Wie eine App hilft, Fassaden zu begrünen
Die App «towards green cities» zeigt, wie sich städtische Fassaden in vertikale Gärten verwandeln können. Dank Augmented Reality wird Planer*innen wie Bürger*innen die Zukunft von senkrechten Gärten näher gebracht. Die App wurde an der BFH Architektur, Holz und Bau entwickelt. Ein Interview mit Prof. Thomas Rohner, einem der Mitinitiator*innen der App.
Warum interessieren Sie sich für begrünte Fassaden im urbanen Raum?
Der voranschreitende Klimawandel bringt dem städtischen Wohnraum neue Herausforderungen. Smog, Feinstaub, sommerliche Überhitzung, hohe Energiekosten und Lärmbelastung senken die Wohn- und Lebensqualität. Dichte Städte bieten dazu oft wenig Naherholungsraum. Vertikale Begrünungen können den Stadtraum durch Beschattung und Feuchteausgleich kühlen. Das kann den Wert von ganzen Strassenzügen steigern. Es ist nachgewiesen, dass Pflanzen ein angenehmes Mikroklima schaffen und Feinstaub reduzieren.
Zu einer lebenswerten Stadt gehört für mich auch die Biodiversität. Wenn Schmetterlinge vor dem Wohnungsfenster tanzen, ist das schön. Wenn vertikale Begrünungen dies ermöglichen, weil sie nektarführende Pflanzen beinhalten, die den Schmetterling ernähren, ist das umso besser. Das sind eindeutig Soft-Faktoren, die man nicht messen kann.
Wieso interessiert Sie als Holzbauer, speziell mit Ihren Erfahrungen mit BIM-Technologien, dieses Thema?
Damit die Vorteile von begrünten Fassaden verstanden werden, wollen wir in einem ersten Schritt mit dieser App die Visualisierung in den Vordergrund stellen. Denn im Hoch-, Tief- und Infrastrukturbau ist Building Information Modeling (BIM) als Methode des digitalen Bauens der aufkommende Standard. «Augmented Reality», also die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung, soll es mittels Smartphone möglich machen, bestehende Häuser mit vertikaler Begrünung zu zeigen. Wenn man allein schon auf dem Display des eigenen Handys sein Haus mit einer bepflanzten Front sieht, versteht man, wie gut das aussehen kann. Je nach Jahreszeit kann sich diese Fassade auch ändern. Im Frühling hat sie vielleicht Blumen, der Herbst färbt die Blätter der Fassade eventuell weinrot. Über diese App können wir erreichen, dass sich Bewohner, wie auch Nachbarn, Bauträger, Investoren und Behörden überhaupt einmal über begrünte Fassaden Gedanken machen und sich einen Zugang zu diesem Thema schaffen können. Die Visualisierung grüner Fassaden ist bis heute allerdings nur mit sehr grossem Aufwand und komplexer Infrastruktur möglich. Erst im zweiten Schritt geht es in der begleitenden Forschungsarbeit an meinem Institut um die Technologie, also darum, wie diese bepflanzten Fassadenmodule konkret gebaut werden können.
Wieso konzentrieren Sie sich im ersten Schritt auf die Darstellung der Begrünung?
Es gibt bereits viele Apps, die Oberflächen darstellen können, beispielsweise um einen neuen Look für Küchenfronten auszuwählen. Eine begrünte Fassade ist aber nicht so dünn wie eine Schicht Farbe, die für die Berechnung solcher Modelle als Grundlage dient. Die Bepflanzung ändert auch das Gesicht eines Hauses. Beispielsweise muss bei den Anschlüssen zu den Fenstern je nach Aufbau der Fassade eine gewisse Aufbauhöhe einberechnet werden. Doch zunächst geht es darum, diese Fassaden durch die App überhaupt anschaulich zu machen, also quasi zu «bemustern». Unsere bisherigen Erfahrungen mit Augmented Reality zeigen allerdings, dass realitätsnahe Bilder oft für bare Münze genommen und fast wie ein Vertragsbestandteil behandelt werden. Wir können nur mit Feldversuchen testen, wie sehr diese Fassaden auf Akzeptanz stossen. Es ist schön, wenn man realisiert, dass man mit seinem Handy durch das Quartier gehen kann, um diese vertikalen Begrünungen in Form von Augmented Reality ansehen zu können. Was davon dann wirklich Anklang findet, müssen wir erst rausfinden. Dies ist Teil der laufenden Forschung.
Inwiefern werden die ökologischen Vorteile, die das Mikroklima beeinflussen, in der App als Information aufrufbar sein?
Die Flortiefe der Begrünung hat den grössten Einfluss auf Feinstaubbildung und Temperatursenkung. Zehn Zentimeter dickes Flor, das für Gräser und Blumen verwendet wird, wirkt dabei stärker als das recht dünne Flor, das man für Moosoberflächen benutzen kann. Je nach Flortiefe verändert sich das Bild des Hauses. Fenster könnten plötzlich so klein wie Schiessscharten werden, weil der zusätzliche Wandaufbau dermassen dick geworden ist. Wir wissen klar aus der Akustik, dass Flächen mit mehr Oberfläche Schall absorbieren können. An der Berner Fachhochschule gibt es auch einen agronomischen Zweig, die Hochschule für Agronomie, Forst und Lebensmittelwissenschaften (HAFL). Sobald wir an den Punkt kommen, um konkret auszutesten, welche Pflanzen sich überhaupt eignen, werden wir die Zusammenarbeit mit ihnen suchen. Wir können also noch nicht sagen, wieviel Prozent Feinstaub gebunden wird, um wieviel Grad die Temperatur im Strassenraum sinkt oder wie die Begrünung Lärm mindert. Das wäre aber ein Ziel des BIM-Prozesses und der Simulation am digitalen Zwilling. Zunächst geht es darum, diese Fassaden durch die App überhaupt anschaulich zu machen.
Wie werden die Ergebnisse evaluiert und weiterverwendet?
Die Verbreitung wird nach dessen Entwicklung im nächsten Jahr über Workshops geschehen, teilweise in Investorenkreisen. Danach wird evaluiert, wie gut die Arbeit ankommt. Auf diesen Weg hoffen wir, uns weiterführende Forschungsprojekte sichern zu können.
Zur Person
Thomas Rohner ist Professor für Holzbau & BIM an der BFH Architektur, Holz und Bau. Er forscht und lehrt am Institut für digitale Bau- und Holzwirtschaft (IdBH) und ist Mitinitiator der App «towards green cities» sowie der begleitenden Forschungsarbeit.
Dieses Interview wurde erstmals veröffentlicht im Magazin der Schweizer Baudokumentation, 2020-3.
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