Welche Barrieren es für Blinde im Netz gibt

Für blinde Menschen ist das Internet oftmals schwer zugänglich. Sie sind auf barrierefreie Websites angewiesen  oder auf entsprechende Software. Auf welche Hindernisse sie in der Onlinewelt noch immer treffen, erzählt Daniele Corciulo im Interview. Der 35-jährige Accessibility-Consultant ist seit seiner Geburt blind  und plädiert für strengere Gesetze und eine bessere Ausbildung.

Daniele Corciulo ist als eAccessibility-Experte an der Universität Zürich.

Herr Corciulo, erleben Sie Online-Shopping als hilfreich oder als Ärgernis?
Daniele Corciulo: Es wäre hilfreich, wenn es funktionieren würde. Das tut es leider meistens nicht. Wenn ich in einem Laden einkaufe, muss ich mich auf das Verkaufspersonal verlassen. Dieses fragt mich, was ich möchte. Dadurch entgehen mir saisonale Produkte oder spezielle Aktionen. Auf einer barrierefreien Website fände ich solche Informationen. Gerade grosse Dinge wie einen Drucker würde ich gerne online bestellen und nach Hause liefern lassen. Da ich nicht Auto fahre, käme mir dies entgegen.

 Auf welche Barrieren stossen Sie, wenn Sie beispielsweise Lebensmittel bestellen möchten?
Auf einige. Kürzlich habe ich Rösti und Hackfleisch bestellt. Die Eingabefelder, in denen man die Menge angeben muss, waren nicht näher spezifiziert. Also habe ich im ersten 3 und im zweiten 30 eingetragen. Das war genau verkehrt. Ich hätte meine halbe Nachbarschaft zu einer Rösti einladen können. Zurückgeben kann ich die Waren in solchen Fällen kaum. Die Händler sind nicht sehr kulant. Meist habe ich ein Produkt bereits ausgepackt. Dass ich eine falsche DVD erhalten habe, merke ich ja erst, wenn ich sie abspiele.

Sie wissen also bis zum Erhalt nicht, ob Sie das richtige Produkt bestellt haben?
Genau. Im schlechtesten Fall kann ich online gar nicht einkaufen. Und wenn ich es schaffe, den Kaufvorgang abzuschliessen, passieren häufig Fehler. Das ist schade, hätte Online-Shopping doch extrem viel Potenzial.

Sind die Dienstleistungen der öffentlichen Hand zugänglicher?
Insgesamt schon. Es gibt aber grosse Unterschiede. Ich staune etwa, dass es die IV immer noch nicht schafft, ihre Informationen digital und in einem barrierefreien Format zu übermitteln. Auch die öffentliche Verwaltung ist noch nicht so weit, wie sie es sein könnte.

Welche Erfahrungen machen Sie mit Nachrichtenportalen?
Schlechte. Sie sind nicht zugänglich. «20 Minuten» zum Beispiel hat gerade ein Update ihrer App gemacht. Für Menschen mit einer Sehbehinderung ist sie nun schlechter bedienbar als früher.

Sind sich die Unternehmen der Problematik zu wenig bewusst?
Die Sensibilität fehlt. Ich glaube nicht, dass es böser Wille ist. Viele denken, dass es sich der Aufwand nicht lohnt. Sie sind sich nicht bewusst, dass in der Schweiz 1 von 5 Personen eine Behinderung hat. Sie erkennen nicht, dass da auch ein Markt besteht.

Was braucht es, damit Unternehmen mehr in E-Accessibility investieren?
Das Commitment der Gesellschaft, Barrierefreiheit zu schaffen. Und man muss die Gesetze anpassen. Im Moment gibt es keine Möglichkeit, gegen private Unternehmen gerichtlich vorzugehen.

 Müsste die Politik den Druck erhöhen?
Ja. Sonst ändert sich nicht viel. In den USA, wo es strengere Gesetze gibt, scheint dies zu funktionieren.

Die moderne Informationsgesellschaft ist stark digital geprägt. Fühlen Sie sich von dieser manchmal ausgeschlossen?
Ich bin ein grosser Gadget-Freak. Ich nutze alle technischen Hilfsmittel, die es gibt. Kürzlich konnte ich auf der Playstation zum ersten Mal in meinem Leben ein Video-Spiel spielen. Das war ein Wow-Erlebnis. Leider werden die Chancen, welche die Digitalisierung bietet, viel zu wenig genutzt. Wenn Angebote nicht barrierefrei sind, fühle ich mich ausgeschlossen. Ja, das ist so.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich daran in den nächsten Jahren substanziell etwas ändern wird?
Wenn ich mein Stimmungsbarometer am Video-Spiel ausrichte, bin ich zuversichtlich. Wenn es Herstellern gelingt, barrierefreie Spiele zu entwickeln, müsste E-Accessibility für andere, einfachere Anwendungen doch ein Klacks sein. Wichtig wäre es, barrierefreies Design in der Ausbildung stärker zu gewichten. Es müsste als eigenes Fach unterrichtet und bewertet werden.

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AUTHOR: Eveline Rutz

Eveline Rutz ist freie Journalistin. Sie schreibt vor allem über politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Themen. Den Artikel hat sie im Auftrag des Vereins eCH verfasst, der Standards im Bereich E-Government entwickelt – für eine effiziente digitale Zusammenarbeit zwischen Behörden, Unternehmen und Privaten.

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