Digitaler Sport in der Covid-19-Krise (2): Die Emotionen ins Digitale übertragen
Die Sportwirtschaft wurde von der Gesundheitskrise hart getroffen. Wie sie aus der Krise herausfindet und dabei weiterhin auf die emotionale Beziehung zu den Fans setzen kann, erläutern der BFH-Forscher Martin Rumo und Reinhard Riedl, Leiter des BFH-Zentrums Digital Society.
Schon 2008 wurde sie durch die Finanzkrise mehr in Mitleidenschaft gezogen als die Gesamtwirtschaft und brauchte lange, um sich zu erholen. Hippolyt Kempf, Sportökonom an der Eidgenössischen Sporthochschule Magglingen, geht anlehnend an die Erfahrungen aus 2008, diesmal von 6% Rezession für die Sportwirtschaft in der Schweiz aus. Wie lange es dauern wird, bis die die Delle kompensiert ist, hält er aber für schwer voraussagbar. In jedem Fall ist es wichtig, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, welche die besonderen Umstände adressieren.
Digitalisierung – noch wichtiger als früher
Digitalisierung befähigt uns, die Ortsabhängigkeit zu reduzieren, Inhalte beliebig mit anderen Inhalten zu kombinieren und sehr viele Tätigkeiten zu automatisieren. Dabei ist insbesondere die Digitalisierung des Contents (d.h. der Inhalte) zentral für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.
Größere Sportorganisation haben schon vor der Krise auf Digitalisierung gesetzt. So hat die FC Bayern München AG bereits vor 2 Jahren die Gründung der Tochterfirma FCB Digital & Media Lab GmbH beschlossen. Die Medialisierung und die Digitalisierung seien elementare Bausteine für die Zukunft des FC Bayern, hat Karl-Heinz Rummenigge in diesem Kontext kommuniziert.
Durch die Krise ist die Digitalisierung jedoch dringlicher geworden. Einerseits brachen Einnahmen weg, andererseits stieg der Wettbewerbsdruck im Markt. Letzteres vor allem deshalb, weil es vielversprechende positive Beispiele für digitale Innovationen gibt. Das Swisscom Start-up Asport bietet beispielsweise eine digitale Broadcasting-Lösung an, welches Live-Übertragungen auch für kleinere Vereine erschwinglich machen könnte.
Derzeit ist davon auszugehen, dass die Gesundheitskrise noch mindestens 2 Jahre dauern wird, vielleicht sogar viel länger. Dabei wird es voraussichtlich immer wieder Anpassungen der Regeln geben in Richtung Lockerung und wieder zurück. Auch wenn beispielsweise in der Schweiz der Bundesrat aktuell die 1000-er-Grenze für den Herbst aufhob, bleibt es dringlich, über Sport in geschütztem Rahmen nachzudenken, der medial aufbereitet wird und dann als digitaler Content monetarisiert wird. Es fordert eine radikale Veränderung, wie wir Sport inszenieren und konsumieren. Der konventionelle Sport muss sich in der Virtualisierung neu erfinden. Angesichts der grossen Veränderungen im Sport der letzten Jahrzehnte, darf man hoffen, dass ihm dies erfolgreich gelingen wird.
Auslösen von Emotionen
Gefragt, ob ein Potential für den intellektuellen Eishockey-Fan bestehe, gab Horst Lichtner, Generalsekretär des Internationalen Eishockeyverbandes, ohne zu zögern zu verstehen, dass es im Eishockey rein um Emotionen ginge. Das wurde von den Fanclubs bestätigt, die Forschende der EHSM interviewten: Die Fans wollen in die Arena und feiern. Trotzdem muss der Sport einen Weg finden die Fans in ihren Stuben emotional anzusprechen, will er solch eine lange Gesundheitskrise bewältigen.
Emotionen werden durch Immersion – Einbettung ins Geschehen – ausgelöst. Das ist es, was die Zuschauer in den Stadien suchen: Man will mit allen Sinnen dabei sein und den Event mit seinen Freunden teilen.
Virtual Reality (VR) zielt darauf ab, diese Immersion zu schaffen. Alle notwendige Hardware (3D Kameras, VR sets) für diese Technologie ist grundsätzlich vorhanden. Das benötigt aber erhöhte Übertragungsraten und in der Folge muss die Infrastruktur angepasst werden. Zudem müssten die VR Brillen für den Consumer Markt erschwinglicher werden.
VR würde eine Reihe von neuen Möglichkeiten eröffnen, von zu Hause aus, in dem Sportgeschehen mit eingebunden zu sein. Geschickt platzierte Mikrofone könnten dabei den Event dem Zuschauer zu Hause noch näher bringen. Im Eishockey hat man damit gute Erfahrungen gemacht. Dort wird schon länger die Wucht des Spiels durch Mikrofone an den Banden dem Zuschauer zu Hause verdeutlicht. Damit kriegt man jeden Check auch akustisch mit und wird virtuell emotional eingebettet ins Geschehen.
Das nächste Ziel ist, dass der Wettkampf uns auch auf Distanz unter die Haut geht. Genau dies versuchen die Ingenieure von Wearable Experiments nun auf direktem Wege: Sie nennen es die 4. Dimension der Unterhaltung: Die Emotionen der Spieler sollen mittels von in ein T-Shirt eingebaute Aktuatoren direkt auf den Fan übertragen werden und so für die ultimative Immersion zu sorgen. Dies tönt zwar nach Science Fiction – und wurde als Geschichte vor kurzem in Walt Disney’s Lustigem Taschenbuch (LTB) erzählt – aber es entspricht dem Megatrend zur digitalen Individualisierung der Konsumerlebnisse entsprechen. Was es noch nicht schafft, ist die für den Sport so wesentliche Vermittlung eines Gemeinschaftserlebnisses.
Unterstützen des Sehens und Analysierens
Die grosse Ausnahme unter den Zuschauer-Sportarten ist Fussball. Er wurde und wird durch konzeptionelle Innovationen geprägt, welche vom Expert*innenpublikum gesehen, verstanden und heftigst diskutiert werden. Während die Einen gerne über Formationen philosophieren, in denen sich Mannschaften präsentieren (4-4-2, 4-4-1-1, 4-1-4-1, 4-3-3, 4-3-2-1, 4-Raute-2, 6-3-1, 5-4-1, 5-3-2, 5-2-3/3-4-3, etc.), ist für die Anderen die Zonenaufteilung und deren Bespielung zentral. “Diagonales Herauskippen”, “Torwartkette”, “Packing”, “Pass-Klatsch-Kombination”, “Doppel-Sechs” und “falsche Neun” sind vielen vertraute Taktik-Konzepte auf den unterschiedlichen Ebenen der Spielgestaltung. Selbst völlige Laien wissen über die Chancen und Gefahren von Pressing und Gegen-Pressing Bescheid und werfen *5-Sekunden!! Nach 10 in der Defensivformation!” in die Diskussion ein.
Hier kann digitaler Inhalt sichtbar machen, was mancher Fan aufgrund der Schnelligkeit der Abläufe (oder der fokussierten Bildführung im Fernsehen) nicht sieht. Fernsehkommentator*innen nutzen schon lange digitale Werkzeuge zum Zeigen, dessen was sie als Expert*innen erkannt haben. Doch das Ziel wäre, den Fans ein individuelles Analysieren und ein kollektives Austauschen zu ermöglichen. Ersteres würde Fans es ermöglichen, besser als bisher in die Coach-Rolle zu schlüpfen, letzteres damit Teil einer Gemeinschaft zu werden, die sich an den Prinzipien von Wikipedia und Open Source orientiert – oder eine neue Form von Online-Gemeinschaft bildet.
Erfahrungen im E-Sport
Der E-Sport kann uns lehren, auch im konventionellen Sport Social Media besser zu bespielen. Letztes Jahr hat Epic Games beispielsweise eine “Fortnite” Weltmeisterschaft ausgetragen, bei der sich jeder einschreiben konnte. Es haben 40 Millionen Teilnehmer um die verschiedenen Titel gekämpft. Vor 19’000 Zuschauer wurden im Arthur-Ashe-Stadion in New York rund 30 Millionen Dollar an die Gewinner ausgezahlt. Die größere Anzahl hat von zu Hause aus zugeschaut. Die Grenze zwischen Athlet*innen und Zuschauer*innen verschwimmt bei solchen Events: es gibt nur noch ein einziges Soziales Netzwerk.
Der 1. Teil über die Folgen der Coronakrise im Sport ist am 7. August erschienen.
Acknowledgements
Unser Dank gilt insbesondere Horst Lichter (Generalsekretär des Internationalen Eishockeyverbands) und Hippolyt Kempf (Sportökonom an der EHSM) für das Vermitteln wertvoller Einsichten.
Referenzen
- Tobias Baumgartner, Andreas Hefti: Die Digitalisierung im professionellen Männerfussball, BFH Master Thesis 2020
- Tobias Escher: Der Schlüssel zum Spiel – wie moderner Fussball funktioniert, Rowohlt Verlag 2020
- Jonathan Wilson: Revolutionen auf dem Rasen – eine Geschichte der Fussballtaktik, Die Werkstatt 2011
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