Augustausgabe: Die Diskussion um E-Voting blüht und polarisiert
E-Voting war immer schon ein Thema, das stark polarisiert, sich aber auch durch schräge Perspektiven auszeichnet. Egal ob staubtrocken oder groovig, viele Denk- und Textbeiträge haben ganz eigene literarische Qualitäten. Und auch die Praxis bietet faszinierende Einblicke.
Vor fünfzehn Jahren hat ein Student bei mir eine Masterarbeit zu E-Voting geschrieben, die zwei pikante Ergebnisse enthielt (wobei ich fast gar nicht übertreibe)
- Eine klare Mehrheit der befragten Studierenden an der Universität Zürich wollte E-Voting, obwohl sie die Lösung nicht für sicher hielten – Manipulations? Who cares!
- Die öffentliche Verwaltung sah Manipulationsverbote als wesentliche Sicherheitsmassnahme an und war gleichzeitig entschieden gegen Open Source – Security by Obscurity AND Law!
Die E-Democracy-Wissenschaftscommunity hat das Ergebnis erwartungsgemäss abgelehnt nach Christian Morgensterns Prinzip «weil nicht sein kann, was nicht sein darf». Dabei zeigt es geradezu exemplarisch, wie trügerisch das ganze Gerede von «Vertrauen schaffen» ist.
Vor drei Jahren besuchte ich mit Schweizer E-Voting Experten die bulgarische Hauptstadt Sofia und erlebte, dass Reisen wirklich bildet. Naturgemäss ist vieles, was wir erlebten, vertraulich. Aber es gab lehrreiche Erlebnisse am laufenden Band. Wir begriffen, dass die Motivationen für E-Voting in der Schweiz und in Bulgarien gänzlich verschieden sind: bei Ihnen ist das Ansinnen wesentlich politischer und nicht parteienneutral. Wir bekamen Anekdoten erzählt, wie aus dem IT-Management-Lehrbuch, beispielsweise Mythical Man Month, nur extremer. Die Inszenierungen erinnerten an Theater in Originalkulissen aus der Zeit des Kommunismus. Das offene Misstrauen gegenüber Journalisten war frappant, die Übersetzungspraxis filmreif und die Geschäftsmodelle der NGOs wie aus der Weltwoche entlehnt. Als ich gegen Ende erlebte, wie die Universitätsdekanin und Staatssekretärin, die uns zum Kaffee einlud, mich für einen glatten Lügner hielt, wurde es wirklich spannend: Aus bulgarischer Sicht ist die Regierung innovativ und die Verwaltung blockiert alles Neue. Dass in Ländern wie der Schweiz einigen politischen Parteien die Verwaltung zu innovativ sein könnte, das kann man sich nicht vorstellen. Ich habe es versucht zu erklären, aber habe meine Zweifel, dass ich erfolgreich war – zu verschieden sind die politischen Kulturen. Ganz nebenbei habe ich bei diesem gemeinsamen Kaffee aber selber noch viel über die EU gelernt.
Dies sind nur zwei von vielen schrägen E-Voting Geschichten. Und das noch ganz ohne Blockchain. Die Blockchain ist dann noch das Sahnehäubchen obendrauf.
In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihnen unsere Ausgabe zu E-Voting Denkanstösse bietet oder Ihre persönliche Meinung umwirft, geschätzte Leserinnen und Leser.
Herzlichst
Ihr Reinhard Riedl
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