Transformation von Unternehmen in der Covid-19-Krise (3) – Konkrete Empfehlungen

Die Gesundheitskrise hat die digitale Transformation beschleunigt. Wir stehen vor einem grossen Umbau der Wirtschaft. Für Unternehmen ist es jetzt wichtig, die für sie passenden, strategischen Entscheidungen zu treffen. Sie müssen sich von vielem trennen – zuallererst von ihren Schönwetterreden an die eigenen Mitarbeitenden. 

Die Krise hat vieles beschleunigt und die Vorreiter in Sachen Transformation bestätigt – von der modernen Mitarbeiterführung bis zur Digitalisierung. Daraus können alle Unternehmen ihre Lehren ziehen. Konkret empfiehlt sich:

  1. Gesundheitsförderung: Unternehmen sollten aktiv die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden fördern: Bei Pandemien zählt ebenso dazu, rasche Tests für die Betroffenen zu organisieren, wie auch die Förderung der Fitness in einem allfälligen Lockdown. Auch zu anderen Zeiten sind die Ermöglichung von Sport, das Angebot von Entspannungsgelegenheiten während der Arbeitszeit und ein langsamer Einstieg nach langen Krankheiten wichtig. Entscheidend ist, dass die genannten Hilfen respektvoll und nicht fordernd angeboten werden und dass individuell auf die Mitarbeitenden eingegangen wird. Sinnvoll ist es zudem, dass Mitarbeitende mit schwierigen Familiensituationen unterstützt werden. Im Lockdown war beispielsweise für viele Eltern und Alleinerziehende das Homeschooling eine grosse Belastung. Für die praktische Umsetzung der Gesundheitsförderung braucht es Gesundheitsbeauftragte, der die Unternehmensspitze vertrauen und zuhören. In Grossunternehmen wird dies oft ein Vollzeitjob sein, in KMU eine Teilzeitstelle. Es könnte aber auch der Service einer Klinik sein.
  1. Bessere interne Synchronisation: Unternehmen müssen die unternehmensinterne Abstimmung der Tätigkeiten konsequenter fördern. Wenn es weniger physische Präsenz gibt, braucht es mehr explizite Synchronisationspunkte, weil die zufälligen Treffen in Teeküche oder Kantine seltener werden und die kurzen Wege ins Nachbarbüro wegfallen. Das schadet der Effektivität, Effizienz und Qualität – und es fördert Wut und Frustration. Fröhliche virtuelle Pausenkaffees sind nett, aber lösen das Problem nicht, denn es geht um Feedback und Abstimmung des Tuns. Alle Aktivitäten entweder in ein Projekt oder einen Geschäftsprozess zu packen löst das Problem ebenfalls nicht. Wichtiger ist unter Mitarbeitenden das «Spiel ohne Ball» zu etablieren und dies digital zu unterstützen. Auch eine Weiterbildung in Bezug auf Auftraggeber- und Auftragnehmer-Rollen kann vieles verbessern. Besonders kritisch ist die Synchronisation überall dort, wo gestresste Überbeschäftigte mit Menschen mit viel Zeit oder viel Freiheit kooperieren müssen.
  1. Verbesserte Intranets (und Web-Präsenz): Seit 25 Jahren sind Intranets eine Quelle des Organisationsfortschritts. Sie haben Grossunternehmen und grosse KMU um vieles effizienter gemacht, obwohl sie einst bekämpft wurden. Ebenso ein Vierteljahrhundert alt sind aber auch die Klagen über Intranets, in denen man nichts findet. Hinzu gekommen sind in den letzten Jahren Klagen über Webauftritte mit einer unübersichtlichen Seitenstruktur. Neue Kollaborationstechnologien haben teilweise das Verstreuen von Information sogar als explizites Feature eingebaut. Unternehmen müssen diese Probleme anpacken und ein situativ optimales Finden von Informationen ermöglichen. Denn je weniger leicht die Wissensträger*innen spontan direkt ansprechbar sind, desto wichtiger werden die Informationen im Intranet.
  1. Orientierung an digitalen Nomaden: Digitale Nomaden haben gelernt, von irgendwo aus zu arbeiten. Unternehmen, welche aufgrund von Covid-19 oder aus anderen Gründen auf weniger Präsenz setzen, können von digitalen Nomaden lernen, was die tatsächlichen Bedürfnisse sind und diese in den eigenen Organisationskontext übersetzen. Dies tut man am besten, in dem man mit digitalen Nomaden zusammenarbeitet oder sie in die eigenen Teams integriert.

Die Erfahrungen mit Online-Konferenzen sind zwiespältig: Sie sparen viel Zeit, aber sie eliminieren auch weitgehend den kreativen Austausch, der bei physischen Treffen spontan zustande kommt. Besonders speziell sind Online-Vorträge: Viele Videokonferenz-Vortragende sausen so schnell durch ihren Vortrag, dass die Gefahr besteht, dass Zuhörer*innen nicht mehr folgen können und abschalten. Gut funktionieren allerdings Online-Gruppen-Diskussionen in kleinen Gruppen, wenn die Infrastruktur dafür vorbereitet wird.

  1. Bewusste Wahl des Mediums für Arbeitssitzungen: Die Führungspersonen sollten sich aktiv darum kümmern, dass eine vernünftige Medienkultur für Arbeitssitzungen eingeführt wird – und selbstverständlich mit gutem Beispiel vorangehen: Online-Sitzungen sind für effizientes Entscheiden, einen Perspektivenaustausch in der Gruppe, sowie für kreatives Arbeiten in Kleingruppen ideal. Sie sparen viel Zeit und erleichtern die Terminfindung. Offline-Sitzungen und Offline-Treffen sind für den Adhoc-Austausch unerlässlich. Nähe vermittelt man überhaupt nur, wenn man einen Tisch teilt. Gesehen werden genügt nicht und führt im Fall beispielsweise von Nichtgrüssen sogar zum Gefühl eines Abstands. Die digitale Arbeitsraumstruktur ist entscheidend für effizientes Arbeiten. Sie muss zwingend überschaubar bleiben. Das Chaos, welche Kollaborationssoftware oft als Feature verkauft, muss dringlichst reduziert werden.

Die Entschleunigung durch die Krise hat in manchen Bereichen grossen Schaden angerichtet, in anderen blieb sie ohne Wirkung und in wieder anderen erhöhte sie sogar die Produktivität. In einer Wettbewerbswirtschaft zwingt dies Unternehmen zur Reaktion, wenn sie überleben wollen. Diese Reaktionen wiederum fordert viel von den Mitarbeitenden. Darum empfiehlt sich:

  1. Radikales Tätigkeiten-Scanning: Alle Aktivitäten sollten darauf hin überprüft werden, ob sie a) tatsächlich belegbaren Wert schaffen, b) durch intelligente digitale Werkzeuge entweder billiger oder besser ausgeführt werden können, c) zu den Kund*innen, in die Crowd oder zu Externen ausgelagert werden können, d) über Plattformen skaliert, erweitert oder für andere angeboten werden können und e) in Bezug auf ihre Zielausrichtung grundlegend transformiert werden können, um mehr Wert zu schaffen. Zentral dabei ist die Digitalisierung, die aber Mittel zum Zweck sein muss und nicht Selbstzweck sein darf. Sie kann vor allem in drei Stossrichtungen eingesetzt werden: Transparenz schaffen, Arbeit digital unterstützen und Tätigkeiten vernetzen.
  2. Fokussierung auf den Marktwert der Mitarbeitenden: Deklarierte Wertschätzung ist gut für Befindlichkeiten. Lob hört fast jeder gern. Beides hilft nicht, um Spitzenleistungen zu erzielen oder die Ausrichtung tatsächlich zu ändern. Extrinsische Anreize sind nützlicher, aber ebenfalls nicht ausreichend. Was zählt, ist, dass Mitarbeitende erleben, wie ihr Marktwert durch die Arbeit im Unternehmen steigt. Dies macht sogar weitgehende Ausbeutung erträglich. Universitäten und Techgiganten demonstrieren dies tagtäglich. In Zeiten des Umbaus, in denen alte Werte zerbrechen, kennt wahre Wertschätzung nur zwei Kriterien: direkte Vergütung und Steigerung des Marktwerts.

Darüber hinaus gilt es in unruhigen Zeiten, klaren Kopf zu bewahren. Viele verhalten sich irrationaler als sonst, weil ihre bewährten Heuristiken nicht mehr passen und sie die Veränderungen nicht verstehen. Lineares Denken verführt fast alle von uns zu falschen Erwartungen. Und Wunschdenken gibt Signalen eine Relevanz, die sie nicht besitzen. So haben beispielsweise entgegen der Erwartungen in manchen Ländern Fussballclubs trotz der Geisterspiele mehr Sponsoring-Gelder eingenommen als sonst, weil es keine anderen Sportveranstaltungen gab. Doch die Dauerhaftigkeit dieses Trends ist unwahrscheinlich.

In der aktuellen Situation ist permanentes Mitdenken entscheidend. Unerwartete kurzfristige wie unerwartete langfristige Chancen sollten konsequent genutzt werden. Disziplinierte Agilität ist dabei die Kernkompetenz der Gegenwart. Radikale Transformationen und extreme Geschäftslogiken sind im Umbruch chancenreicher als sonst. Wer die Welt neu denken will: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür!


Acknowledgements

Der Dank gilt allen, die durch inhaltliche Inputs zu diesem Text beigetragen haben – insbesondere jenen, welche Argumente für die Empfehlungen 6 und 7 geliefert haben. Sie werden nicht genannt, um sie nicht in Erklärungsnot zu bringen. Konkreten Input zur Online-Arbeit haben Heinrich Zimmermann und Reto Jud, sowie viele weitere Kolleg*innen, geleistet. Der Dank für das Lektorat geht an Anne-Careen Stoltze-Siebmann.


Literatur

  1. Michel Anteby: Manufacturing Morals – The Values of Silence in Business, University of Chicago Press 2013.
  2. Hans Gerd Prodoehl: Der abstrakte Mensch: Dramen und Paradoxien des Wirtschaftslebens im 21. Jahrhundert, Springer Verlag 2017.
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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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