Digital und demokratisch – Warum die moderne Arbeitswelt beides sein muss

Die digitale und die nachhaltige Transformation werden die Arbeit grundlegend wandeln. Damit die soziale Ungleichheit dabei nicht wächst, plädiert Prof. Dr. Lisa Herzog von der Universität Groningen, politische Philosophin und Keynote-Speakerin an der Transform-Konferenz der BFH Wirtschaft dafür, die Arbeitswelt zu demokratisieren. Ein Gespräch über die Zukunft der Arbeit.

Bereits 2019 erschien Ihr viel beachtetes Buch „Die Rettung der Arbeit: Ein politischer Aufruf“. Wovor genau ist aus Ihrer Sicht die Arbeit zu retten?

Prof. Dr. Lisa Herzog von der Universität Groningen (NL).

Davor, als reiner Kostenfaktor betrachtet zu werden und nur durch die Dynamiken von Märkten und technologischen Entwicklungen – Stichwort Digitalisierung – bestimmt zu werden. Arbeit ist eine zutiefst menschliche Angelegenheit, die eine wichtige Rolle für den gesellschaftlichen Zusammenhalt spielt, und wir müssen sie in all diesen Dimensionen ernst nehmen.

Wie sieht Ihr optimistisches Szenario der Zukunft der Arbeit aus, wie Ihr pessimistisches Szenario?

Im optimistischen Szenario ist die Arbeitswelt der Zukunft gerechter (auch in Bezug auf Geschlechterfragen), ökologisch nachhaltiger gestaltet, und sie bietet den Einzelnen vielfache Möglichkeiten, mitzugestalten und sich einzubringen. Die Produktivitätsgewinne der Digitalisierung, sowohl in Bezug auf Geld als auch in Bezug auf Zeit, werden fair verteilt und die Arbeitswelt ist von dem Bewusstsein durchzogen, dass alle Beiträge wichtig sind und nicht manche Arbeit per se wertvoller ist als andere. Im pessimistischen Szenario geht die soziale Schere immer weiter auseinander, so dass manche Menschen schlechte, gefährliche Arbeit zu einem Hungerlohn verrichten müssen (zum Beispiel als „Clickworker“ auf Online-Plattformen), während andere vielleicht überhaupt nicht mehr arbeiten müssen (zum Beispiel, weil sie Patente an Robotern halten). Letzteres kann keine gute Grundlage für eine demokratische, freie Gesellschaft sein.

Welche Hauptforderungen richten Sie an die Politik, damit die Rettung der Arbeit gelingt, und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Demokratisierung der Arbeit?

Derzeit ist eine der Hauptforderungen, das, was die Arbeiterbewegung über Jahrzehnte an Rechten erkämpft hat, ins digitale Zeitalter hinüberzuretten – z.B. Höchstarbeitszeiten, Arbeitsschutz, Mitbestimmungsrechte, soweit es sie in bestimmten Ländern schon gibt. Aber für die anstehenden Veränderungen, die durch Digitalisierung und ökologische Wende auf uns zukommen, reicht das nicht. Diejenigen, die die eigentliche Arbeit machen, müssen sich stärker einbringen können und entscheiden können, wie die Arbeit gestaltet wird. Deswegen plädiere ich dafür, die Demokratisierung der Arbeitswelt zu stärken, in unterschiedlichen Formen: z.B. durch die Unterstützung von Kooperativen, die per se demokratisch sind, oder durch die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung.

Das Institut New Work der BFH Wirtschaft forscht im Bereich neuer Arbeits- und Organisationsformen wie der Purpose Driven Organization und berät Organisationen bei ihren Transformationsprozessen. Was sagen Sie Personal- und Organisationsverantwortlichen, wie diese ganz konkret zur Rettung der Arbeit beitragen können?

Lassen Sie diejenigen, die die eigentliche Arbeit machen, mitreden, wenn es um Reformen und Veränderungen geht – und zwar nicht nur in einem Town Hall Meeting, dessen Protokoll dann in irgendeiner Schublade verschwindet, sondern indem Sie wirkliche Gestaltungsspielräume eröffnen. Die Einführung partizipativer Methoden braucht allerdings Zeit und kostet anfangs Mühe, bis sich alles eingespielt hat und die Individuen ihre Rolle gefunden haben. Man darf nicht erwarten, dass man in vier Wochen von einer traditionell hierarchischen zu einer von unten geführten, partizipativen Organisation kommt. Mein Eindruck ist, dass gerade junge Leute und Menschen, die vielleicht keinen ganz typischen Lebenslauf haben, sehr viel zur Gestaltung neuer Prozesse beitragen können – wenn man ihnen zuhört, was oft eine Herausforderung in Bezug auf die vorgestellten Hierarchien bei allen Beteiligten ist.

Inwiefern hat sich durch die Corona-Pandemie Ihr persönlicher Blick auf die geschilderten Zusammenhänge geändert?

Damit bin ich sicherlich nicht allein: Einerseits war ich begeistert, wie viel Zusammenarbeit auch digital möglich war, andererseits ist mir noch einmal auf einer sehr existenziellen Ebene klargeworden, wie wichtig der persönliche Kontakt ist. Das hat einerseits mit der Ebene des Informationsaustauschs zu tun, aber auch mit der Arbeitsmotivation und der Kreativität. Wir sind soziale Tiere, das kann kein Computerbildschirm komplett ersetzen. In Zukunft muss es darum gehen, das Mit- und Nebeneinander von online und offline gerecht und sinnvoll auszugestalten – und auch dafür müssen diejenigen, die die eigentliche Arbeit machen, mehr Mitspracherechte bekommen.

Noch eine persönliche Frage am Schluss: Warum sind Sie politische Philosophin geworden?

Ich bin in diesem Fach gelandet, weil ich mich sehr für Fragen an der Schnittstelle von Philosophie und Wirtschaft interessiert habe: was ist ein gerechtes Wirtschaftssystem? Welche Werte werden in Märkten verwirklicht, welche gefährden sie? etc. Ursprünglich habe ich Volkswirtschaftslehre und Philosophie parallel studiert, aber mir ist schnell klargeworden, dass ich in der Philosophie mehr Freiheiten und Möglichkeiten für interdisziplinäre Forschung haben würde.


Zur Person

Lisa Herzog, 1983 geboren, ist seit 2019 Professorin für Philosophie am Center for Philosophy, Politics and Economics an der Universität Groningen. Zuvor studierte und arbeitete sie u.a. in München, Oxford, Frankfurt und Stanford. Sie forscht zu ökonomischer Gerechtigkeit, Ethik in Organisationen und Wirtschaftsdemokratie. Auf Deutsch erschien von ihr 2013 «Freiheit gehört nicht nur den Reichen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus». Für ihr Buch  Die Rettung der Arbeit wurde sie 2019 mit dem Tractatus Essay Preis und dem Deutschen Preis für Philosophie und Sozialethik ausgezeichnet.


Transform 2021

Lisa Herzog ist Keynote-Speakerin an der TRANSFORM 2021 mit. Die TRANSFORM 2021 mit dem Titel „Digital Goes Human – Brave New Work?“ wird federführend vom Institut New Work der BFH Wirtschaft in Kooperation mit dem Institut Public Sector Transformation am 3. November 2021 veranstaltet. Sie widmet sich der Frage, wo der Mensch in einer digitalisierten Arbeitswelt bleibt, ob Technologie unser Leben bestimmt und die mensch-zentrierte Gestaltung der Arbeitswelt die Lösung darstellt.
Hier können Sie sich anmelden.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Verena Stahl

Verena Stahl arbeitet als Volkswirtin und Soziologin am Institut New Work der BFH Wirtschaft und organisiert die Transform 2021. Aus der Perspektive der Metaebene heraus votiert sie für eine stärker werteorientierte Ausrichtung der Institutionen in der digitalen Arbeitswelt.

Create PDF

Ähnliche Beiträge

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert