Warum Usability für eHealth-Anwendungen wichtig ist

Elektronische Gesundheitsanwendungen werden oft gerade von denen nicht angenommen, die davon profitieren könnten. Offenbar sind diese an den Bedürfnissen von den chronisch Kranken oder älteren Menschen vorbei entwickelt worden. Eine bessere Bedienbarkeit dank User-Centered-Design ist im Gesundheitswesen leider noch nicht so etabliert wie z.B. im E-Government. Dabei ist Usability ein entscheidender Erfolgsfaktor für eHealth.

eHealth ist in aller Munde. Bereits im Dezember 2011 ergab die Internetrecherche mit dem Suchbegriff „eHealth“ 659 Treffer in PubMed, 18.600 in Google Scholar und 2.420.000 in yahoo.com sowie 29.500.000 in Google.com (Showell und Nohr, 2012). Erstaunlicherweise gibt es trotzdem keine klare Definition für eHealth. Systematisch aufgearbeitet wurde diese Frage schon von Oh et al. (2005), mit dem – hier etwas verkürzt dargestellten – Resultat, dass eHealth etwas mit Gesundheit und Technologie bzw. Internet zu tun hat, und dass unter anderem Anwendungsbereiche wie die Versorgung chronisch Kranker damit gemeint sind oder ganz allgemein „Gesundheitsversorgung unter Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien“.

Dementsprechend heterogen ist die Palette an eHealth-Anwendungen, welche sich auf Basis neuerer Formen der Mensch-Maschine Interaktion (z.B. ubiquitous und pervasive computing) noch in mHealth-, pHealth- und dHealth-Anwendungen unterteilen lassen. Jedenfalls sind wichtige Prozesse der Gesundheitsversorgung sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie und Pflege bzw. Rehabilitation davon betroffen. Im Zusammenhang mit weiteren technologischen Möglichkeiten wie etwa Wearables, Cloud Computing und Artificial Intelligence bergen eHealth-Anwendungen ein enorm disruptives Potenzial.

Dies mag auch den in Teilbereichen gewaltigen Widerstand gegen eHealth-Anwendungen erklären. Aktuelles Beispiel für diese Situation ist die Einführung elektronischer Gesundheitsdossiers, wo immer neue Argumente aus dem Umfeld berufsgruppenpolitischer Interessensgruppen Risiken adressieren, welche bei genauerer Betrachtung gegenüber den Vorteilen vernachlässigbar scheinen. Nicht selten wird die Argumentationskeule des Datenschutzes ins Treffen geführt, ohne zu reflektieren wie groß das Ausmass vermeidbarer unerwünschter Ereignisse heute, gerade wegen der Informationsmängel an den Schnittstellen noch ist. Wie gross ist denn die Gefahr einer missbräuchlichen Verarbeitung von Impfdaten über einen e-Impfpass wirklich im Vergleich zur Sicherstellung eines aktuell empfohlenen Impfstatus und einer damit einhergehenden Herdimmunität in der Gesamtbevölkerung?

Unterschiedliche eHealth-User
Es lohnt sich daher die Charakteristiken der User von eHealth-Anwendungen näher zu betrachten. Diese können, abgesehen von Organisationen, folgende sein:

  • Health Professionals (Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, Hebammen, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten etc.
  • Administratives Personal in Gesundheitseinrichtungen
  • Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige (insbesondere bei chronischen Krankheiten wie Asthma, Diabetes, COPD)
  • Gesunde Bürgerinnen und Bürger

Je nach Zugehörigkeit zu einer dieser Bevölkerungsgruppen – genauer Rollen -, unterscheiden sich die individuellen Zielvorstellungen erheblich. Bisweilen widersprechen sich die individuellen Ziele sogar je nachdem, welche Rolle man einnimmt: vorstellbar ist z.B. dass ein Arzt eHealth-Anwendungen unter Verweis auf die Datensicherheit in seinem beruflichen Umfeld ablehnt, sich als Freizeitsportler aber einer Fitness-Plattform angeschlossen hat und innerhalb der Community Trainingsdaten austauscht.

Gesunde Bürgerinnen und Bürger (dazu können auch Health Professionals gerechnet werden) nehmen vor allem gesundheitsbezogene Informationsdienste im Internet in Anspruch. Diese sind in der Regel hinsichtlich Usability unkritisch bzw. benutzerfreundlich, da meistens anonymisiert gearbeitet werden kann oder man sich ohne viel Aufwand bei Foren registrieren kann. Dies verhält sich bei Patientinnen, Patienten und deren Angehörigen (im folgenden End-User genannt) erheblich anders. eHealth-Anwendungen für diese Bevölkerungsgruppen weisen oft große Mängel in der Usability auf, welche eine bedeutende Einstiegsbarriere darstellen. Manchmal sind auch regulatorische Rahmenbedingungen verantwortlich für die geringe Usability.

Das heißt die End-User kommen gar nicht soweit, dass sie sich mit dem möglichen Mehrwert der eHealth-Lösung auseinandersetzen, sondern scheitern schon bei der ersten Inbetriebnahme durch Bedienungsfehler oder sogar davor, weil ihnen wichtige infrastrukturelle Vorrausetzungen (Internetanschluss, WLAN, Handysignatur, Eingabegeräte etc.) fehlen. Als Beispiel darf hier die Authentifizierung im Zusammenhang mit der österreichischen elektronischen Gesundheitsakte ELGA angeführt werden, welche nur mittels Handysignatur oder Bürgerkarte möglich ist. Es darf bezweifelt werden, dass in der Allgemeinbevölkerung genügend Wissen über die notwendigen Schritte bzw. Geräte vorhanden ist. Somit sind diese Personen ohne Hilfe faktisch ausgeschlossen, obwohl sie per Gesetz (Opt-Out Regelung) eigentlich Zugang zu ihrer ELGA hätten.
Verstärkend kommt hinzu, dass es sich bei den Patienten und deren Angehörigen aufgrund des Alters, einer chronischen Erkrankung oder einer Medikation oftmals um Personen mit eingeschränkten perzeptiven, kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten handelt. Dies muss im Design der eHealth-Anwendungen berücksichtigt werden.

Aspekte der usability bzw. des User-Centered-Design
Prinzipiell geht es bei eHealth-Anwendungen einerseits um verschiedene Formen der Kommunikation zwischen Health Professionals und Patientinnen und Patienten (in der Telemedizin ist diese räumlich oder sogar zeitlich getrennt) sowie dem Austausch zwischen Gesundheitseinrichtungen und andererseits um die Gesundheitsinformationsversorgung der Bürger und Bürgerinnen über Internet-Technologien.
Zur Gewährleistung der Usability solcher Anwendungen existieren neben allgemeinen Standards wie z.B. der Norm EN ISO 9241, welche Richtlinien der Mensch-Computer-Interaktion beschreibt, spezielle Telemedizin- oder eHealth-Standards. Das European Telecommunications Standards Institute hat z.B. solche entwickelt. Ferner stehen viele User-Centered-Design-Methoden zur Verfügung, die auch in das Gesundheitswesen übernommen werden können. Demiris et al. (2010) führen z.B. „Paper prototyping and sketching, thinking aloud, scenarios and storytelling, interviews and field studies, questionnaires, logging and other observation methods“ sowie „simulation and modeling“ an.
Als eine Art Minimalempfehlung für das Design der Schnittstellen, der Systemeigenschaften und der Implementierung schlagen Demiris et al. (2010) folgende drei Maßnahmen vor:

  • Einbeziehen der End-User in möglichst frühe Design-Phasen
  • Messung der Usability mittels Beobachtungen
  • Reflexion der Informationsbedürfnisse der End-User

Hilfreich ist die Entwicklung sogenannter „Personas“, die bestimmte User-Typen repräsentieren. Letztlich geht es darum, durch Berücksichtigung der Human Factors (HF) die Sicherheit und Effektivität des Gesamtsystems Mensch-Maschine zu verbessern. Die Bandbreite der zu berücksichtigenden Faktoren ist vielfältig und reicht von den Eingabegeräten (Mouse, Keyboard, Touchpad etc. bis zu den psychischen, kognitiven und sozialen Einflussfaktoren der User.
Velsen et al. (2013) haben einen multidisziplinären Ansatz zum Requirements-Development für eHealth vorgeschlagen, um die Diskrepanz zwischen der entwickelten Technologie, den End-User Charakteristiken, physikalischen Rahmenbedingungen und dem organisationalen User-Kontext zu überbrücken.

Ausblick
Möglicherweise muss die Gesellschaft für den sinnvollen Gebrauch von eHealth-Anwendungen auf der Makroebene noch ökonomische Anreize wie Steuererleichterungen, Versicherungsrabatte, Gewinnspiele oder anderes installieren. Grundlegend und hilfreich ist es jedenfalls, wenn eHealth-Anwendungen eine hohe Usability aufweisen und dadurch die Adhärenz zur Erreichung der gewünschten Ziele der Gesundheitsversorgung fördern. Methoden und Tools dazu liegen bereit.


Quellen

  1. Showell, C., Nohr, C. (2012). How should we define eHealth, and does the definition matter? Quality of Life through Quality of Information. J. Mantas et al. (Eds.) doi: 10.3233/978-1-61499-101-4-881
  2. Oh, H., Rizo, C., Enkin, M., Jadad, A. (2005). What Is eHealth (3): A Systematic Review of Published Definitions. J Med Internet Res. 2005 Jan-Mar; 7(1): e1. PMCID: PMC1550636. PMID: 15829471
  3. Demiris, G., Krupinksi, E., Washington, K., Farberow, B. (2010). The Role of Human Factors in Telehealth. Telemedicine and e-Health, May 2010. doi: 10.1089/tmj.2009.0114
  4. Velsen, L., Wentzel, J., Gemert-Pinjen, J. (2013). Designing eHealth that Matters via a Multidisciplinary Requirements Development Approach. JMIR Res Protoc. 2013 Jan-Jun; 2(1): e21. PMCID: PMC38154232. doi: 10.2196/resprot.2547
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AUTHOR: Robert Mischak

Robert Mischak ist Wirtschaftsingenieur und Master of Public Health. Aktuell leitet er an der Fachhochschule JOANNEUM das Institut und den Studiengang eHealth und ist Departmentvorsitzender für Angewandte Informatik. Seine Fachgebiete sind Gesundheitsökonomie, Controlling und Management im Gesundheitswesen und Business Intelligence. Außerdem ist er Vize-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pflegeinformatik (OeGPI).

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