Parlamente im Krisenmodus (Teil 3) – Was lernen wir aus der Covid-19-Krise?

Parlamente sind ganz besonders in Krisenzeiten wichtige Institutionen, deren Funktionserfüllung zentral ist für die Kontrolle der Regierung und die Legitimation der Gesetzgebung. Es gilt nun auf verschiedenen Ebenen die notwendigen Schritte einzuleiten, um auf der Basis der Krisenerfahrungen bedürfnisgerechte Lösungen für einen resilienten Ratsbetrieb sicherzustellen.

«In der Krise schlägt die Stunde der Exekutive.» Dieser Satz wurde von Parlamentsmitgliedern oft zitiert. Offen ist, ob dies einer gewissen Resignation gegenüber der Übermacht der Regierung geschuldet war oder ob daraus eine Erleichterung darüber sprach, dass andere Stellen die Verantwortung übernahmen. Sicher ist, dass der Satz – zumindest in der ersten Phase der Pandemie – völlig falsch interpretiert wurde, nämlich als Begründung dafür, den Betrieb von Parlamenten praktisch vollständig einzustellen und das Feld der Regierung und Verwaltung zu überlassen. Deutlich wurde jedoch auch, dass Parlamente nicht für das Krisenmanagement zuständig sind, sondern vielmehr zur Überprüfung und demokratischen Abstützung und des staatlichen Handelns beitragen sollten.

Anzugehende Probleme

Mit einigen Wochen Abstand lassen sich hinsichtlich der Covid-19-Krisenbewältigung einige Probleme benennen und erste Schlüsse für die Zukunft ziehen:

  • Vielfach wussten die Parlamente und Kommissionen nicht, wie sie in der Krisensituation reagieren sollten, welches ihre Kernaufgaben in der Krise sind und in welcher Form sie sie wahrnehmen können und müssen. Im Nachgang braucht es eine vertiefte Auseinandersetzung und Klärung dieser Kernaufgaben, was das Ausarbeiten von Krisenszenarien und dadurch ausgelöster parlamentarischer Aktivitäten einschliesst.
  • Der Abbruch bzw. die zeitliche und örtliche Verschiebung von Parlamentssitzungen haben in erster Linie gravierende Defizite bezüglich Infrastruktur und Organisation auf allen Ebenen (Städte, Kantone, Bund) aufgezeigt. Der vielerorts kurzfristig organisierte und kostspielige Umzug in Turn- oder Messehallen ist mit Sicherheit keine zukunftsträchtige Antwort auf die sich stellenden Herausforderungen. Stattdessen müssen für Krisensituationen neue Formen der Entscheidungsfindung ohne physisches Zusammenkommen gefunden und die digitalen Möglichkeiten bedürfnisgerecht entwickelt, bereitgestellt und genutzt werden.
  • Es fehlen die rechtlichen Grundlagen für virtuelle Meetings und elektronische Entscheide. Es sollte der Status eines befristeten Notfallbetriebs geschaffen werden, welcher der Sicherstellung der legislativen Kernfunktionen dient und zweckmässige Massnahmen, Instrumente und digitale Werkzeuge dafür definiert. Für solch einen Notfallbetrieb ist es notwendig, die Qualität der digitalen Dienste zu definieren und etwaig notwendige Qualitätsverzichte zu priorisieren.
  • Auch mit rechtlichen Grundlagen steht und fällt das Funktionieren der Parlamente mit der ausreichenden Verfügbarkeit der digitalen Dienste in der geforderten Qualität. Diese sollte sichergestellt werden, wofür Budgets bereitgestellt und Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar zugewiesen müssen.
  • Rechtlich zu regeln wären insbesondere schnellere und stärker auf die parlamentarischen Kommissionen abgestützte virtuelle Entscheidungsverfahren sowie die Ermöglichung virtueller Beschlussfassungen. Einige der Lockdown-Erfahrungen zeigen, dass die Kommissionsarbeit digital sichergestellt werden kann und gute Erfahrungen mit virtuellen Sitzungen gemacht wurden. Aber auch hier sind Erfahrungswerte über den Einzelfall hinaus zu sammeln.
  • Viele eingesetzte Videoconferencing-Systeme genügten den hohen Anforderungen an die Vertraulichkeit nur teilweise.  Dringlich notwendig ist darum die Weiterentwicklung der technischen Videoconferencing-Infrastruktur und die Bereitstellung einheitlicher Applikationen für den Krisenfall.
  • Deutlich wurde zudem, dass sich der Digitalisierungsgrad einer Organisation direkt auf ihre Agilität und Reaktionsfähigkeit auswirkt. So hatten Unternehmen, die bereits zuvor stark digital unterwegs waren, in der Krisenbewältigung deutlich bessere Karten. Im Parlamentsbetrieb – zumindest, was die Kommissions- und Plenumssitzungen betrifft – wurde in den vergangenen Jahren deutlich zu wenig in digitale Tools investiert. Hätten den Parlamenten in den Lockdown-Monaten geeignete technische Möglichkeiten zur Verfügung gestanden und hätten diese auch verbreitet Anwendung gefunden, könnte man heute wahrscheinlich ein positiveres Fazit über die Funktionserfüllung der Parlamente in den ersten drei Krisenmonaten ziehen. Hier sollten die zuständigen Stellen baldmöglichst nachziehen und in Systeme investieren, welche den Anforderungen des Parlamentsbetriebs und den tatsächlichen Bedürfnissen der Parlamentarier*innen vollauf entsprechen.
  • Teilweise litt das Krisenmanagement der Parlamente auch darunter, dass es den Parlamentarier*innen nicht nur an der notwendigen Ausrüstung mangelte, sondern auch an den erforderlichen «digital skills«. Neue digitale Tools müssen daher soweit als möglich und sinnvoll auch im Normalbetrieb des Parlaments zum Einsatz gelangen, damit die Mitglieder der Parlamente und der Parlamentsverwaltungen über die notwendigen Anwendungskenntnisse verfügen, wenn sie in Notsituationen gebraucht werden.

Schlussfolgerung

In der Krise wurde offensichtlich, dass unsere Parlamente – wie viele andere öffentliche Einrichtungen auch – bislang auf den Schönwetterbetrieb ausgerichtet waren. Es fehlte die notwendige Infrastruktur und vielerorts auch das Bewusstsein für die Bedeutung der demokratischen Kontroll- und Legitimationsfunktion, welche die Parlamente gerade in Krisensituationen auszufüllen haben.  Um die nächste Krise besser meistern zu können, sollten auf verschiedenen Ebenen Reformen entlang der oben skizzierten Punkte angepackt werden. Damit dies erfolgreich gelingen kann, sollten in einem ersten Schritt und möglichst rasch die Erfahrungen von Direktbetroffenen (d.h. die Parlamentarier*Innen und die Parlamentsverwaltung) gesammelt und ausgewertet werden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten anschliessend für die Entwicklung bzw. den Einsatz geeigneter Tools sowie für den Aufbau der dafür notwendigen Skills eingesetzt werden. Denn das Ziel sind resiliente Parlamentsbetriebe, die auf der Basis von bedürfnisgerecht entwickelten und eingesetzten Tools ihre Kernfunktionen in jeder Lage ausreichend wahrnehmen können.


Acknowledgements

Dank für Ihre Unterstützung geht an Dr. Alessia Neuroni, Dr. Thomas Gees und Dr. Reinhard Riedl.


Beitragsreihe

Die dazugehörigen Teile Parlamente im Krisenmodus (1) – variable Erfahrungswerte mit grossem Lernpotenzial und Parlamente im Krisenmodus (2) – Alter Wein in neuen Schläuchen? sind bereits erschienen.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Daniel Schwarz

Daniel Schwarz ist promovierter Politikwissenschaftler am Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) der Uni Bern und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Public Sector Transformation der BFH Wirtschaft. Er gehört zum Gründerteam der Online-Wahlhilfe "smartvote" und ist Präsident des Trägervereins "Politools".

AUTHOR: Ingrid Kissling-Näf

Prof. Dr. Ingrid Kissling-Näf ist Direktorin des Departements Wirtschaft der Berner Fachhochschule. Als Ressourcenökonomin engagiert sie sich für nachhaltige Entwicklung, Social Innovation und nachhaltiges Unternehmertum. Sie ist Co-Leiterin des Instituts Sustainable Business und Präsidentin der Nachhaltigkeitskommission der BFH. Sie ist zudem als Stadträtin in Bern und UNICEF-Delegierte aktiv.

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