die Eisenzeit zurückreichen. Wir erzählen diese Geschichte jetzt, um den Aufstieg der Minicomputer in Szene zu setzen. Etwas namens Service Bureau (SB) weckte in vielen kleinen Unternehmen den Appetit auf die digitale Transformation.

Als ich in den frühen 1970er Jahren Redakteur des vielleicht ersten IT-Magazins wurde, schrieb ich jeden Monat eine Kolumne für ADAPSO, die Association of Data Processing Service Organizations. In den 1960er und 1970er Jahren, noch vor der Minicomputer-Revolution, erlebten die Servicebüros einen regelrechten Aufschwung. Die von IBM gegründete Abteilung Service Bureau Corporation (SBC) verfolgte die Philosophie: Wenn du nicht kaufen kannst, dann leihe. Wenn Sie nicht leasen können, übernehmen wir Ihre Datenverarbeitung für Sie» Die SBs erledigten so viel, wie Sie brauchten: Sie konnten Verkaufsbelege, Bestellungen und Verbindlichkeiten per Tastatur eingeben und in Berichte umwandeln. Sie konnten Schecks für die Verbindlichkeiten oder sogar Gehaltsschecks für Sie drucken. Alles, was ein firmeneigener Computer kann, können sie auch erledigen. Das größte Unternehmen – SBC – war sogar so erfolgreich, dass die Regierung behauptete, IBM würde eine Branche (die Datenverarbeitung) monopolisieren, und sie zwang, SBC zu veräußern und ein neues Unternehmen zu gründen.

Erinnert Sie das an irgendwelche IT-Unternehmen von heute? Um mit IBM zu konkurrieren, schlossen sich die kleineren Servicebüros zu einem Branchenverband zusammen: ADAPSO. Viele der SBs boten Time-Sharing an, das war ein vielseitiges Dienstleistungsangebot. Wer einen kleineren Computer besass, konnte bei der SB eine Datenleitung anschliessen, Daten hochladen, sie auf dem größeren und schnelleren Großrechner der SB verarbeiten und dann wieder herunterladen. Man konnte sie auch zur Dateneingabe verwenden, indem man ein Eingabegerät (Karte oder Lochstreifen) anschloss und die Daten auf diese Weise hochlud. Minicomputer gaben den Unternehmen Autonomie, schnellere Ergebnisse und bessere Gesamtkosten. ADAPSO wurde zu einer High-Tech-Organisation, die nichts mehr mit den Endverbrauchern zu tun hatte. Und einer nach dem anderen schlossen die SBs ihre Türen. Es gibt noch einige, aber die Minicomputer-Lawine hat die meisten von ihnen vernichtet. (Chuck Ritley)

Die Minis kommen

Wir haben gerade gesehen, wie die Service Bureaus kleineren Unternehmen die Möglichkeit gaben, ihre eigene digitale Transformation zu gestalten. Aber da ihr digitaler Appetit nun geweckt war, wollten sie mehr Funktionen, mehr Flexibilität und einen niedrigeren Preis als das, was die SBs bieten konnten. Kurz gesagt, Minicomputer ermöglichten es kleineren Unternehmen, ihre digitale Transformation voranzutreiben.

1972 wurde ich als Redakteur des ersten IT-Magazins eingestellt. Meine Aufgabe war es, Berichte darüber zu finden, wie Computer in verschiedenen Branchen eingesetzt wurden. Also reiste ich zu vielen Standorten und schrieb Geschichten über Mainframes, die Fliessbänder und die Produktionssteuerung steuern. Eine tolle Lektüre für die Ingenieure – aber nicht so toll für unsere Leser aus der Wirtschaft. Doch in jenem Herbst erhielt ich einen Anruf von einem PR-Mann in Chicago: «Charlie! Du musst unbedingt herkommen. Eine deutsche Firma – Nixdorf – hat bereits ein Dutzend «Minicomputer» an kleine Unternehmen verkauft. Sie sind vorprogrammiert und einsatzbereit. Eine Art schlüsselfertiger Betrieb.» Nun übertreiben PR-Leute immer, aber der Verlag hatte eine feste Wohnung, in der ich in Chicago bleiben konnte, mein Chef war fasziniert und verwirrt von dem Wort Minicomputer, also ging ich los. Und ich war überwältigt!

Ein Computerhändler – an sich ein neues Konzept – hatte bereits 12 dieser Dinger verkauft und installiert und hatte Aufträge für viele weitere. Man nahm mich mit in den Ausstellungsraum, und da stand er – so gross wie ein Schreibtisch mit einem Kasten darunter und einem CRT-Terminal oben drauf. Das allein war schon seltsam, denn Großrechner hatten selten Terminals. Der Händler erklärte mir, dass es sich dabei um die Steuerung handelte und dass es noch 7 weitere Terminals geben könnte, die im ganzen Unternehmen verteilt waren. «Das macht die Tastatureingabe überflüssig, denn jeder, der Daten eingeben muss, kann sich einfach hinsetzen und sie eingeben Als erfahrener Großrechneranwender fiel es mir schwer, einen Minicomputer zu akzeptieren. «Ich bin schon halb überzeugt», sagte ich ihm, «aber können wir ein paar echte Endbenutzer besuchen?» Das taten wir dann auch – drei von ihnen, aber ich werde Ihnen von dem ersten erzählen. Es handelte sich um ein mittelgroßes Metallunternehmen, das spezielle Messing- und Bronzeteile für Sanitärarmaturen herstellt. Der Geschäftsführer war erstaunlich versiert im IT-Jargon. Er erzählte mir: «Vor ein paar Jahren steckte ich bis zu den Knien in Papierkram, wie alle anderen hier auch. Ich hätte einen Computer benutzen können, aber ich habe mir überlegt: Wie kann ich ein System entwerfen, wie lange dauert es, es zu programmieren, wer wird es überwachen? Es gab keine Möglichkeit, die ich mir vorstellen konnte. Also entschied ich mich für ein SB – ein Service Bureau – und eine Zeit lang war ich sehr zufrieden.

Wir hatten die Betriebsdaten, die ich brauchte, aber es war nicht flexibel, und es war nicht billig Als der Nixdorf-Händler eine Minicomputer-Lösung anbot, klang das attraktiv. Er konnte die Ausgaben kapitalisieren; das Programmierpersonal des Händlers würde generische Module nehmen und sie an seine Bedürfnisse anpassen und in der Folge für weitere Aufgaben zur Verfügung stehen. Aber das Beste von allem war, dass es den Papierkram reduzierte. Durch die Aufstellung von 8 Terminals in verschiedenen Abteilungen konnten die Mitarbeiter die Daten direkt eingeben, anstatt ein Formular für die SB auszufüllen. Er konnte mit nur 4 Terminals beginnen und weitere hinzufügen, wenn sie benötigt wurden. Und das Beste daran: Die Terminals stellten die Daten in Echtzeit zur Verfügung – kein Warten mehr auf Wochenberichte. Ich wusste, dass Menschen wichtig sind, also befragte ich seine Mitarbeiter. Sie waren zufrieden. Keiner von ihnen war ein spezieller Datensammler, so dass die Versorgung der SB mit Daten für alle mehr Arbeit bedeutete. Mit ihrem neuen Mini waren sie davon befreit und konnten sich ihrer Arbeit widmen. Und alle liebten den Echtzeit-Datenaspekt der Terminals. Ich kehrte am Abend in meine Wohnung zurück, schrieb den Artikel und faxte ihn an die Zeitschrift. Ich hatte das Gefühl, dass wir gerade die Zukunft getroffen hatten. (Chuck Ritley)

Software wird zur Handelsware

Das Zeitalter des Händlers war nicht das neue Gesicht des eisernen Zeitalters, denn bei den Minicomputern ging es nicht darum, die Mainframes zu ersetzen. Es handelte sich um zwei völlig unterschiedliche Zeitalter, denn Minicomputer brachten Rechenleistung in die Hände von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die sich niemals einen Mainframe leisten konnten. Der Übergang vom Zeitalter des Händlers zum Warenzeitalter war jedoch noch anders: Zunächst hatten die KMUs nun feste Investitionen zu schützen.

Wenn man den Punkt erreicht, an dem die Software so zuverlässig wird – mit klar definierten Fähigkeiten -, steigt das Vertrauen der Benutzer und parallele Läufe sind nicht mehr nötig. Wenn Software ein solches Mass an Zuverlässigkeit und Standardisierung erreicht, wird sie zu einer Massenware. Als ich in den 1960er Jahren für einen großen Grossrechnerhersteller arbeitete, gab es dort einen sehr einfachen Stücklistenprozessor – ein Vorläufer der späteren MRP-Systeme. Ich habe eine ganze Reihe davon installiert, und das war nicht einfach.

In den 1980er Jahren hatte der Minicomputerhersteller, für den ich arbeitete, ein MRP-System mit allen Funktionen: Verkauf, Aufträge, Stücklisten, Einkauf, Routing, vollständige Buchhaltung – alles, was man brauchte. Wir installierten ein System mit 8 Terminals in der Hauptgeschäftsstelle der Silicon Valley Inventory Control Society. Meine Aufgabe war es, wöchentlich ein paar Kurse für diejenigen zu geben, die mehr über MRP wissen wollten. Wir hofften, dass sie sich für unser MRP entscheiden würden. Aber als ich mich in die Materie einarbeitete, sah und hörte ich zu und erfuhr, dass die meisten Konkurrenten genau das taten, was wir taten.

Ohne dass wir es wussten, produzierten wir eine Ware. Das taten sie auch. So verschmolzen zwei separate Trends zu einer Richtung. Software wurde standardisiert und zur Massenware. Aber der Trend ging dahin, den Mini für den billigeren PC aufzugeben. In den 1990er Jahren erkannten die Unternehmen, dass ein Netzwerk kleiner PCs die Arbeit des Mini-PCs wiederholen konnte – und dass das Hinzufügen eines zusätzlichen PCs hier und da viel billiger war als die Aufrüstung des Mini-PCs. Aber es gab ein Hindernis: Die Softwaremodule, von denen das Unternehmen abhängig war, mussten auf eine andere Plattform übertragen werden. Dies war die Geburtsstunde eines neuen Spezialisten. Da die proprietären Welten des Mini alle aus gemeinsamen Wurzeln – insbesondere Microdata – stammen, musste ein Spezialist her, der die Software nahtlos vom Mini auf ein PC-Netzwerk übertragen konnte. Ich war einer von ihnen, und als die PC-Vernetzung immer billiger wurde, haben wir uns darauf spezialisiert: einen Klon Ihres Mini-basierten Systems zu erstellen, der auf einem vernetzten PC genauso funktioniert wie das Original auf Ihrem proprietären Minicomputer. Als wir Ihnen die Schlüssel übergaben, zogen wir wie Wanderarbeiter zur nächsten Konvertierung weiter. (Chuck Ritley)


Miniserie zur digitalen Transformation

Dieser Artikel ist der dritte Teil einer vierteiligen Miniserie über die digitale Transformation. Der letzte Teil wird nächste Woche veröffentlicht.


Danksagung

Wir bedanken uns bei Maria Kreimer und Nikola Gaydarov für ausführliche Diskussionen, die wesentlich zu diesem Manuskript beigetragen haben.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Kenneth Ritley

Kenneth Ritley ist Professor für Informatik am Institut für Datenanwendungen und Sicherheit (IDAS) der BFH Technik & Informatik. Der gebürtige US-Amerikaner hat schon eine internationale Karriere in IT hinter sich, er hatte diverse Führungspositionen in mehreren Schweizer Unternehmen inne wie Swiss Post Solutions und Sulzer und baute unter anderem Offshore-Teams in Indien und Nearshore-Teams in Bulgarien auf.

AUTHOR: Chuck Ritley

Chuck Ritley war jahrzehntelang in der IT-Branche tätig, wo er in den 1960er Jahren zunächst riesige Mainframe-Systeme einführte und dann in den 1970er Jahren Redakteur einer der ersten Computerzeitschriften der Welt wurde. In den 1980er Jahren leitete er ein erfolgreiches Startup-Unternehmen, das viele Dutzend Mitarbeiter beschäftigte. Heute verbringt er seine Zeit als Pädagoge und unterrichtet fortgeschrittene Informatikkurse an Colleges in der Gegend von San Antonio, Texas.

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