E-Voting als Treiber der Netz-Sicherheit

In Winterthur entschied 2001 eine einzige Stimme Unterschied über die Wahl in den Stadtrat. Das Wahlbüro hatte beschlossen, dass «Pedalo» und «Panorama» auch «Pedergnana» heissen, womit die Kandidatin Pearl Pedergnana mit einer Stimme Vorsprung gewählt war. Das ist absurd. Nicht nur wegen solcher Unzulänglichkeiten gehört die Zukunft dem E-Voting, schreibt unsere Autorin, die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr in ihrem Meinungsbeitrag.

Unsere Demokratie funktioniert. Das meine ich durchaus doppeldeutig. Erstens kommt es in der Schweiz trotz einer rekordverdächtig hohen Zahl an kommunalen, kantonalen und eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen kaum je zu Pannen bei der Ermittlung von Ergebnissen – wenn wir einmal grosszügig davon absehen, dass sozusagen jede Nachzählung zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen führt.

Unsere Demokratie funktioniert aber auch mit Blick auf die Diskussionskultur. Kritiker kommen zu Wort. Zum Beispiel die Kritiker der Sicherheit von E-Voting. Ich bin dankbar für diese Diskussion, denn in aller Regel führen solch argumentative Seilziehen zu besseren Ergebnissen. Mit Recht setzen die Kritiker von E-Voting bei der Sicherheit an. Wir müssen die offenen Fragen dazu sehr ernst nehmen. Ich komme darauf zurück. Aber die Kritiker verbreiten meiner Meinung nach etwas gar viel Pessimismus. Lassen Sie uns in Gedanken einmal ein paar Jahre in die Zukunft schweifen. Auch bei Tempo 120 werden wir uns dann ohne einen Blick auf die Strasse der Elektronik in unseren Fahrzeugen anvertrauen, wir werden persönlichste Informationen über immer neue digitale Kanäle durch die Welt schicken und auch unsere Demokratie wird bis dahin einen Digitalisierungsschub hinter sich haben. Unterschriften für Initiativen, Referenden und Petitionen werden nicht mehr samstags vor Einkaufszentren gesammelt, sondern im digitalen Raum. Eltern werden ihren Kindern erzählen, dass es einst Bankschalter und Wahlurnen gegeben hatte.

Pessimismus ist fehl am Platz

Diese Zukunft ist näher, als wir glauben: Die Stadt Zug hat vor wenigen Tagen eine auf der Blockchain-Technologie basierende Konsultativ-Abstimmung durchgeführt. Die Ergebnisse liefen also nicht zentral über einen Server, sondern verteilt über eine Blockchain über mehrere – genau wie heute in den vielen lokalen Wahlbüros.

Die Digitalisierung krempelt unsere Lebenswelten um. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass das mit dem Ausüben unserer demokratischen Rechte anders sein soll. Auch ich trete dafür ein, dass wir die Fragen der Sicherheit rund um E-Voting sehr, sehr ernst nehmen. Aber Pessimismus ist fehl am Platz.

Ich zitiere da gern Bryan Ford, Professor für Informatik an der ETH Lausanne, der die Sicherheit der in der Schweiz verfolgten E-Voting-Systeme von Post und Kanton Genf als beispielhaft bezeichnet. Er misst dem E-Voting sogar eine Vorreiter-Rolle zu. Seine bedenkenswerte These: Eine der ganz grossen Herausforderungen in der digitalen Welt ist die Identifikation von Akteuren. Das ist uns spätestens seit den letzten Präsidentschaftswahlen in den USA schmerzhaft bewusst. Genau auf diesem Feld können modernste E-Voting-Systeme entscheidende Verbesserungen bewirken. Sie sorgen dafür, dass Personen zweifelsfrei identifiziert und anschliessend wieder anonymisiert werden. E-Voting-Systeme haben laut Ford also das Potenzial, die Sicherheit im Internet generell zu verbessern. Wenn wir jetzt also die Stimmenermittlung der Zukunft bauen, steuern wir damit nicht auf den Abgrund der Demokratie zu, sondern wir leisten hoffentlich einen Beitrag zu einem sichereren Internet. Pessimismus versus Optimismus.

Oft unredliche Kontra-Argumente

Ich habe in meinem Leben als Politikerin zahlreiche Diskussionen miterlebt. Was mich an der aktuellen Debatte über die Sicherheit von E-Voting irritiert und ärgert, ist die Unredlichkeit der Argumentation, mit der die Kritiker Verunsicherung schüren.

Sie mischen Kraut und Rüben. So zeigen die Pessimisten gern auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen und wollen damit die Verletzlichkeit von Systemen zur elektronischen Stimmabgabe beweisen. Das ist falsch. In den USA wurde bei den Wahlen 2016 kein E-Voting über den Computer der Wählerinnen und Wähler angeboten. Der Hacking-Verdacht richtete sich auf elektronische Wahlmaschinen, die in den Urnenlokalen stehen und über Touchscreen bedienbar sind. Gehackt wurden in den USA – um noch einmal Bryan Ford zu zitieren – jedoch die Gehirne der Wählerinnen und Wähler. Ich bin die Erste, die für den Kampf gegen solche Tendenzen zu gewinnen ist. Aber das hat nichts mit der Sicherheit der Schweizer E-Voting-Systeme zu tun.

Vergleich mit Ausland ungünstig

Gern zitieren die Pessimisten auch Länder wie Deutschland, Frankreich und Norwegen, um zu zeigen, dass sich die Schweiz auf dem Holzweg befinde. Auch diese Vergleiche sind falsch. Das Bundesverfassungsgericht in Deutschland hat ausdrücklich die Verwendung von Wahlcomputern als verfassungswidrig erklärt, jedoch nicht E-Voting. Mit dem in Frankreich verwendeten E-Voting-System für Französinnen und Franzosen im Ausland war die Stimmabgabe nicht individuell verifizierbar. In Norwegen können Stimmberechtigte ihre abgegebene Stimme nachträglich mehrmals ändern. Das sogenannte Mehrfachabstimmen führt zu komplexen sicherheitstechnischen Fragestellungen und Anforderungen, die nicht auf den schweizerischen Kontext übertragbar sind. Vergleiche mit dem Ausland hinken, weil sie die spezielle Ausgangslage in der Schweiz (direkte Demokratie, dezentrale Organisation, etablierte briefliche Stimmabgabe und die gesetzlich vorgeschriebene vollständige Verifizierbarkeit) nicht berücksichtigen. Zudem wird von den Kritikern ausgeblendet, dass auch beim analogen Abstimmen rund zwei Drittel der Abwicklung bereits digital sind. Niemand will zurück zu den Zeiten, wo die Wahlresultate erst am Folgetag bekannt gegeben werden konnten. Wir diskutieren also nicht um den Grundsatz digital versus analog, sondern um eine Art «letzte Meile».

Wenn das Stimmvolk es will

Das E-Voting kommt, wenn die Stimmberechtigten bei den zu erwartenden Referenden es so wollen. Darum ist die Debatte darum nun so wichtig. Aber ebenso wie Sicherheit im E-Voting oberste Priorität haben muss, fordere ich Lauterkeit in dieser Diskussion. Ich kenne etliche E-Voting-Pessimisten persönlich und schätze sie als differenziert denkende und konstruktive Debattierer. Polemik und schiefe Vergleiche sind fehl am Platz.

E-Voting entspricht einem Bedürfnis der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger und es verbessert den Prozess der Abstimmung. Dank E-Voting wird künftig mit Schliessung der Wahlurnen nicht das grosse Rätselraten und Interpretieren beginnen, sondern es werden fünf Minuten nach Schliessung der elektronischen Urne die Champagnerkorken knallen – bei der siegreichen Partei.

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AUTHOR: Jacqueline Fehr

Jacqueline Fehr (SP) ist Regierungsrätin und Justizdirektorin des Kantons Zürich.

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