Digitaler Sport in der Covid-19-Krise (3) – Visionär handeln tut jetzt not!

Finanzielle Unterstützung für Vereine und Sicherheitskonzepte für Zuschauer*innen sind notwendig, aber nicht hinreichend, um dem Sport über die Krise zu helfen. Es braucht auch mehr Digitalisierung – und zwar jetzt, hier und heute!

Die Gesundheitskrise wird uns noch länger begleiten und den Sport vor Herausforderungen stellen. Gute Sicherheitskonzepte und staatliche Finanzhilfen bleiben notwendig, damit der Sport gut durch die Krise kommt. Dabei gilt: Je besser das Tracing von Ansteckungen funktioniert und je aussagekräftiger die analytischen Risikoauswertungen sind, desto besser für den Sport – und für alle anderen Tätigkeiten, die vom Publikum leben und bei der Kerntätigkeit ein Social Distancing ausschliessen.

Doch ein reines Abfedern der finanziellen Folgen ist zu wenig. Gleichzeitig ist es wichtig, innovative Ansätze zur Digitalisierung für den Sport zu adaptieren und damit Chancen der Popularisierung von Sport zu nutzen, welche bislang ignoriert wurden. Dabei können alle involvierten Akteure davon profitieren, dass die digitalen Technologien immer billiger und besser werden, aber auch das Knowhow zunimmt, wie digitale Möglichkeiten professionell genutzt werden können.

Drei digitale Handlungsfelder

Wichtig ist, dass in Vereinen und Verbänden neu auch digitale Prioritäten setzen, denn es gibt drei dringliche digitale Handlungsfelder im Sport:

A) Weiterentwicklung des Coachings und Selbstcoachings mit digitalen Instrumenten, d.h.
1) Remote/Online Training und Coaching

2) Datenbasierte, computergenerierte Analyse sportlicher Leistungen und Steuerung des Trainings

B) Weiterentwicklung der Nutzung von digitalem Content, d.h.

1) Digitale Formate für Publikumsevents, welche zugleich attraktiveres und breiteres Dabeisein ermöglichen

2) Valorisierung von Multimedia-Daten zu Events und für die Bewerbung von Events

C) Aufbau von Online-Communities, d.h. insbesondere durch virtuelles Fan-Engagement.

Handlungsfeld A.1 wird derzeit als überflüssig angesehen, weil viele überzeugt sind, dass in Bezug auf Lockdowns ein NEVER AGAIN gilt. Ob dies eine gute Wette ist oder fahrlässig, wird die Zukunft zeigen. Im Handlungsfeld A.2 stehen wir am Anfang einer Entwicklung in zwei Richtungen: in immer mehr Sportartarten wird Big Data zum MUST-HAVE für Spitzenleistungen und gleichzeitig «demokratisiert» sich die Datennutzung und diffundiert vom gut finanzierten Profisport zum Amateursport. Dabei ist die Heterogenität jedoch gross und die Datennutzungskulturen sind selbst im Profisport noch sehr unterschiedlich.

Im Handlungsfeld B sind sich viele noch nicht bewusst, dass Fernsehen bei weitem nicht das Bestmögliche digitale Sporterlebnis ist. Aber die abnehmende Popularität des Fernsehens bei jungen Menschen wird viele zum Umdenken bewegen.

Im Handlungsfeld C wird Social Media von vielen Sportorganisation als notwendiges Übel wahrgenommen. Hier sollte ein Paradigmen Wechsel angestrebt werden und die Möglichkeit zur Monetarisierung stärker ins Auge geschafft werden.

Während die Handlungsfelder A und C für die zukünftige Finanzierung von entscheidender Bedeutung sind, ist insbesondere das Handlungsfeld A wichtig, damit Sport auch in Lockdown-Phasen weiterhin stattfinden kann.

Konkrete Empfehlungen

Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Dieses Bonmot, das eventuell aus der Physik stammt, gilt selbstverständlich für Covid-19. Vieles an der Gesundheitskrise ist zu neu, um verlässliche Prognosen zu stellen. Es gibt aber einige sinnvolle, gut begründbare Strategien, um sich gegen den Einfluss der Pandemie zu schützen, den Ball zu halten und mit neuen Geschäftsfeldern zum Angriff überzugehen:

Zum «Verteidigen»:

1. Das Ansteckungstracing von Seiten der Vereine aktiv unterstützen: denn je besser dieses funktioniert, desto geringer werden die Einschränkungen für Veranstaltungen sein.

2. Konzepte für ein datenbasiertes Coaching entwickeln, welches den Normalbetrieb adressiert, aber auch Lockdown-Phasen unterstützt: Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten vom Amateurbereich bis zum Profisport. F&E sind für allem für den Profisport wichtig, aber auch im Amateurbereich sind vernünftige Richtlinien gefragt.

3. Hybride Wettkampfformen fördern, in denen Sportler*innen in ihrer Disziplin über Distanz selbst in eventuellen zukünftigen Lockdowns gegeneinander antreten können und die multimedial für das Publikum attraktiv gestaltet werden

Zum «Spielaufbau»

4. Populäre Sportevents digital allen ohne Bezahlzwang zugänglich machen, damit diese im Aufmerksamkeitswettbewerb gegen andere Events nicht untergehen: Dies verlangt ein finanziell nachhaltiges Denken und die Bereitschaft zu gemeinsamen Lösungen.

5. Wettkämpfe im Nachwuchs- und Amateurbereich digital zugänglich machen, um einerseits diese Wettkämpfe populärer zu machen und es anderseits Menschen aus Risikogruppen erleichtern, Wettkämpfe von Freund*innen und Verwandten mitzuerleben: Dies kann mit einer Mischung aus kreativen Preis- und Spendenmodellen, Breitensport-Sponsoring und staatliche Subventionierung finanziert werden. Als Nebeneffekt bekommen die Vereine Multimedia-Daten, welche sie für Analysezwecke nutzen können.

Zum «Angriff»

6. Multisensorische Erlebnisse mit Virtual Reality Technologie (VR) schaffen, um das Erleben auf Distanz viel attraktiver als bisher zu gestalten und eine Teilhabe im Publikumsverbund zu simulieren: Hier sind Forschung und Entwicklung (F&E), sowie kühnes Denken gefragt. Die Zeit ist reif für multisensorische Kommunikation über das Internet.

7. Vom E-Sport lernen und dort erfolgreiche Praktiken kopieren, um insbesondere ein junges Publikum zu erreichen.


Bereits erschienen in der Reihe sind:

Teil 1, der sich mit unterschiedlichen Ansätzen zur Krisenbewältigung befasst und Teil 2, der sich mit Möglichkeiten beschäftigt, wie man Emotionen ins Digitale überträgt.


Einige Innovationsressourcen

  1. Digital Sports Hub Switzerland: Netzwerk von Organisationen im Bodenseeraum mit Expert*innenwissen
  2. SACSS: Symposium der Swiss Association of Computer Science in Sport am 25. November 2020.
  3. ThinkSport: baut zum Thema «Sport and Physical Activity» ein nationales Themennetzwerk auf und ist eine Anlaufstelle für Innovation im Sport
  4. Topic Leadership «Sports Data Analytics»: ermöglicht den Zugang zu über 250 Data Science Student*innen für projektbasierte Zusammenarbeit (z.B. in Form von Masterarbeiten oder Forschungsprojekten). Im Herbst 2021 führt der Masterstudiengang MSc in Applied Information and Data Science der Hochschule Luzern zudem einen «Sports Hackathon» durch.
  5. Master Digital Business Administration der BFH Wirtschaft: bietet einen profunden Überblick über Transformationspraktiken, mit Möglichkeiten das Thema «Digitale Transformation des Sports» in Projektarbeiten zu vertiefe
  6. Sports Business Institute: bietet Sportmanagement-Ausbildungen
Creative Commons Licence

AUTHOR: Martin Rumo

Martin Rumo ist "Embedded Computer Scientist" an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen (EHSM). Er forscht zu digitalen Leistungsanalysewerkzeugen im Spitzensport. Daneben beschäftigt er sich mit neuen Formen von Sport, beispielsweise E-Sports.

AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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