“Nicht die Mädchen müssen sich ändern, wir alle!”- Alain Gut im Interview, Teil 2

Damit sich Mädchen für Informatikberufe  interessieren, braucht es einen Imagewandel. Noch zu oft werden sie technisch angesehen. Dabei machen Kommunikation und Teamarbeit einen grosser Teil aus – was Mädchen mehr anspricht, erläutert Alain Gut im 2. Teil des Interviews. Wir wollen wissen, welche konkreten Lösungen er für die Mädchenförderung in MINT-Fächern vorschlägt.

Herr Gut, Sie sind selbst Vater von drei Töchtern. Welchen Rat können sie Eltern von Töchtern mitgeben, wenn die Töchter sehr gut im Schulfach Mathematik sind?

Lassen sie ihre Töchter gut in Mathematik sein, fördern sie dieses Talent, wie sie auch andere Talente fördern. Wichtig scheint mir auch – vor allem während der Zeit der Berufswahl – dass auch das Thema des zukünftigen Lohnes mit in Betracht bezogen werden darf. Söhne tun dies auch! Und vielleicht noch ein wichtiger Aspekt, der nicht unterschätzt werden darf. Betrachten Sie auch die Peer Groups ihrer Töchter. Auch wenn alle Freundinnen keinen technischen Beruf ergreifen wollen, unterstützen sie ihre Töchter diesen Weg trotzdem einzuschlagen.

Der Verband digitalswitzerland, in welchem Sie den Ausschuss «Bildung und Fachkräfte» leiten, setzt sich mit dem Thema stark auseinander. In der Vergangenheit haben sie sich im Rahmen des Lehrplan 21 für die Einführung des Faches «Medien und Informatik» eingesetzt, sollte hierzu aus ihrer Sicht noch mehr angepasst und erweitert werden?

Alain Gut ist Direktor Public Affairs bei IBM Schweiz.

Bevor man über Anpassungen spricht, muss «Medien und Informatik» zuerst flächendeckend und mit genügend Stunden dotiert umgesetzt werden. Wir verfolgen dies sehr genau und hoffen auch, dass die entsprechenden Aus- und Weiterbildungen laufend fortgesetzt werden. Es besteht sicherlich noch Handlungsbedarf, so dass sich alle Lehrpersonen mit diesem neuen Fach richtig sicher fühlen. In der Mittelschule wäre es wünschenswert, dass aus dem obligatorischen Fach Informatik im Rahmen der neuen Maturitätsanerkennung (MAV) ein Grundlagenfach wird. So bekommt die Informatik auch die notwendige Bedeutung. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang auch, dass die Mathematik gleichwertig zu den Sprachen wird. Es sollte verhindert werden, dass ungenügende Mathematiknoten durch die Sprachfächer kompensiert werden können.

Technische Themen sollten sehr gut in Sinnhaftigkeit umgesetzt werden, um bei vielen Frauen und Mädchen eine intrinsische Motivation zu wecken, sich für Technik zu interessieren. Müssten Stellenausschreibungen für ICT-Berufe dann auch eher in diese Richtung aufgesetzt werden?

Informatikberufe werden nach wie vor fast ausschliesslich mit Technik und Programmieren assoziiert. Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Teamarbeit werden in Berufsbeschreibungen nicht aufgezeigt, obwohl diese immer wichtiger werden. Zudem sollten Kompetenz- und Tätigkeitsportfolios ausgeglichen dargestellt werden. So können auch Personen mit einem breiten Interessensspektrum für einen Informatikjob gewonnen werden. Dafür müssen neben technischen auch sozial-kommunikative Kompetenzen stärker gewichtet werden. Ausserdem muss stärker betont werden, dass Informatik in allen Branchen notwendig ist und so ein breites Anwendungsspektrum beinhaltet. IBM schaltet Anzeigen, die speziell auf Frauen ausgerichtet sind. Sie verwenden ein anderes Vokabular und heben eben diese Fähigkeiten wie Kommunikation und Teamarbeit hervor.

Sie sagen, dass Informatik als «lernbar» dargestellt werden muss. So können Quereinsteiger mit einer attraktiven Darstellung der ICT-Berufe abgeholt werden. Grundsätzlich gilt: Zielgruppenbezogenes Marketing für ein positives Image der Informatik wäre sehr hilfreich. Was können Unternehmen aus ihrer Sicht weiter unternehmen, um Frauen einerseits zu finden und anderseits zu gewinnen?

Verstärkt sollte auf die Zukunftsfähigkeit der Informatikberufe aufmerksam gemacht werden. Insgesamt gilt es demnach für eine Steigerung der Attraktivität von Informatikberufen für Frauen und Männer nicht nur darauf zu achten, dass eine geschlechtergerechte Sprache verwendet und auf Bildern auch Frauen gezeigt werden, sondern es geht darum, das männlich geprägte Image des Berufes aufzulösen. Somit geht es nicht darum, dem Beruf ein weibliches Image zu verpassen, sondern das implizit männlich geprägte Image aufzulösen, wie zum Beispiel «Technik als Basis» auch für Frauen zugänglich zu machen und einen integrativen Zugang zu ermöglichen.

 

Es geht nicht darum, dem Beruf ein weibliches Image zu verpassen, sondern das implizit männlich geprägte Image aufzulösen.

 

Lifelong Learning ist ja das Gebot der Stunde in unserer digitalisierten Welt. Wie wäre es nun, wenn eine speziell für Frauen entwickelte nationale Umschulungs- und Weiterbildungsinitiative gestartet werden würde, um sie in die Informatik zu bringen?

Ideal wäre, wenn während dieser Ausbildung nicht auf ein Einkommen verzichtet werden müsste. Viele Unternehmen könnten Quereinsteigerinnen aufgrund des grossen Bedarfs parallel zur bisherigen Arbeit die notwendigen Schulungen intern oder extern ermöglichen und deren Qualifikationen erweitern. Die Entscheidung für einen Quereinstieg sollte aber nicht nur von den Job- und Karriereaussichten getrieben sein. Wie bei der Berufswahl generell gilt immer, dass man über die Eignung und Begeisterung für die neue Tätigkeit verfügt. Wichtig ist, sich bewusst zu sein, welche Stärken bereits im alten Beruf zur Geltung kamen und auch im neuen Job von Nutzen sind. Informatik ist nicht nur als technische Disziplin, sondern in der Regel eine dienstleistungsorientierte Aufgabe. Um Frauen für die Informatik zu begeistern, müssen die Einsatzgebiete und deren Nutzen besser dargestellt werden. Frauen interessieren sich meistens für die Anwendung der Informatik.

Ein politischer Dialog muss immer wieder geführt werden. Wie sehr hängen  politisch aktiv sein und das Thema weiterbewegen zusammen?

Die Arbeitsmärkte verändern sich rasch. Vor allem Frauen werden in der Schweiz davon stark betroffen sein, da sie häufig in den typischen KV-Berufen tätig sind, die stark unter Druck kommen werden. In den Berufen, die mit der Digitalisierung an Bedeutung gewinnen, sind die MINT-Disziplinen gefragt und eben da fehlen die Frauen. Unser Bildungssystem hat sich an eine gewisse Trägheit gewöhnt. Zudem ist ausser der Berufsbildung alles kantonal geregelt, und ich denke, der Föderalismus kommt auch bei der Bildung an seine Grenzen. In diesem Sinne ist die Politik – sowohl auf nationaler, kantonaler wie auch lokaler Ebene – gefordert, sich für die Anliegen der Förderung von Frauen in technischen Berufen stark zu machen. Die Digitalisierung droht die Frauen abzuhängen. Leisten wir alle unseren Beitrag, damit dies nicht geschieht und schaffen wir faire Rahmenbedingungen!


Der 1. Teil des Interviews ist hier erschienen.


Zur Person

Dr. Alain Gut ist seit Januar 2019 Director Public Affairs bei IBM Schweiz. Davor war er sieben Jahre für den Public Sector und drei Jahre als Mitglied der Geschäftsleitung für das Software-Geschäft in der Schweiz und Österreich verantwortlich. Frühere Arbeitgeber waren u.a. Tata Consultancy Services, Microsoft Schweiz und die UBS. Alain Gut hat an der Universität Zürich Wirtschaftsinformatik studiert und promoviert. Er setzt sich in zahlreichen Kommissionen und Gremien vor allem für das Thema Informatik in der Bildung, aber auch für Cyber Security, Mobilität und Datenpolitik ein. Seit Beginn des Jahres ist IBM Schweiz Partner des Instituts Public Sector Transformation der BFH Wirtschaft.


Wie die BFH Mädchen fördert

Die Berner Fachhochschule BFH fördert bei Kindern und Jugendlichen die Faszination für Technik und Informatik. Dazu organisieren wir zahlreiche Anlässe und engagieren uns in Projekten. Eine Übersicht darüber finden Sie hier.

Konkret bietet wir mit dem Teclab in Burgdorf das coders_lab an, bei dem Mädchen und junge Frauen kostenlos die Möglichkeit haben, verschiedene ICT-Themen zu entdecken, erste Schritte im Programmieren zu machen sowie weibliche Rollenvorbilder kennenzulernen. Unser Ziel ist es, dass Mädchen ICT-Berufe und -Ausbildungen als echte Option betrachten.

Dazu finden regelmässig Workshops statt, die nächsten bereits am 13. und 20. November. Am 13. November lernen die Mädchen verschiedene Arten von Hackerinnen kennen und gehen selbst auf Spurensuche, indem sie Nachrichten entschlüsseln und sich als Hackerin im Internet versuchen. Am 20. November dreht sich alles um Codes. Die Mädchen erfahren, wie ein QR-Code funktioniert und programmieren einen Arduino. Weitere Workshops sind in Arbeit und sind für Anfang 2022 geplant. Alle Informationen und die Anmeldung finden Sie hier.

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AUTHOR: Jasmine Streich

Jasmine Streich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Public Sector Transformation des Departements Wirtschaft der Berner Fachhochschule. In ihrer Forschungstätigkeit beschäftigt sie sich mit digitaler Barrierefreiheit und der Transformation des öffentlichen Sektors.

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