Oktoberausgabe: Digitalisierung ist eine ur-mathematische Disziplin

Ich wurde kürzlich mit der Idee konfrontiert, Digitalisierung ohne Mathematik zu unterrichten. Die Meinung war: weil Mathematik so schwierig ist, sollte man den überforderten Studierenden nur die nicht-mathematischen Digital Skills beibringen. Also Data Science ohne Statistik, Optimierung der Entscheidungsprozesse im Alltag ohne Wahrscheinlichkeitstheorie, künstlich intelligente Roboter ohne Algorithmen, Cybersecurity ohne Verschlüsselung und zwangsläufig: Finanzwirtschaft, die dem emotionalen Fühlen folgt und nicht den Zahlen.

Die Idee einer Digitalisierung, die sich an sozialen Werten orientiert, ist faszinierend und wurde auch am Swiss Digital Summit 2018 (am 27. September an der ETH in Zürich) diskutiert. Nur auch dort war klar: gerade wenn es um gesellschaftliche Werte geht, braucht es viel Mathematik. Ohne Mathematik keine digitale Aufklärung.

Meine Aufzählung der skurrilen Konsequenzen einer Digitalisierung ohne Mathematik enthält einen scheinbar nicht ganz überzeugenden Punkt: die algorithmenfreien künstlich intelligenten Roboter. Eine Zeitlang war in Teilen der KI-Community die Idee populär, dass die Intelligenz im Material liege. Das war eine kluge Idee: Man kann gutes Engineering einsetzen, um den Rechenbedarf von Computer massiv zu reduzieren. Das Ergebnis guten Engineerings hat Anteil an der resultierenden sensomotorischen Intelligenz. Der Grund ist simpel, Ingenieure arbeiten mit viel Mathematik.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Mathematik ist zentral für die Digitalisierung. Nur dass es sich dabei meist nicht um die klassische Mathematik mit Papier und Bleistift handelt, sondern um eine Kombination von Denken in mathematischen Modellen und Rechnen mit mathematikbasierten Software-Werkzeugen.

Schlimmer noch: Es ist eine Illusion, zu hoffen, dass die mühsame Mathematik mit Papier und Bleistift gänzlich überflüssig werden wird. Sie ist fast zwingend notwendig, um jene Präzision des Denkens zu entwickeln, die man braucht, um beispielsweise mit Blockchains wirklich coole Dinge zu tun. Smart Contracts zu nutzen, ohne sie zu verstehen, das ist wie einen Vertrag zu unterschreiben, der in einer Sprache abgefasst ist, die man nicht beherrscht.

Durch den Verzicht auf Mathematikunterricht nimmt man jungen Menschen weitgehend die Chance, bei der Digitalisierung mithalten zu können. Man «disabled» sie. Das kann nicht unser Ziel sein! Darum müssen wir als Gesellschaft die weit verbreitete Ablehnung der Mathematik überwinden. Nur wenn die Mathematik zu einer populären Disziplin wird, hat die Schweiz eine Chance, ihren Digitalisierungsrückstand aufzuholen und vielleicht sogar ein Digitalisierungsleader zu werden.

Genniessen Sie diese Ausgabe zu Big, Open und Linked Data und denken Sie dabei daran: Ohne Mathematik ist das alles recht wenig bis nichts.

Herzlichst, Ihr Reinhard Riedl

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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