Wie Jobsuchende auf KI im Bewerbungsprozess reagieren
Immer mehr Personalabteilungen setzen auf Künstliche Intelligenz (KI) um die eingegangenen Bewerbungsdossiers zu sichten. Während die Vorteile für Unternehmen auf der Hand liegen, scheint sich diese Praxis nachteilig auf die Bewerber*innen auszuwirken. BFH-Forscher Andreas Sonderegger und Arbeitspsychologin Jenny Wesche von der FU Berlin haben dies in Experimenten untersucht.
Gemäss eines Reports des Karriereportals Monster hat sich der Anteil von digitalen Auswahlsystemen im Bewerbungsprozess zwischen 2017 und 2019 verdoppelt, rund 70 % der Unternehmen nutzen laut Handelsblatt ein Applicant Tracking System. Rund 90 % der Unternehmen prognostizieren einen effektiven Einsatz ihrer Karrierewebsite, ihres Bewerbermanagementsystems und der IT im Personalwesen, heisst es im HR-Report 2021 von Monster.
Mithilfe von KI sparen die Personalabteilungen wertvolle Ressourcen und Zeit ein. Dass sie KI einsetzen, müssen die Recruiter jedoch im Inserat erwähnen. Wie sich das auf Attraktivität der ausgeschriebenen Stelle und die Wahrscheinlichkeit sich zu bewerben auswirkt, ist noch unklar. «Erste Erkenntnisse deuten allerdings darauf hin, dass die Jobsuchenden einem solchen Einsatz von Technologie eher kritisch bewerten», sagt Dr. Andreas Sonderegger, Dozent und Forscher an der BFH Wirtschaft. Zusammen mit Dr. Jenny Wesche von der FU Berlin hat er verschiedene experimentelle Studien zu diesem Thema durchgeführt. Darin variierten die Forschenden systematisch die Informationen in Stellenanzeigen bezüglich des Einsatzes von KI in den verschiedenen Phasen des Auswahlprozesses. Das heisst, die Studienteilnehmenden wurden in den einzelnen Stadien mit KI konfrontiert:
Studie 1:
- Vorauswahl durch einen Menschen
- Vorauswahl durch KI
- Keine Angaben dazu, wer die Vorauswahl durchführt
Studie 2 & 3:
- Mensch evaluiert die Dossiers und führt das Bewerbungsgespräch
- KI evaluiert die Dossiers, aber ein Mensch führt das Bewerbungsgespräch
- KI evaluiert die Dossiers und führt das Bewerbungsgespräch.
Vorauswahl durch KI ok, Gespräch lieber nicht
«Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Bewerber*innen kaum eine negative Einstellung gegenüber dem Einsatz von KI in der Vorauswahl haben. Aber sie nehmen es sehr negativ wahr, wenn KI auch im Bewerbungsgespräch eingesetzt wird», sagt Sonderegger. Demnach misstrauten die Studienteilnehmenden den Fähigkeiten der KI, insbesondere wenn sie vorher noch keine Erfahrungen mit der Technologie bei Gesprächen gemacht haben. Hinzu kommt, dass die Kandidat*innen auf die Entscheidungsfindung weniger Kontroll- und Einflussmöglichkeiten haben und sie sich nicht genügend wertgeschätzt fühlen, wenn sie nicht mit Menschen interagieren können. «Andererseits hatten die Studienteilnehmer*innen weniger Probleme mit KI wenn sie das Gefühl hatten, dass die Technologie etabliert ist und gut funktioniert», resümiert Sonderegger.
Das sollten Unternehmen prüfen
Die Forschenden raten Unternehmen, sorgfältig zu prüfen, ob und wenn ja, in welcher Phase des Auswahlprozesses sie eine Automatisierung einsetzen. Die Art und Weise, wie Unternehmen rekrutieren, wirkt sich negativ auf die Wahrnehmung der Attraktivität und auch auf die Bewerbungsabsichten der Stelleninteressent*innen aus. Unternehmen und Organisationen sollten nicht nur die Kosten und die Validität der Auswahlverfahren, sondern auch die Reaktionen der Arbeitssuchenden und Bewerbenden berücksichtigen, betonen Sonderegger und Wesche. Dies belegten viele Ergebnisse aus der aktuellen Forschung auf dem Gebiet der automatisierten Auswahlverfahren. Zwar sei es anspruchsvoll und komplex, die Vor- und Nachteile – finanzielle Kosten, Zeit, Validität, Bewerberreaktionen – bei den verschiedenen Verfahren in allen Phasen des Rekrutierungsprozesses zu bewerten. «Aber wir sind der festen Überzeugung, dass sich die Anstrengungen lohnen und beide Seiten gewinnen können», so die Studienautor*innen.
Die Studie
- Wesche, J. S. & Sonderegger, A. (in press). Repelled at first sight? Expectations and intentions of job-seekers reading about AI selection in job advertisements. Computers in Human Behavior. https://doi.org/10.1016/j.chb.2021.106931
Die Autor*innen
Dr. Jenny S. Wesche lehrt und forscht am Arbeitsbereich Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der FU Berlin.
Prof. Dr. Andreas Sonderegger lehrt und forscht an der BFH Wirtschaft und ist Lektor an der Universität Fribourg. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Kognitive Ergonomie, Human-Computer Interaction sowie Arbeits- und Organisationspsychologie.
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