«Denken Sie, Ihr Job könnte von einem Roboter übernommen werden?»

«Aimeriez-vous qu’un robot prenne soin de vous?» – mit Fragen wie dieser lädt das Neue Museum Biel in zwei aktuelle Ausstellungen ein: Hello, Robot – Design zwischen Mensch und Maschine, welche einen facettenreichen Blick auf das sich verändernde Mensch-Maschine Verhältnis wirft und Biel/Bienne 4.0 – Revolutionen an der Arbeit seit 1800, die die historischen Veränderungen der Arbeitswelt am lokalen Standort Biel in den Blick nimmt.

In ihrer Gegenüberstellung werfen die zwei Ausstellungen drängende Fragen zu den sozialen, politischen und ethischen Implikationen einer Arbeitswelt 4.0 auf. Diese sollten bei der Nacht der Tausend Fragen, die für den 24. Oktober geplant war, mit einer interessierten Öffentlichkeit aufgegriffen und diskutiert werden. Doch mit der Schliessung des Museums aufgrund der Covid-19 Massnahmen wurden auch alle geplanten Veranstaltungen vor Ort abgesagt. Was aber wäre eine Ausstellung zur Arbeit 4.0 wenn man nicht kurzerhand eine technische Lösung gefunden und die Debatte in einem virtuellen Live Stream übertragen hätte? Genau!

Von der analogen, persönlichen Debatte zum virtuellen Livestream

Diese technische Umstellung brachte zwei wichtige Erkenntnisse. Lassen Sie mich kurz erklären: Zu der Debatte eingeladen hatte der Kurator der Ausstellung Florian Eitel. Teilnehmende waren aus der Welt der Technik Bernat Palou vom Verein für gemeinschaftliche Forschung in mikrotechnischen Produktionsmitteln, als Vertreter der Perspektive der Arbeitnehmenden Beat Baumann (UNIA) sowie Sarah Dégallier Rochat (BFH-TI) und ich (Nada Endrissat, BFH-W) als Vertreterinnen aus der Forschung. Dieser diverse Kreis hätte zweifellos dem Publikum Rede und Antwort auf Fragen der unterschiedlichsten Art geben können. Und Fragen zur Arbeit 4.0 gibt es genug. Während die Vorteile der Automatisierung für die Produktivität und die Kundenorientierung offensichtlich scheinen, sind die langfristigen Folgen für die Quantität und Qualität der Arbeit ungewiss. Offen ist auch, warum das Versprechen einer 15-Stunden Woche, wie sie seit den 1970er Jahren von Automatisierungs-Befürwortern und Ökonomen propagiert wird trotz wesentlicher Produktivitätsgewinne noch immer nicht eingelöst ist. Aber auch: Welche Möglichkeiten der Re-Humanisierung von sehr eintöniger, hoch repetitiver und ermüdender Arbeit kann Automatisierung bringen? Wie kann Automatisierung den Schweizer Wirtschaftsstandort stärken und wer ist verantwortlich für die als notwendig erachteten Up- und Re-skilling Initiativen für die Beschäftigten? Kurz und gut: Am Thema Arbeit 4.0 wird nichts Geringeres als die Auswirkungen der Digitalisierung auf unseren Gesellschaftsvertrag und die Zukunft einer Digital Society verhandelt, mit all ihren essenziellen Fragen nach demokratischer Beteiligung, sozialer (Un)Gleichheit und Tendenzen zu Polarisierungen. Soweit zur Relevanz.

The Medium is the Message? Live-Stream illustriert Arbeit 4.0

Obwohl diese Fragen von den Teilnehmenden der Debatte aufgegriffen wurden, machten die COVID-19 Auflagen eine «echte» Interaktion schwierig. Der Debatte, so wichtig sie war und ist, fehlte etwas: der tatsächliche Austausch, die wirkliche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen. Lag es womöglich an dem Medium der virtuellen Übertragung? In den 60er Jahren prägte Marshall McLuhan die provokante Aussage «the medium is the message». Damit wollte der kanadische Medientheoretiker darauf aufmerksam machen, dass neben dem Inhalt einer Nachricht das Medium der Vermittlung ganz zentral ist. Demnach verändern neue Kommunikationsmedien (Technologien) unsere Interaktionen und beeinflussen so tatsächlich auch die Themen, über die wir sprechen. Unbeabsichtigt erweiterte die Debatte via Live Stream so die Ausstellungen und liess alle Beteiligten Arbeit 4.0 erleben. Die technisch vermittelte Diskussion als Artefakt einer veränderten Mensch-Maschine Interaktion gab uns eine Ahnung darauf, welche Konsequenzen eine virtuelle Arbeitswelt auf die Form unserer Diskussion haben kann. Soweit zur ersten Erkenntnis.

«Ringen» um Verständigung profitiert von persönlicher Begegnung.

Neue Informations- und Kommunikationstechnologien geben vor, uns alle näher zusammen zu bringen und Kollaborationen zu fördern. Doch oftmals tritt das Gegenteil ein: Langfristig führt ein starker Gebrauch von Kommunikationstechnologien zu Isolation, Einsamkeit, und zunehmender Polarisierung. Studien von renommierten Forscherinnen wie Sherry Turkle am MIT zeigen dies eindrücklich. Gleichzeitig sind Technologien von der neuen Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Apps wie Zoom, MS Teams oder Skype führen ihren unschätzbaren Wert während der COVID Pandemie täglich vor. Sie ermöglichen die Durchführung und den Erhalt von Arbeitsbeziehungen, Sitzungen und Besprechungen. Und doch gibt es auch eine Art Ernüchterung und Ermüdung (die sogenannte «zoom-fatigue»). Virtuelle Diskussionen und Meetings enden oft unbefriedigend, Entscheidungen werden vertagt, unangenehme Abstimmungen erweisen sich als schwierig. Der Austausch will oft einfach nicht gelingen. Wohlgemerkt: Sherry Turkle bedient in ihren Büchern «Alone Together» und «Reclaiming Conversation» keinen Anti-Technologie Diskurs. Stattdessen macht sich Turkle für den Erhalt des persönlichen Dialogs stark. Sie unterstreicht die Bedeutung eines Austauschs von Angesicht-zu-Angesicht, der durch Präsenz, Empathie und Verbindlichkeit geprägt ist. Anlässe wie die ursprünglich geplante Debatte sind ein gutes Beispiel dafür wie unterschiedliche Positionen im «Hier und Jetzt» zusammen gebracht werden können und illustrieren wie die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft vom Meinungsstreit und Kompromissen profitieren kann. Die Message bleibt zentral. Das ist die zweite Einsicht.

Hoffentlich sind solche Begegnungen bald wieder möglich. Die Diskussion rund um Arbeit 4.0 und die Zukunft unserer Gesellschaft darf sich nicht im virtuellen Raum verlieren, sondern muss «greifbar» und «nah» bleiben. Wenn die Türen des Museums demnächst wieder aufgehen, nutzen Sie die Chance eines Ausstellungsbesuchs in Biel. Und dann sollten wir sprechen. Am besten persönlich.


Literatur

  1. McLuhan, Marshall (1964). Understanding Media: The Extensions of Man. New York. McGraw Hill.
  2. Turkle, S. (2011). Alone Together: Why we expect more from technology and less from each other. Hachette UK.
  3. Turkle, S. (2016). Reclaiming conversation: The power of talk in a digital age. Penguin.

Arbeit 4.0 an der BFH

Am BHF Zentrum Digital Society und den assoziierten Instituten wird aktuell an Themen rund um das Thema Arbeit 4.0 geforscht. Eine Auswahl an Projekten:

  1. Hack4SocialGood 
  2. Gendered IT 
  3. CODIMAN 

Interessierte kontaktieren gerne die Autorin direkt.


Neues Museum Biel

Die Debatte auf der Homepage des Neuen Museums Biel.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Nada Endrissat

Prof. Dr. Nada Endrissat ist Mitarbeiterin in der Fachgruppe Neue Arbeits- und Organisationsformen am Institut New Work der BFH Wirtschaft.

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