X_RAY, 4.0 – ein Kunstprojekt

„X_RAY, 4.0“ ist ein Filmexperiment, in dem Filmbilder und den Film mit Hilfe einer Gegenbewegung quasi zum Stillstand zu bringen, etwa wie das Wagenrad im Western, dessen Speichen sich im Film optisch zurückdrehen. Die Künstlerin stellt das Projekt vor.

Das Video

X_RAY,4.0 Videodokument 16’18“ Loop in Monitor oder als kleine Projektion.

Das Setting der Installation: Das Bild hinter der Wand

Der kleine Roboter Thymio trägt im Huckepack den Video-Projektor Qumi und fährt auf einer programmierten Bahn durch den Raum. Die projizierten Bilder geraten in einen nahezu schwebenden Zustand, indem sie sich auf der Wand in Gegenbewegung zu den gefilmten Sequenzen fortbewegen. Der Roboter und der Projektor stehen also im Widerspruch zueinander, weil sie das bewegte Bild zum Stillstand zwingen. X_RAY, 4.0 unterschiedet sich von bisherigen bewegten Videobildern dadurch, dass der Fokus des Betrachters auf dem Bild hinter der Wand liegt; die so generierten Videofenster werden damit Teil der architektonischen Hülle.

Die resultierenden Effekte: flüchtige Bilder

Der Blick tastet sich nach dem fahrenden Videobild. Die Bildfenster öffnen und schließen sich wieder. Die Länge der Sichtbarkeit des Bildfensters hängt ausschließlich von der Dauer des Clips und dem Modus der Beschleunigung ab. In den Videos spiegelt sich eine vordergründig „normale“ Welt. Alltägliche Szenen vermischen sich mit quasi abstrakten Pixelgebieten, die sich beim näheren Hinschauen zu einem gruseligen Spinnwebenkabinett wandeln können. Das genaue Hinschauen wird jedoch zur Herausforderung, da sich bei diesem Videoexperiment das Bild selber durch den Raum bewegt und zwar so, wie Virilio (1) den Blick aus dem fahrenden Zugfenster den Verschiebungseffekt der hintereinander liegenden Landschaftsschichten durch die Tiefenwirkung beschreibt. Nur ist es bei X_RAY, 4.0 umgekehrt: Hier wird das „aus dem Fenster gucken“ zum Hereinschauen, als würden alle Bilder hinter der Mauer darauf warten, endlich ins sichtbare Blickfeld zu gelangen. Projektion ist hier kein Kino, der Betrachter muss dem Bild nachlaufen, um es zu sehen. Das erschwert die Wahrnehmung: Die Bildsequenzen sind mal schnell und mal sehr langsam unterwegs. Dann ist plötzlich diese Hundeschnauze, haarscharf an der Bildkante, dann wieder öffnet sich das nächste Bildfenster mit neuem, überraschenden Inhalten, in very slow motion, und wir landen im Kellergewölbe oder im Stall bei den Wiederkäuern.

Alles Fragmente und nichts ist von Dauer.

Gleich danach wird man Zeuge des irrsinnig schwierigen Unterfangens, eine Tasche vom einen Bildrand zum andern zu schleppen. Die Bewegung wird so langsam, weil das Duo Roboter Thymio und der Projektor Qumi zuweilen dieselbe Geschwindigkeit aufweist, mit der das Taschenziehen gefilmt wurde. Die Langsamkeit des Tastens der Pixel über die Mauer reicht fast bis an die Schmerzgrenze des Filmbildes, bis zum Stillstand. Genau diesem widmet sich dieses Videoexperiment. Das Bild schleppt sich durch den Raum wie die Dehnung der Zeit bei der Anfangszene im Film „Spiel mir das Lied…”.

Auch der Ton ist nur manchmal wahrnehmbar, wie wenn man an der offenen Tür eines Restaurants vorbeigeht und sich das Stimmengewirr kurzfristig auf die Strasse entleert. Manchmal scheint der Roboter Thymio unter der Last zu ächzen und manchmal hört man Stimmen, die etwas sagen, aber im Grossen und Ganzen sind es nur unzusammenhängende Wortfetzen. Die Flüchtigkeit von Bild und Ton sind bei dieser Arbeit Programm. Alles Fragmente und nichts ist von Dauer.


Referenz

  1. Der Medientheoretiker Paul Virilio macht in seinem Aufsatz Fahrzeug auf einen bedeutenden Aspekt des beschleunigten Sehens aufmerksam. Er vergleicht die Flüchtigkeit der Wahrnehmung aus einem fahrenden Wagen heraus mit den immateriellen, flüchtigen Bildern des Mediums Film. Je nach Grad der Beschleunigung des Transportmittels verändert sich die Deutlichkeit des vorbeiziehenden Bildes, ähnlich wie bei einem Projektor, der Bilder vor den Augen des Zuschauers in Hochgeschwindigkeit ablaufen lässt. Die Geschwindigkeit trägt so dazu bei, dass wir die Welt in Distanz zu uns wahrnehmen, dass Materialität und Körperlichkeit sich auflösen – die Dynamisierung von Bewegung findet nicht mehr im realen Raum, sondern im Bild statt. (zit. Sonja Claser: Ausstellung High Speed, Slow Motion, Potsdam 2011)

 


Dank

  • KunstRaum R57 Installation vom 28.09.2016 – 14.10.2016
  • Beratung und Technik: Thomas Enz und Christof Grünig
Creative Commons Licence

AUTHOR: Corina Rüegg

Die in Indien geborene und zwischen Zürich und Nizza lebende Künstlerin gründete 2005 ihr Atelier für Kunst und Landschaft. Seither beschäftigt sie sich nicht nur mit den aktuellen Fragen und Belangen des öffentlichen Raumes und entwirft Projekte (u.a. Himmelstreppe), sondern sie erforscht in Bezug zum Thema 4.0 auch die räumlichen und zeitlichen Dimensionen von bildnerischen Oberflächen als Orte flüchtiger Realität.

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