Lehren aus Covid-19 – Wie an Hochschulen digital unterrichtet werden kann (2)

Bislang wird das Potential existierender Plattformen für den Online-Unterricht nur zu einem geringen Teil genutzt. Im Folgenden sollen drei Szenarien aufzeigen, wie digitaler Hochschulunterricht attraktiv gestaltet werden könnte. Sie basieren auf bisherigen Erfahrungen im Unterricht und mit hybrid durchgeführten wissenschaftlichen Konferenzen.

Szenario 1: Drei Bildschirme für Präsentationen und Plenumsdiskussionen

Idealerweise haben Dozierende für den Online-Unterricht mindestens drei Bildschirme zur Verfügung:

  1. Einen Bildschirm für das benötigte Unterrichtsmaterial, das Erstellen von Notizen während des Unterrichtens (und eventuell das nicht mit den Studierenden geteilte Suchen nach digitalen Unterrichtsressourcen)
  2. Einen Bildschirm für den visuellen Teil des Unterrichtens mit Präsentieren, Vorzeigen und Demonstrieren
  3. Einen Bildschirm für das Beobachten der Interaktionen der Studierenden, um darauf eingehen zu können

Bildschirm A kann im Notfall teilweise durch gedruckte Unterlagen ersetzt werden. Bildschirm B muss eventuell aufgeteilt werden in unterschiedliche Inhalte oder sogar auf zwei physische Bildschirme verteilt werden. Auf ihm werden auch die Präsentationen der Studierenden gezeigt. Bildschirm C kann nicht nur genutzt werden, um den Chat unter den Studierenden zu folgen, sondern auch dafür, Studierende etwas zeigen zu lassen. Selbstverständlich ist es wichtig, auf Bildschirm A und Bildschirm B dieselben Dokumente unterschiedlich darstellen zu können und Daten von Bildschirm C auf dem Unterrichtsmaterial von Bildschirm A speichern zu können.

Die Vielzahl der Bildschirme mag auf den ersten Blick erstaunen und überflüssig erscheinen. Schlussendlich virtualisiert sie aber die Situation in einem klassischen Unterrichtssetting. In diesem verwenden Dozierenende einen PC oder weitere Unterlagen als Bildschirm A, projizieren für alle sichtbar etwas auf eine Leinwand (Bildschirm B). Darüber hinaus interagieren sie direkt mit den Studierenden, was nun online über den Bildschirm C geschieht.

In der aktuellen Situation mit Distance Learning aus dem Home Office heraus muss oft auf Bildschirm C verzichtet werden. Dies führt dann zu doppelter Frustration: Auf der einen Seite fühlen Dozierende sich, als ob sie in ein «schwarzes Loch» reden. Auf der anderen Seite  haben Studierende den Eindruck, dass ihre Rückmeldungen untergehen und sie nicht einbezogen werden.

Für Studierende sind drei Bildschirme ebenfalls von Vorteil:

  1. Ein Bildschirm für das visuelle Verfolgen der Vorlesung
  2. Ein Bildschirm für das Erstellen eigener Notizen
  3. Ein Bildschirm für die Interaktion mit anderen

Dabei sollen eigene Beiträge zur Vorlesung je nach Kontext entweder auf Bildschirm A oder Bildschirm B gezeigt werden. Auf Bildschirm C kann der oder die Dozierende beobachtet werden.

Auch dies ist analog zur Vor-Ort-Situation, wo Studierende eine Präsentation verfolgen (Bildschirm A), sich Notizen auf ihrem Notebook oder auch Papier machen (Bildschirm B). Ein weiterer Bildschirm C ist vor Ort dann wieder nicht notwendig – wobei es an Hochschulen durchaus üblich ist, dass die Studierenden sich in einem Klassenchat direkt im Unterricht untereinander austauschen.

Die Bildschirme A, B und C sind in beiden Fällen zuerst einmal logische Konzepte. Es ist aber sinnvoll, diese Konzepte 1-zu-1 konkreten physischen Bildschirmen zuzuordnen, weil dieser Verzicht auf eine adaptive Zuordnung die Nutzung überschaubarer macht und damit wesentlich vereinfacht.

Szenario 2: Shared Board(s) und Floating Professor für Breakout-Sessions und Projektarbeit

Für Online Breakout Sessions braucht es virtuelle Arbeitsräume, welche idealerweise ebenfalls mittels dreier Bildschirme genutzt werden:

  1. Ein Bildschirm für das gemeinsame Entwickeln von Artefakten, der verschiedene Applikationen unterstützt, konkret
    1. ein Shared Board – d.h. ein gemeinsam nutzbares Whiteboard – mittels dem gemeinsam Ideen gesammelt und Konzepte entwickelt werden können
    2. gemeinsame Text- und Präsentationsdokumente, um die Ergebnisse der Arbeit zu dokumentieren und anschliessend teilen zu könne
  2. Ein Bildschirm für die soziale Interaktion mit Videos der Beteiligten und der Möglichkeiten, sich gegenseitig Gegenstände zeigen zu können
  3. Ein Bildschirm für das Erstellen privater Lernnotizen

Dieses Szenario kann auch bei Projektarbeiten genutzt werden, mit dem Unterschied, dass über Bildschirm B noch asynchron Nachrichten per Chat ausgetauscht werden können sollten und dass zusätzlich der Projektstatus über diesen Bildschirm sichtbar gemacht werden sollte.

Für die Dozierenden ist es wichtig, derartige Arbeitsräume einfach erstellen zu können und bei Bedarf Studierende diesen zuzuordnen, entweder auf der Basis von expliziten Überlegungen oder rein zufällig. Zusätzlich ist es wichtig, dass sie sich zwischen Arbeitsräumen einfach hin und her bewegen können, um zu sehen, wie gut die Arbeit läuft und ob ex explizite Hilfestellungen braucht. Ideal wäre sogar, wenn sie mehrere Räume gleichzeitig sehen könnten. Frei nach Sudhir Venkateshs Floating City kann in dem Fall von «Floating Professors» gesprochen werden, die dafür ebenfalls wieder drei Bildschirme benötigen. Jedoch bieten nicht alle im Unterricht eingesetzten Produkte alle diese Möglichkeiten.

Szenario 3: Hybrider Unterricht

Der hybride Unterricht stellt ein grosses Problem dar, weil er unter den Studierenden eine Zweiklassen-Gesellschaft schafft und von den Dozierenden eine faire Interaktion mit beiden Klassen verlangt. Welches Setup jeweils vorzuziehen ist, hängt von der Grösse der Gruppe der Online-Teilnehmenden und vom Anspruch an die Qualität der Interaktion ab. Gibt es nur wenige Online-Teilnehmende, so ist die Aufnahme des Unterrichtsraums ergänzt um verteilte Raummikrofone eine gute Lösung für diese. Im Unterrichtsraum sollte zusätzlich ein Bildschirm auf eine Leinwand projiziert werden, auf dem die Online-Teilnehmenden zu sehen sind und symbolisch die Hand heben können, wenn sie Fragen stellen oder Antworten auf Fragen geben wollen. Wichtig ist, dass sich beide Gruppen gegenseitig sehen können, um ein Minimum an Gleichheit herzustellen.

Gibt es dagegen viele Online-Teilnehmende, so empfiehlt sich, dass Dozierende zusätzlich einen zweiten privaten Bildschirm nutzen. Das entspricht dem 3-Bildschirm-Szenario des Online-Unterrichts, wobei es anstelle des dritten privaten Bildschirms die Projektion im Klassenraum gibt, welche auch online geteilt wird. Studierende vor Ort können – bei entsprechenden Apps – am Klassenchat über das Smartphone oder Notebooks teilnehmen. Studierende zu Hause haben natürlich vorteilhafter Weise drei Bildschirme wie beim kompletten Online-Unterricht.

Gibt es nur wenige Studierende vor Ort, ist ein Szenario sinnvoll, in dem alle mit Headsets ausgestattet sind. Für Dozierende ist ein angestecktes Mikrofon dem Raummikrofon vorzuziehen. Doch Erfahrungen mit hybriden wissenschaftlichen Konferenzen zeigen, dass in vielen Settings Raummikrofone eine gute Lösung sind, wenn die Sprecher häufig wechseln und interaktiv diskutiert wird.

Voraussetzungen und Verbesserungen

Voraussetzung für eine aktive Online-Teilnahme ist eine schnelle und stabile Internet-Verbindung. Das Zeigen eigener Beiträge muss sich zudem auf Präsentationen beschränken, die diese Verbindung bewältigt. Diese Einschränkung gilt für Dozierende wie für Studierende. Online-Unterrichten ist deshalb nicht von jedem Ort der Welt gleich gut möglich. Aus Spitälern heraus ist es beispielsweise oft schwierig, wie die Erfahrungen der letzten Monate gezeigt haben.

Zudem braucht es natürlich am Ort der Teilnahme genügend Bildschirme. Idealerweise werden in Zukunft auch die Kollaborationstools und die Betriebssysteme solch ein Setting unterstützen, damit man es nicht selbst mühsam konstruieren muss. Eine engere Verknüpfung der einzelnen Arbeitswerkzeuge – beispielsweise Teams und Powerpoint – würde ebenfalls das Arbeiten erleichtern. Möglicherweise hat man mit besten Absichten intelligente Hilfen für Ersteinsteiger schaffen wollen. Im Stress der Unterrichtssituation sind aber intelligente Werkzeuge oft mehr Belastung als Hilfe. Eine klare Schichtenarchitektur-Logik und ein wohldefiniertes konzeptionelles Modell würden die Nutzererfahrung (UX) wesentlich verbessern.

Wie viele Teilnehmende gut gehandelt werden können in einer Online-Vorlesung ist – ähnlich wie bei einer konventionellen Vorlesung – eine Frage von Anspruch und didaktischen Ambitionen und Fähigkeiten – immer vorausgesetzt, dass die benutzte Software und die reservierten Cloud-Ressourcen die jeweilige Teilnehmerzahl zulassen und damit stabil laufen. Letzteres war in den letzten Monaten (und Tagen) nicht immer der Fall – unter anderem, weil die Anbieter ihre Ressourcen aufstockten und das meist auch technische Kurzzeitprobleme mit sich bringt. Eine Online-Vorlesung kann prinzipiell auch besser skalieren als eine Vor-Ort-Veranstaltung, indem Einschränkungen z.B. aufgrund der Raumgrösse oder Akustik wegfallen. Und sie bietet zusätzliche Möglichkeiten wie Aufzeichnungen. Diese sind quasi gratis möglich und werden von den Studierenden sehr geschätzt

Weitergehende Szenarien

Szenario 2 kann, wie skizziert, auch für Projektarbeit genutzt werden. Dies ermöglicht auch Unterricht und Projekte mit Studierenden unterschiedlicher Hochschulen verschiedener Länder – oder sogar verschiedener Kontinente. 2004 startete die Universität Zürich mit Rolf Pfeifers AI Lectures from Tokyo erstmals ein Experiment in Global Teaching als Teil des konventionellen Vorlesungsprogramms. Aktuell gibt es verschiedene Institutionen und Initiativen zu Global Teaching, doch etabliert hat es sich an mitteleuropäischen Hochschulen nicht. State-of-the-Art ist vorerst «nur» die Durchführung von Projekten im Ausland als Teil ausgewählter Vorlesungen. (Am Departement Wirtschaft der Berner Fachhochschule beispielsweise im Bachelor-Programm zum Thema Nachhaltigkeit und im neuen Masterprogramm «Digital Business Administration».)

Die Zukunft wird Global Teaching fördern – und zwar nicht nur im Sinne von MOOCs, sondern auch im Sinne konventioneller Vorlesungen für Studierende verschiedener Hochschulen. Wie in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens auch erweist sich die Gesundheitskrise als «noch ein Glück» für die Hochschulen, weil sie die digitale Transformation vorwärtstreibt. (Auch wenn das nichts an Tante Joleschs Weisheit ändert, dass Gott uns vor allem bewahren möchte, was noch ein Glück ist).


Acknowledgements

Unser Dank gilt allen Kolleg*innen, mit den wir uns austauschen konnten im Alltag des Unterrichtens – insbesondere Andreas Ninck, Simon Burger und Nina Gasche – sowie Anne-Careen Stoltze für das Lektorat. Für uns war und ist das Mitmachen der Studierenden im digitalen Transformationsprozess eine wichtige Motivationsquelle. Zu einem erfolgreichen digitalen Unterricht gehören nämlich alle drei Seiten: Dozierende, Studierende und die Technologie.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Reto Jud

Reto Jud ist Studiengangsleiter Wirtschaftsinformatik an der BFH Wirtschaft.

AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

Create PDF

Ähnliche Beiträge

Es wurden leider keine ähnlichen Beiträge gefunden.

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert