Von Darknet bis Low-End-Innovation – BFH-Forschende an der Connecta Bern 2018
Die Digitalkonferenz Connecta Bern ist erfolgreich zum zweiten Mal über die Bühne gegangen. Rund 300 Teilnehmende und mehr als 90 Referierende kamen zu dem Event der Schweizerischen Post. Zentrale Themen waren Onlinehandel, Machine Learning und Sicherheitstechnik. Forschende des BFH-Zentrums Digital Society und des Departements Wirtschaft berichteten in Vorträgen über Darknet, Big Data, Smartcities und Low-End Innovation.
Das Eröffnungskeynote hielt Kai Hudenz vom Kölner Institut für Handelsforschung. Er schilderte, wie Amazon innerhalb kurzer Zeit ein Ökosystem inklusive eigener Produktion geschaffen hat und damit den deutschen Onlinehandel dominiert. Dennoch hätten die KundInnen zu Amazon eine «kalte Bindung» – nach dem Motto «ich kaufe leider bei Amazon». Der durchschnittliche Kunde shoppe etwa zweimal pro Woche beim Onlineriesen. Interessant: auch wer letztlich nichts kaufe, informiere sich über Produkte via Kundenbewertungen und gehe mit seinen Recherchen ins Geschäft. «Die Bewertung ist längst relevanter, als die Beratung der VerkäuferInnen im Fachhandel», betonte Hudetz. Dem Schweizer Onlinehandel empfiehlt er Sprachsteuerung, Kundenzentriertheit und die steigenden Ansprüche der KundInnen on- wie offline besonders in den Fokus zu nehmen.
Während die Keynotes im grossen Saal der Welle 7 von allen Teilnehmenden besucht werden konnten, fanden dazwischen Themen-Workshops in kleineren Runden statt. Dort konnte man hören, wie Prof. Dr. Reinhard Riedl, Leiter des BFH-Zentrums Digital Society anschaulich Big Data erklärte, wie der Mathematiker und KI-Spezialist Marc Pouly von der Hochschule Luzern erläuterte, auf welche Weise er Maschinen für eine textbasierte Wettbewerbsanalyse trainierte und welche bitteren Erfahrungen der deutsche Autor und Journalist Richard Gutjahr als Zielscheibe von Verschwörungstheoretikern machte. Jeder konnte sich ein eigenes, mitunter buntes Connecta-Programm zusammenstellen – wie hier von Darknet über Machine Learning bis Social Media.
Das Darknet legal nutzen
Prof. Dr. Kim Tokarski vom Departement Wirtschaft der Berner Fachhochschule erläutert legale und illegale Nutzungen und Geschäftsmodelle im Darknet. Hinein kommt man mit einem Programm wie Tor. Damit schützen die NutzerInnen ihre Identität und ihre privaten Daten. Die meisten von ihnen leben in Russland, den USA und in Saudi-Arabien. Neben den illegalen Marktplätzen für Waffen, Drogen und Kinderpornographie gibt es im anonymen Internet Börsen mit weiteren illegalen Geschäftsmodellen, etwa für Kreditkarten und Accounts – gestohlene notabene – für Hacker und Investments. Aber das Darknet wird längst auch von RegimekritikerInnen, WhistleblowerInnen und Medienschaffenden genutzt. «Das ist nicht verwunderlich, wenn man sich anschaut, dass Journalismus ausserhalb von Europa einfach lebensgefährlich geworden ist», sagte Tokarski. Weitere legale Nutzungen sind Maildienste, Foren und Chats, dank denen AktivistInnen und JournalistInnen Daten austauschen und miteinander kommunizieren können.
Low-end-Innovation als Schweizer Chance
«Wie viel würden Sie in die Produktion eines Luxusautos oder in ein Low-Budget-Modell investieren?», fragte BFH-Forscher Prof. Dr. Sebastian Gurtner zu Beginn seines Workshops. Die Antworten der Teilnehmenden waren heterogen und spiegelten nicht die Realität der Wirtschaft wider. Während heute mehr Produkte von hohem Standard – also High-end-Produkte – produziert würden, sei der Markt für Low-end-Produkte enorm, sagte Gurtner, der am Departement Wirtschaft zu dem Thema forscht. Dies bestätige auch die grosse Diskrepanz zwischen der Innovation und dem realen Bedarf. Rund die Hälfte der Weltbevölkerung müsse mit weniger als 2,5 Dollar/Tag leben. «Low-end-Innovation ist da eine gesellschaftliche Verpflichtung», betonte Gurtner, «und auch eine Chance für die Schweiz.» Die Schweiz sei eine «High-end-Nation». Weniger als 10% der Startups hätten ein Geschäftsmodell mit Low-end-Innovation, doch könnten diese bei einer Produktneueinführung 8% mehr verdienen als vergleichbare High-end-Produkte.
Das nächste Keynote drehte sich um die Blockchain, die als sichere Grundlage für viele Geschäftsmodelle gepriesen wird. Ein Ökosystem in der Schweiz dafür will Ralf Glabischnig schaffen, Mitbegründer der Crypto Valley Labs, Managing Partner bei Inacta und Initiant der Blockchain Competition. Bisher stecke die Schweizer Blockchain noch in den Kinderschuhen, sagte der Keynotespeaker, die Stadt Zug habe sich jedoch zum Cryptovalley gemausert. Es gebe einige grosse Player, die Milliarden verdienen, aber noch kein breites Umfeld. Wichtig sei aus seiner Sicht Dezentralisierung, zudem brauche es für ein Blockchain-Ökosystem drei Säulen:
- Kapital
- Talent
- Infrastruktur.
Wil und Tokio sind smart
Wie werden Städte smart? Dieser Frage ging der Informatiker und Forscher des BFH-Zentrums Digital Society Stephan Haller nach. Der Begriff Smartcity vernetze die Bereiche Leben, Mobilität, Bevölkerung, Wirtschaft, Regierung und Umwelt miteinander. Wie das aussehen kann, stellte Haller in seinem Vortrag anhand von verschiedenen Projekten in Smartcities vor. «Grundlage sind immer Daten, sie treiben die Innovation an.» Denn Daten werden in jeder Stadt erfasst, gespeichert und analysiert. Je nach dem wie Politik und Verwaltung gegenüber Open und Linked Data eingestellt seien, können daraus praktische Anwendungen resultieren, zum Beispiel in Apps. «Dabei ist die Grösse einer Stadt nicht entscheidend – die Kleinstadt Wil ist ebenso eine Smartcity wie die Millionenmetropole Tokio», sagte Haller. Erfolgsfaktoren für eine Smartcity sind demnach:
- Partizipation
- offene Daten
- und ein nachhaltiges Geschäftsmodell mit einem klaren Mehr wert für die Gesellschaft.
Netflix-Funktionen im real life?
Aktuell heiss diskutiert werden im deutschsprachigen Raum die Auswirkungen von Smartphones und Social-Media-Konsum auf Kinder und Jugendliche. Passend dazu erläutertePhilippe Wampfler seine Sicht. «Kinder und Jugendliche lernen in Social Media informell unter anderem auch die Exponentialfunktion, quasi nebenbei, wie sie es im Mathematikunterricht nicht würden», sagte der Experte für digitale Bildung. Es gehöre in der Peergroup dazu, sich gegenseitig auf den sozialen Netzwerken zu abonnieren und Beiträge der SchulkollegInnen zu liken. «Das ist richtig Arbeit für die Jugendlichen und sie kommen unter Druck, wenn sie es nicht machen», sagte Wampfler. Er erlebe die Jugendlichen als sehr kompetent im Umgang beispielsweise mit Instagram. Sie durchschauten das Spiel der Influencer und wüssten genau, wann sie einen Beitrag posten müssten und wie er gut geliked wird. Gleichzeitig lösten die Erfahrungen, die Jugendliche im Social Web machten auch Erwartungen im Offline-Leben aus. So erwarteten sie eine «Vorspul»- oder «Anhalte»-Funktion, wie sie es von Netflix kennen. Die Algorithmen verleiten zudem dazu, immer wieder auf einer Plattform nach Neuigkeiten zu schauen ähnlich wie bei dem Knapp-daneben-Effekt bei Spielsüchtigen – vielleicht ist ja diesmal eine neue Nachricht angekommen und sie werden emotional wieder belohnt.
Die Berner Fachhochschule war neben anderen Schweizer Hochschulen Contentpartner der Connecta 2018.
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