Können Computer Kunst machen?

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Ist die KI so toll, wie es uns die Hochglanzprospekte versprechen? Oder wollen das mit der Kunst nur die Chefs der Computer-Programmierer und es entsteht demgemäss nur Wunst oder Meta-Wunst? Die Frage rührt an der Frage des Menschseins. Sie schürt Ängste und Hoffnungen.

Ängste vor der Machtübernahme der Maschinen. Hoffnung darauf, dass vielleicht mit Computern die zeitgenössische Kunstpraxis vom Zeitgeist befreien könnten. Wie schön wären Opern ohne politisch korrekte Regie? Wie schön wäre es, wenn nicht noch der letzte spätmittelalterliche Gesang in ein Ballett transformiert würde? Wie schön wäre es überhaupt, wenn jede und jeder die Oper genau so sehen würde, wie es ihr oder im gefällt?

Big Data ermöglicht Personalisierung, aber auch das Erschaffen von Werken, die man unbedarft für Kunstwerke halten könnte. Dass diese bisweilen billig und schäbig wirken, hat keine Bedeutung. Denn Kunst kann unterschiedliche Qualität haben, auch wenn sie von Menschen gemacht ist und kein Zweifel darüber besteht, dass es Kunst ist. Die Frage ist vielmehr, ob und unter welchen Voraussetzungen wir von Computern geschaffene Werke als Kunst ansehen wollen. Dazu scheint es mir sinnvoll, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

Ein Blick zurück in die Frühgeschichte

Kunst ist lange Zeit etwas Archaisches geblieben. Es hat sich in die Kultur nicht integriert, sondern blieb die individuelle Äusserung der oder des Einzelnen: die Externalisierung persönlicher Gedanken, Empfindungen, Traumgespinste. Kultur war dagegen Praxis ohne individuellen Ursprung. Kunst reflektierte zwar Kultur, bot der Kultur ein Objektfundament, aber sie bezog ihre Bedeutung nicht aus der Kultur. Folglich gab es auch keinen echten Fortschritt ausser der Aneignung neuer Werkzeuge und er Weiterentwicklung dieser Werkzeuge.

Gegen diese Sicht lässt sich einiges einwenden, beispielsweise die Tradition der Selbstreflexion der Kunst. Die Alleinstellungsmerkmale der Kunst können auch nicht mit mathematischer Klarheit formuliert werden. Vor allem aber beginnen sich die hier genannten Abgrenzungen aufzulösen, beispielsweise durch die Praxis der Konzeptkunst und durch einige Formen des postdramatischen Theaters. (Achtung: Gemeint ist hier nicht posttraumatisch, sondern postdramatisch.) Aber auch durch zeitgeistige Formen der Teilhabe oder die Theorie hinter Beziehungskunstwerken wie jenen von Stellarc. Trotzdem ist der Ursprung der künstlerischen Praxis vor etwa hunderttausend Jahren (der bis vor Kurzem weitgehend bestimmend blieb) von entscheidender Bedeutung, wenn es um die Frage geht, ob Computer Kunst schaffen können.

Kunst war eine von wenigen ersten Formen der Externalisierung des Menschen – und wie wir seit Neuestem wissen auch des Neandertalers, dessen Erbgut wir auch in uns tragen. Man erweiterte die eigenen körperlichen Fähigkeiten durch das Bauen Werkzeugen (statt sich auf natürliche Fähigkeiten zu verlassen oder – auch dies ein bedeutender Entwicklungsschritt der Menschheit – diese Fähigkeiten besser zu trainieren.) Dabei entwickelte man zunehmend eine Vorliebe für das Individualisieren, langfristig sogar eine grosse Leidenschaft, die immer wieder half, grosse Katastrophen zu überleben. Man nutzte Schmuck in symbolischer Weise, auch als Grabbeigabe, um Besitz nach aussen darzustellen. Und man zeichnete in Farbe Vorstellungen von Tieren und Vorgängen an die Höhlenwände. Gleichermassen, als Externalisierung der Gedanken, entstanden Erzählungen, die ihrerseits – so steht zu vermuten – wiederum das bewusste kognitive Denken entwickeln haben. Claude Levi-Strauss hat beispielsweise gezeigt, wie entscheidend die Struktur der Geschichten ist: werde sie zu anderen Gesellschaften transferiert, so unterlaufen sie Ähnlichkeitstransformationen, die aus unserer heutigen Sicht den Sinn verändern, nicht aber die Struktur. Die Struktur aber prägt die Dialektik unseres Denkens.

Externalisierung ohne inneres Selbst geht nicht

Wenn wir von Externalisierung sprechen – oder auf Deutsch sehr treffend von «Äusserung» – so gehen wir davon aus, dass es ein Inneres, beziehungsweise ein Selbst, gibt. Das heisst, dass nicht ein Tier getrieben von Nahrungssucht und Sexualtrieb sich äussert, sondern ein zur Reflexion fähiges Ich, welches insbesondere ein Bewusstsein besitzt und damit auch zum Träumen fähig ist. Wobei die Rolle des Träumens in diesem Zusammenhang ein Schlüsselthema für sich ist und hier nicht behandelt werden soll. Es ist jedenfalls das Selbst, das sich äussert und Kunst schafft. Ein Selbst, das von Trieben gesteuert wird, aber mehr als diese Triebe ist. Ein Selbst das anderen Selbsts verwandt ist, aber nicht gleicht (oder eigentlich: ihnen nicht selbst). Ein Selbst, für das Schaffen von Kunst wie das Konsumieren und Verinnerlichen Kunst Ausdruck von Autonomie ist.

Bis heute ist Kunst eine individuelle Äusserung genlieben. Zwar sind schon immer gelegentlich grosse Produktions- oder Aufführungsteams am Werk und nicht selten braucht es die Kreativität aller Teammitglieder, aber im Zentrum steht gleichwohl sowohl die Externalisierung der Innenwelt einer Künstlerin oder eines Künstlers als auch die Synchronisierung der eigenen Innenwelt einer oder eines Betrachtenden mit dem wahrgenommen externalisierten Werk. Wobei unter Synchronisierung nicht Zustimmung zu verstehen ist. Synchronisierung kann scheitern. Ausserdem st das Ergebnis einer starken Selbstbindung des Publikums an das Dargestellte meist nur eine Simulation und kein Commitment. Wenn auf der Bühne Shakespeares schottisches Stück gespielt wird, eignet sich fast niemand wiederkehrende Wahnvorstellung an, wohl erleben viele diese im Augenblick des Zuschauens.

Computer sind nur Konsumenten, keine Erschaffer

Aus all diesen Überlegungen folgt, dass Computer zur Wahrnehmung von Kunst fähig sind, aber noch nicht zur Produktion von Kunst im ursprünglichen Sinn. Computer können ihre neuronalen Netzwerke synchronisieren mit Serien von Kunstwerken, oder auch mit einzelnen Kunstwerken wie Theaterstücken, von denen viele dokumentierte Aufführungen existieren. Sie können diese Synchronisierung sogar in «Sandboxes» packen, so dass sie nach beliebigen selektiv abrufen können. Und sie können die Synchronisierungen so überlagern, dass eine artifizielle Synthese der Synchronisierungen entsteht, nicht unähnlich dem, was beim Menschen geschieht. Was anderseits das Externalisieren betrifft, so ist dieses den Computern eine Selbstverständlichkeit und die Form das Ergebnis des UX, des User Experience Designs. Diese Selbstverständlichkeit ist aber reproduzierender und nicht ein kreativer Akt. Und solange Computer nicht ein eigenes Bewusstsein haben wird es wenig Sinn machen, vom künstlerischen Schaffen der Computer zu sprechen. Es fehlt ihnen das Selbst, das sich äussern könnte. Ihr Ersatz für ein Selbst ist ein digitales Gedächtnis, das sich lediglich zu reproduzieren vermag.

Computerkunst bleibt deshalb Kunst von Menschen mit Computern. Und sie verdient den Namen dann und nur dann, wenn die Menschen hinter den Computern sich äussern wollen. Mathematische Algorithmen können aus sich heraus nicht einmal Computerkunst schaffen. Sie stehen zwar in der Tradition von hunderttausend Jahren menschlicher Externalisierung – und Re-Internalisierung der eigenen Externalisierung – aber sie sind nur Werkzeuge mit philosophischem Ursprung und keine Kunstschaffenden. Wir sollten uns deshalb befreien von Angst UND Hoffnung, dass Computer Kunst schaffen. Wir müssen – leider oder zum Glück – mit der rein menschengemachten Kunst weiterleben.

Nachsatz für leidgeplagte Opernfans

Falls Sie gerade vor kurzem wieder eine dieser besonders gutmenschliche Operninszenierungen erleben mussten, die ihnen wegen Mozarts moralischer Verkommenheit die Hälfte der Arien verweigert hat. Bitte entsetzen sie sich nicht! Es gibt mindestens eine halbe Hoffnung: Regisseure kann man durch Roboter ersetzen – und bei den Dirigenten arbeiten wir daran!

Nur eines, eines sollten wir nicht wollen: Eine personalisierte Kunst. Mag Kunst auch in Höhlen entstanden sein, ihr Wesen gewinnt sie erst durch das Verlassen dieser Höhlen. Kunst ist – auch – das Fremde, Verstörende, Verrückte und Verkehrte. Und Kunst ist – als Teil der Kultur – ein Ursprung des Sozialen, eine Form des Teilens und ein Fundament für den öffentlichen Raums. Das schliesst keineswegs aus, mit künstlicher Intelligenz, Wissensarchiven und augmentierter Realität ausgestattet ein Kunstmuseum zu besuchen. Aber wir sollten uns bewusst bleiben, dass es darum geht, sich mit dem Fremden persönlich zu synchronisieren, und nicht das Fremde so zu adaptieren, dass es gut in unsere hochkulturelle Wunschkiste passt. Um Missverständnisse auszuschliessen: Wenn wir Regisseure durch Roboter ersetzen, so nur deshalb, weil sie dauernd Kunst entschärfen und erklären, was unter Erwachsenen nicht erklärt werden kann. Und weil sie in ihrer selbstherrlichen Selbstdarstellung nicht zu unterscheiden sind von den Hochglanzverkaufsprospekten der KI-Industrie!

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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1 Antwort
  1. Marc Schaffroth
    Marc Schaffroth sagte:

    Danke, ein spannender Artikel. Quasi verkehrt herum hat sich die Medienkünstlerin Hito Steyerl in einem Referat/Video Essay mit «Künstlicher Intelligenz» befasst: «Looking at the flames» anlässlich „FUTURE AFFAIRS 2019 – Democracy & Digitisation: Will Democracy Survive the Digital Revolution?“ (Beitrag von Hito Steyerl ab 45:55 https://youtu.be/Ink9c-HaULw)

    Hito Steyerl ist Professorin für Experimentalfilm und Video sowie Mitbegründerin des Research Centers for Proxy Politics an der Universität der Künste Berlin.

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