Digitaler Sport in der Covid-19-Krise (1) – Unterschiedliche Ansätze zur Krisenbewältigung

E-Sports_Covid-Serie

Wirtschaftliche und soziale Strahlkraft kann Sport nur entwickeln, wenn er Menschen zusammenbringt und emotional bewegt. Genau dort hat Covid-19 den Sport getroffen. Die Digitalisierung hat dies zwar nur teilweise gemildert, aber den Blick auf die ökonomischen Grundlagen des Sports geschärft.

Rückblick – Digitalisierung und der Sport

Im Rahmen von PwC’s Sport Survey 2016 [1] hat eine Befragung von Entscheidungsträger*innen im Sport ergeben, dass die Zukunft des Sports davon abhängen wird, wie Sportorganisationen neue Technologien einsetzen. Mehr als zwei Drittel der Repräsentant*innen Olympischer Verbände waren damals der Meinung, dass der Einsatz neuer Technologien der entscheidende Treiber für neue Businessmodelle im Sport ist.

Tatsächlich ist in den letzten Jahrzehnten ein komplexes wirtschaftliches Ökosystem entstanden, in dem Digitalisierung in vielen Bereichen präsent ist. Datenbasierte Entscheidungen und der kreative Einsatz von digitalen Bilddaten gewinnen sowohl in ökonomischer wie auch in sportlicher Hinsicht an Bedeutung. Dabei ist Digitalisierung kein Ersatz für Bauchgefühl und leidenschaftliche Entscheidungen, sondern eine Ergänzung. Zudem ermöglicht sie effiziente Produktionsformen und Märkte – einerseits rund um den Aufbau von und Handel mit Athlet*innen, Teams und Expertisen, und anderseits rund um Valorisierungen von abgeleiteten Werten (Markenwerte, Medienrechte) und das Schaffen von abgeleiteten Produkten (u.a. Wetten). Nicht zuletzt ist Sport aber auch eng verknüpft mit der Weiterentwicklung digitaler Technologien (Modell Formel 1).

Im PwC Sport Survey 2017 [2] kam die Frage auf, ob Sport der Markt mit den grössten digitalen Disruptionen überhaupt ist. Mit Technologien wie Augmented Reality oder Drohnen lassen sich neue Wettkämpfe erfinden. Diese neuen Wettkampfformen möchten ebenso wie E-Sport als Sport wahrgenommen und anerkannt werden. Geht man von den Kriterien von SportAccord [3] aus, ist dieser Anspruch eventuell gerechtfertigt. Um diese neuen Wettkampfformen hat sich ein noch stärker datenbestimmtes wirtschaftliches Ökosystem entwickelt, in dem verschiedene Märkte sich gegenseitig bedingen.

In der Covid-19 Krise wurde die grosse Bedeutung der Digitalisierung für den Sport sichtbar. Es braucht heute keine Umfragen unter Entscheidungsträger*innen mehr, um dies zu erkennen. Denn die Digitalisierung erleichtert das Überleben von Sportorganisationen. Egal ob «konventioneller Sport» oder «neuer Sport»: Der Sport benötigt Einnahmequellen und deshalb wirtschaftliche Strahlkraft. Diese kann er aber nur entwickeln, wenn er Menschen zusammenbringt und bewegt. Genau dort hat Covid-19 vor allem den Sport getroffen. Viele Veranstaltungen fanden erst gar nicht statt und als sie wieder stattfanden, blieben Zuschauer*innen ausgeschlossen. Aber dank digitaler Medien traf es einige Organisationen finanziell weniger schlimm als andere. Dies führt uns zur Frage, wie Sport – vor allem Profi-Sport – ökonomisch funktioniert.

«Content is King» – es geht um digitale Inhalte

Was ist das wichtigste ökonomische Gut ist, welches der Sport produziert? James Pallotta, der Mitinhaber von AS Roma, gibt darauf eine klare Antwort: «Don’t look at us as a sports team; we want to become a global content company» [1].

Sport generiert digitalen Content (= digitale Produkte mit Geschichten), den man monetarisieren kann. Digitaler Content erlaubt, eben weil er digital ist, eine sofortige und globale Verteilung und besitzt deshalb sehr grosses Potential für eine Monetarisierung. Business Model Innovation im Sport wird diese digitalen Kanäle weiter ausloten. Mit der Covid-19-Krise wurden Sportorganisationen gezwungen diesen Prozess zu beschleunigen.

Der Sport ist also ein Content-Business und der Content wird im Falle von traditionellen Sportarten an einem Event generiert, welcher physisch an einem Ort stattfindet. Beispielhaft konnte aber mit dem Digital Swiss 5-Projekt während dem Lockdown gezeigt werden, dass dies für den Radsport nicht sein muss. Die Tour de Suisse konnte innerhalb weniger Wochen mit ihrem umfangreichen Partnernetzwerk die ersten digitalen Radrennen organisieren. Jeder Rennfahrer konnte zu Hause auf seinem Fahrrad mit Hilfe eines smarten Rollentrainer, der seinen Widerstand der Topologie anpassen und Leistungsdaten an einen zentralen Server schicken konnte, seine Watt drücken. Für den Zuschauer wurde eine Animation gerendert und abwechselnd mit Bildern von dem zu Hause schwitzenden Fahrer gesendet.

Diese Schweizer Produktion war nicht die einzige dieser Art. Nascar-Rennen in den USA wurden virtualisiert weitergeführt und Sky Sport hat «FIFA 20»-Videospiele übertragen, in denen Premiere League Spieler ihre Clubs vertraten. Neben diesen Übergangslösungen hat sich aber der Weg zurück zu physischen Wettkämpfen als langwierig erwiesen. Nur langsam haben Lockerungen es erlaubt, den Trainingsalltag zu normalisieren. Die Frage, die sich stellte, war, ob und wann man die laufende Saison zu Ende führen kann.

Die Bundesliga war die erste Liga, die mit Geisterspielen den Betrieb wiederaufnahm. Bei diesen grossen Ligen besteht der Hauptteil der Einnahmen der Clubs aus Medienrechten. In kleineren Ligen sieht das anders aus. Wenn ein grosser Teil der Einnahmen aus dem Ticketing und der Gastronomie am Spieltag generiert werden, dann ist der finanzielle Druck von Geisterspielen viel höher. Wettkämpfe ohne physisch anwesende Zuschauer ermöglichen den Veranstaltern, ihren Content in digitalisierter Form zu vermarkten. Doch der entscheidende Faktor des Sport Content sind die Emotionen und da ist die weitere Herausforderung.

Trotz aufgeklebter Gesichter echter Fans wirken die Pappkarton-Zuschauer in den Rängen in den Taiwanesischen Baseball Arenas gar etwas steif, doch der Sportsender Sky hat angekündigt, er würde mit Computer-animierten Zuschauern experimentieren, um die «watchability» ihrer Spiele zu erhöhen. Diese Maßnahmen wirken nicht wie langfristige Lösungen. Für die Emotionen müssen die Leute zurück in die Stadien.

E-Sport – der grosse Gewinner der Krise

Mit diesen Problemen muss E-Sport nicht kämpfen. Obwohl E-Sport inzwischen auch ganze Stadien füllt, ist es für Veranstalter einfacher, auf ein rein virtuelles Format umzusteigen. Der Content wird dort generiert, wo Action stattfindet: In einem Virtuellen Raum. E-Sport hatte schon vor der Gesundheitskrise Fussball in Bezug auf wirtschaftliches Wachstum überholt [4] und weist einen sehr hohen Grad an Professionalität auf: Es können inzwischen mehr Spieler, die E-Sport betreiben, von ihrem Sport leben, als Tennisspieler.

Während der Krise konnte nun E-Sport zusätzlich kurzfristig die Leere füllen, die die Abwesenheit konventioneller Sportarten und -veranstaltungen hinterlassen hat. Wettkämpfe werden auf dezidierten Plattformen gestreamt. Die Anzahl der Zuschauer auf diesen Plattformen kann genau getrackt werden, beispielsweise über TwitchTracker für die Plattform Twitch [5]. Vergleicht man die Nutzerzahlen von April und Mai 2020, ist die tägliche Anzahl Zuschauer auf der Plattform im Mai 2020 um über 50% Prozent gestiegen. Auf Twitch konsumieren heute zu jedem Zeitpunkt zwischen 1.2 Mio. bis fast 4 Mio. Zuschauer E-Sport.

E-Sport ist in vielen Kreisen noch sehr umstritten, rein wirtschaftlich gesehen aber sicher nicht mehr. Der Internationale E-Sport Verband IeSF setzt sich stark dafür ein, als offizielle Sportart anerkannt zu werden. So wird beispielsweise diskutiert, ob E-Sport-Turniere an den Olympischen Spielen 2024 in Paris als «demonstration sport» ausgetragen werden. Die Erfahrungen aus der Covid-19 Gesundheitskrise könnten bei dieser Entscheidung möglicherweise auch noch eine Rolle spielen.

Fazit

Sport als Content-Business zu begreifen, hilft uns, nach Lockdown-tauglichen digitalen Lösungen zu suchen. Vorerst aber ist die Frage ungelöst, wie Emotionen digital vermittelt werden können. Das Beispiel des E-Sport liefert uns immerhin interessantes Anschauungsmaterial, denn E-Sport ist der grosse Gewinner der Covid-19 Gesundheitskrise im Sport.


Referenzen

  1. PwC (2016). PwC’s sport survey 2016, https://www.pwc.ch/en/publications/2016/PwC_Sports_Survey_Aug%202016.pdf
  2. PwC (2017). Sports: the most disrupted of all industries?, https://www.pwc.ch/en/publications/2017/pwc-sports-survey-2017.pdf
  3. SportAccord (2011). Definition of sport, https://web.archive.org/web/20111028112912/http://www.sportaccord.com/en/members/index.php?idIndex=32&idContent=14881
  4. PwC (2018). PwC’s sport survey 2018, https://www.pwc.ch/en/insights/sport/sports-survey-2018.html
  5. TwitchTracker (2020). Twitch viewers statistics, https://twitchtracker.com/statistics/viewers

Die Serie

Teil 2 erscheint am 14.August 2020.
Teil 3 erscheint Ende August 2020.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Martin Rumo

Martin Rumo ist "Embedded Computer Scientist" an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen (EHSM). Er forscht zu digitalen Leistungsanalysewerkzeugen im Spitzensport. Daneben beschäftigt er sich mit neuen Formen von Sport, beispielsweise E-Sports.

AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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