Die Möbelbranche ist längst digital

In unzähligen Geschäftsfeldern kommt der Wandel nur schleppend voran, doch ausgerechnet in der Möbelbranche ist die digitale Revolution in vollem Gange: Mit 3D-Software, maximaler Individualisierung und einem Netzwerk regionaler Schreiner*innen ausgestattet, zeigt die Design-Plattform form.bar die grossen Chancen der Digitalisierung.

Nachhaltigkeit, Klimaverträglichkeit, Regionalität, Qualität – nie zuvor waren diese Themen für Möbelkäufer*innen so wichtig wie heute. Gerade für die jüngere Generation sind zudem Innovation und Individualität wesentliche Erwartungen an Marken und Produkte. Dies alles zu vereinen, kann ohne Digitalisierung nicht gelingen. Das war schon vor Corona klar, doch die Pandemie hat der Digitalisierung massiven Schub verliehen. Vor einem Jahr beziehungsweise vor der Pandemie waren Begriffe wie Homeoffice oder Videokonferenz für die meisten noch ferne Versprechen, inzwischen gehören sie zum Alltag. So wie einst die Pest und andere Krisen zu Innovationstreibern wurden, wird auch Corona unsere Gesellschaft und unser Arbeitsleben tiefgreifend verändern und neue Geschäftsmodelle entstehen lassen. Die Zukunft ist zur Gegenwart geworden. Die digitale Revolution geschieht genau jetzt.

Alessandro Quaranta (rechts) und Nikolas Feth haben das Unternehmen okinlab gegründet, welches die Plattform form.bar entwickelt hat.

In der Möbelbranche sehen wir uns mit form.bar an der Spitze der Bewegung. Mit der vor fünf Jahren gestarteten Design-Plattform vernetzen wir auf der Website form.bar die Wünsche der Kund*innen mit den Schreiner*innen und Tischler*innen vor Ort. Wir geben den Menschen online ein Werkzeug an die Hand, um ihre Vorstellungen vom perfekten Möbel spielerisch umzusetzen – in Echtzeit und 3D. So entstehen Möbel, die so einzigartig wie ein Fingerabdruck sind. Einzigartig ist auch das Geschäftsmodell: Der gesamte Design-to-Production-Prozess ist in einer komplexen, jedoch einfach zu bedienenden Anwendung verpackt.

Wie so oft stand auch bei form.bar am Anfang einer guten Idee ein Problem. Weil ich bei der Einrichtung eines sehr engen Ladenlokals mit herkömmlichen Regalen keine sinnvolle Lösung sah, fragte ich meinen alten Schulfreund Nikolas Feth um Rat. Er ist Architekt und forschte damals an Leichtbauteilen und Bionik. Zusammen fanden wir eine bezahlbare und zugleich spektakuläre Lösung. Uns wurde klar, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet.

Weil er bei der Einrichtung eines engen Ladenlokals keine sinnvolle Lösung sah, fragte Alessandro Quaranta (rechts) bei seinem alten Schulfreund Nikolas Feth (links) um Rat.

Die entscheidende Idee für form.bar kam uns tatsächlich nachts bei einem Bier. Und dann machten wir ernst, tüftelten, diskutierten, Tage und Nächte lang. Nach fast zweijähriger Entwicklungszeit mit vielen Höhen und Tiefen war klar, dass es möglich ist: Möbel nach persönlichen Wünschen, online designt, und – das war uns von Anfang an wichtig – immer regional gefertigt und deshalb besser für die Umwelt und das Klima, aber auch besser für die Kundin oder den Kunden, da es immer einen Ansprechpartner vor Ort gibt und schnell geliefert und reagiert werden kann.

Konkret verbinden wir mit form.bar den Design- mit dem Fertigungsprozess. Das Besondere: Jede Kundin und jeder Kunde kann das Möbel durch Klicken und Ziehen intuitiv selbst gestalten, ohne Vorkenntnisse in Konstruktion oder Architektur. Wir stehen für eine absolut freie Formbarkeit, das heisst, es geht wirklich um Gestaltung, nicht nur um ein rechteckiges Möbel, das fünf Zentimeter breiter und sieben Zentimeter höher wird. Das bietet den riesigen Vorteil, dass man jeden Raum optimal nutzen kann. Enge Flure, hohe Decken – die Möbel passen sich an, ergonomisch. Das ist insbesondere in Zeiten von knappem Wohnraum in den Städten interessant.

Software erstellt Daten für die Fräse

Der oder die Kund*in muss nur wissen, was er oder sie will, und kann dann mit dem 3D-Konfigurator starten. Mit dem komplexen Konstrukt im Hintergrund – Statikprinzipien, mathematischer Optimierung – muss er sich nicht beschäftigen. Ein Algorithmus in der form.bar-Software sorgt dafür, dass sich die Proportionen der einzelnen Elemente harmonisch verändern und das Möbel immer ästhetisch aussieht. Das Ergebnis ist eine neuartige, weiche Formensprache, die sich an der Natur orientiert und das Raumgefühl spürbar angenehm verändert.

Ist das Möbel am Bildschirm fertig, erstellt die Software automatisch die Fertigungsdaten für eine CNC-Fräse und sendet sie an eine Schreinerei in Kund*innennähe. Schon jetzt arbeiten wir mit gut 100 Partner*innen in Europa zusammen. Unser Ziel ist es, dass es rund um den Globus Möbel von form.bar gibt. Dahinter steht die Überzeugung, dass es in der heutigen Zeit mit all ihren Herausforderungen sinnvoller ist, Datensätze statt Möbel durch die Welt zu schicken. Die Ziele von form.bar sind: Nachhaltigkeit, Fairness, Regionalität.

Eine Erfolgsgeschichte

Und das überzeugt immer mehr. 2020 hatten wir mehr Kund*innen und mehr Umsatz als je zuvor , zudem konnten wir uns über Auszeichnungen wie den German Design Award, den Staatspreis für Design oder Titel wie «Testsieger Nachhaltigkeit» freuen. Wir scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Und wir werden diesen Weg fortsetzen; mehr denn je auch international mit dem neuen Service «form.bar Data». Er bietet Kund*innen weltweit die Möglichkeit, statt eines fertigen Möbels den dazugehörigen Datensatz zu erwerben. Das Möbel kann dann überall in Eigenregie hergestellt oder bei einem geeigneten Fertigungsbetrieb produziert werden.

Wie sich form.bar entwickelt hat, von der blossen Idee zu einem erfolgreichen Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeiter*innen und vielen engagierten Partner*innen, ist für uns alle bewegend. Es war und ist vor allem kontinuierliche Arbeit, Leidenschaft, Einfallsreichtum, Zielstrebigkeit, aber auch eine gewisse Flexibilität, die es ermöglichen, die täglich neuen Herausforderungen zu meistern.. Letzten Endes muss alles ineinandergreifen, um zu Erfolg zu führen. Online muss alles passen, die Website muss verständlich sein, die Software muss zuverlässig funktionieren, der Prozess zum fertigen Möbel muss stimmen. Das Wichtigste sind die Menschen hinter der Idee, denn die beste Geschäftsidee ist nichts ohne das Team, das sie umsetzt.


BFH-Events «Holz 4.0»

Im Rahmen der zwölfteiligen digitalen BFH-Veranstaltungsreihe «Holz 4.0» hat Alessandro Quaranta im Interview anlässlich der Veranstaltung «Zukünftige Geschäftsmodelle – Online designt. Regional gefertigt» das neue Geschäftsmodell von form.bar präsentiert. Ebenfalls Teil jener Veranstaltung und wertvoll für die Entwicklung neuartiger Geschäftsmodelle ist der für die Holzbranche erarbeitete «Strategie Check Wald & Holz 4.0», siehe dazu den Artikel «Strategische Handlungsfelder identifizieren».

(https://www.youtube.com/watch?v=phFBJzNTWkk&feature=emb_logo)


Dieser Artikel ist zuerst im Magazin «spirit biel/bienne» der BFH erschienen.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Alessandro Quaranta

Allesandro Quaranta ist Gründer und CEO der Firma okinlab, mit welcher er die Plattform form.bar ins Leben gerufen hat. Mit dieser werden digitale Gestaltungsmöglichkeiten mit Handwerksarbeiten beim Schreiner vor Ort verbunden. 2019 erhielt form.bar unter anderem den German Brand Award & den Saarländischen Staatspreis für Design.

Create PDF

Ähnliche Beiträge

Es wurden leider keine ähnlichen Beiträge gefunden.

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert