Blockchain sichert den Datenaustausch im Gesundheitswesen

Mit der digitalen Sicherheitstechnologie können nicht nur elektronische Patientendossiers geführt werden sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den medizinischen AkteurInnen vertraulich realisiert werden. Ein Fachbeitrag über die möglichen Anwendungen im Gesundheitswesen von zwei Medizininformatikern der BFH.

Blockchain ist eine IT-Technik, mit der Daten in einem Netzwerk von Rechnern aufgrund ihrer fortlaufenden Verkettung in einer zentralen Datenstruktur, die selbst in jedem Knoten des Netzwerkes komplett also redundant vorliegt, mit hoher Sicherheit ohne Verfälschungen und Informationsverlust nachverfolgt werden können. Vertrauensschaffende Dritte (Intermediäre) zur Validierung der Daten können damit überflüssig gemacht werden. Bekannt geworden ist die Technik unter anderem aus dem Bereich der Digitalen Währungen (Bitcoin).

Man kann zwei Bedingungen für den Einsatz von Blockchain-Technologie im Gesundheitswesen formulieren:

  1. Es gibt eine relevante Anzahl von Stakeholdern, die Informationen sicher austauschen und für alle Beteiligten zugänglich speichern wollen.
  2. Intermediäre sind entweder nicht effizient oder vertrauenswürdig genug und können durch die Blockchain-Idee eliminiert werden [1].

Dabei sollten jedoch Anpassungen an die Erfordernisse des Gesundheitswesens vorgenommen werden, die sich vom Finanzsektor wesentlich unterscheiden, vor allem im Hinblick auf die Blockbildung und deren Validierung. So sind zum einen private Blockchains für Kontexte wie Studien denkbar, die nur einem ausgewählten Kreis an Stakeholdern den Zugriff auf Patientendaten ermöglichen. Wichtig ist auch eine angepasste Validierung, da der finanzielle Anreiz nicht per se im Fokus stehen muss und der Validierungsaufwand auch durch aktuelleren bzw. erweiterten Zugriff auf Daten belohnt werden kann.

Wozu Blockchain im Gesundheitswesen?

Für den Einsatz von Blockchain im Gesundheitswesen gibt es eine Vielzahl von Szenarien. Beispielsweise die fälschungssichere Archivierung medizinischer Daten und jederzeitige Vorlage dieser Daten, ohne eigene Systeme dafür aufbauen zu müssen [2]. Vor allem aber für die Zusammenführung von Daten aus unterschiedlichen Kontexten, die je verschiedene Qualitätsansprüche besitzen, wie bei der Zusammenführung von Daten aus Forschung, privatem Kontext (Quantified Self) und der Versorgung, kann die Blockchain einen passenden Mechanismus zur Speicherung von Daten bieten [3].

Wir beschreiben im Folgenden drei Anwendungsszenarien etwas näher: (i) Klinische Studien, (ii) Patientendossier und (iii) Identity Management in Affinity Domains.

(i) Klinische Studien

Im Kontext klinischer Studien sind Konsequenzen von Verzerrungen in der Ergebnisdarstellung, Manipulationen und fehlende Transparenz Treiber für die Suche nach alternativen Datenvorhaltemechanismen. Eine Blockchain verbindet unter anderem Forschungsinstitutionen (CROs), Pharmaunternehmen, PatientInnen und Spitäler und ermöglicht eine zeitnahe und konsistente Bereitstellung von Daten im Forschungsverlauf [4]. In der Blockchain werden die Patientendaten pseudonymisiert und/oder verschlüsselt vorgehalten und können aufgrund der verketteten Hashwert-Bildung nur unter unverhältnismässig hohem Aufwand verändert werden. Dies gilt auch für die Studienfragen und den statistischen Analyseplan, so dass keine intransparenten und manipulativen Veränderungen möglich sind. Eine semi-automatische Abwicklung des Studienorganisationsprozesses kann durch Smart Contracts gesteuert werden: Programmcode, dessen Ausführung im Netzwerk gesteuert und validiert wird. Ein Smart Contract lässt sich dabei unter anderem für die Aufnahme einer Person in die Studie (Enrolment) als auch den finalen Studienabschluss (Database freeze) nutzen.

(ii) Patientendossier

Zum Einsatz von Blockchain für ein Patientendossier schreiben Peterson et al. [5]: „The challenges of a patient record are not unlike those of a distributed ledger. For example, a patient may receive care at multiple institutions. From the patient’s point of view, their record is a single series of sequential care events, regardless of where these events were performed”. Im Gegensatz zur klassischen Theorie des Patientendossiers können mit dem Blockchain-Ansatz Informationen schneller distribuiert und validiert werden, was erhebliche Verbesserungen in der Patientenversorgung bringen kann.

Für die Schnelligkeit förderlich sind:

  • eine Public-Key-Infrastruktur für den Zugriff auf die Daten in der Blockchain,
  • Angabe von Referenzen statt der Rohdaten in der Blockchain und
  • Zeitstempel von Zugriffen auf die Blockchain, um jederzeit zu wissen, wer auf welche Daten wie und wann zugegriffen hat.

Die gleichen Daten können zudem für Forschungsaktivitäten bereitgestellt werden, um grössere und diversere Studienkollektive zu ermöglichen (Stichwort: Citizen Science). Zudem sinken damit die Hemmnisse für vielfältige Formen des Datenaustausches, da die zentralen Daten der Versorgung für alle zur Verfügung stehen.

Durch das über die Blockchain gestiftete Vertrauen in die Daten resultieren neue Optionen zur Zusammenarbeit. In Brasilien wurde die Implementierung einer Gesundheitsakte OmniPHR auf Blockchain-Technik pilotiert [6]. Es handelt sich aber eher um einen technischen Umsetzungsnachweis für ein theoretisch entworfenes Modell, das noch nicht praktisch eingesetzt wurde.

(iii) Identity and Access Management in Affinity Domains

An der Schnittstelle von Gesundheitspraktikern wie ÄrztInnen, PflegerInnen, Apotheken, Laboren, etc. spielen Identitätsdaten eine zentrale Rolle, um z.B. auch verteilte Daten in unterschiedlichen Systemen des Gesundheitswesens zu schützen. Hier hat sich der Begriff des Identity and Access Managements (IAM) etabliert. Das Verwalten, Bereitstellen und Beweisen von Identitäten und Zugriffsberechtigungen wird vereinfacht durch die Bildung von Vertrauensräumen oder auch Affinity Domains. In einem solchen Raum, etwa in einem Spital mit zuweisenden und stationären ÄrztInnen kann das IAM durch Blockchain unterstützt werden. Identitätsdaten sowie Identifizierungs- und Authentisierungsmittel lassen sich effizient integrieren, schützen, unwiderruflich speichern und mit Zeitstempel versehen werden (z.B. zur Abgrenzung von Tätigkeitsdauern etwa von ÄrztInnen). Zudem könnte das, was heute über sogenannte Proxies zur Integration des IAM über Affinity Domains und nationale Grenzen hinaus realisiert wird, über vernetzte Blockchains gelöst werden, so dass ein integriertes IAM über unterschiedliche Domänen und Metadomänen hinaus ermöglicht wird.

Wer profitiert von Blockchain im Gesundheitswesen?

Die Beispiele deuten an, dass die Beschleunigung des Datenaustausches (wo heute noch zum Teil schriftliche Verträge und Bestätigungen von Trusted Third Parties notwendig sind), die verbesserte Validierung und die reduzierte Manipulationsgefahr vor allem für Gesundheitsdienstleistende, PatientInnen, Krankenversicherungen und den staatlichen Institutionen von grossem Nutzen sein kann. So verspricht sich Estland mit dem e-Health Record auf Basis von Blockchain einen erheblichen Nutzen durch beschleunigten Zugriff auf Gesundheitsdaten [7]. Dadurch wird eine Möglichkeit geschaffen, zu mündigeren PatientInnen zu kommen, die über ihre Daten selbst bestimmen.

Blockchain erscheint derzeit als Lösung für viele Probleme des Datenaustausches im Gesundheitswesen, dennoch existieren auch Zweifel, da für viele Überlegungen noch kein Nachweis eines tatsächlichen Mehrwertes erbracht wurde. Zudem gibt es Bedenken hinsichtlich der stetigen Vergrösserung eines redundant vorliegenden Blockchains (Netzwerkblockierung und Speicherineffizienz), bezüglich der Probleme von Validierungsproblemen bei kleineren Netzwerken (ein Angreifer braucht viel weniger unter Rechner seine Kontrolle zu bringen, um die Validierung auszuhebeln) und wegen der steigenden Datenschutzproblematik, wenn Daten nicht mehr «vergessen» werden können. Ob sich der technologische Aufwand gegenüber klassischen Lösungen rentiert, muss sich erst noch zeigen. Zusammenfassend kann gesagt werden: Blockchain ist eine relativ neue Technologie, und es ist noch unklar, ob sie im Kontext der Gartner-Zyklus-Darstellung [Abb., 8] noch im Gipfel der übersteigerten Erwartungen liegt oder gerade ins Tal der Desillusionierung fällt.

 


Referenzen

  1. Mettler M. Blockchain technology in healthcare: The revolution starts here, IEEE; 2016, p. 1–3. doi:10.1109/HealthCom.2016.7749510.
  2. Azaria A, Ekblaw A, Vieira T, Lippman A. MedRec: Using Blockchain for Medical Data Access and Permission Management. 2016 2nd Int. Conf. Open Big Data OBD, 2016, p. 25–30. doi:10.1109/OBD.2016.11.
  3. Health IT Security. Exploring the Use of Blockchain for EHRs, Healthcare Big Data. HealthITAnalytics 2016.  (accessed October 23, 2018).
  4. Nugent T, Upton D, Cimpoesu M. Improving data transparency in clinical trials using blockchain smart contracts. F1000Research 2016;5:2541. doi:10.12688/f1000research.9756.1.
  5. Peterson K, Deeduvanu R, Kanjamala P, Mayo KB. A Blockchain-Based Approach to Health Information Exchange Networks, 2016.
  6. Roehrs A, da Costa CA, da Rosa Righi R. OmniPHR: A distributed architecture model to integrate personal health records. J Biomed Inform 2017;71:70–81. doi:10.1016/j.jbi.2017.05.012.
  7. e-Health Records — e-Estonia n.d. / (accessed October 23, 2018).
  8. 5 Trends Emerge in the Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies (accessed October 23, 2018).
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AUTHOR: Murat Sariyar

Murat Sariyar ist promovierter Mathematiker und seit 2016 Professor für Medizininformatik der Berner Fachhochschule (BFH). Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Personalisierte Medizin, Machine Learning, Statistische Bioinformatik und Datenschutz.

AUTHOR: Thomas Bürkle

Prof. Dr. Thomas Bürkle ist Dozent in Medizininformatik an der BFH Technik & Informatik. Er forscht u.a. zu wissensbasierten Systeme, Ontologien, Evaluation von IT Systemen und Workflowunterstützung. Er ist Arzt und seit 25 Jahren in der Medizininformatik tätig.

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