Wie smart müssen unsere Gebäude sein?

Der Anspruch an die Qualität unserer Wohn- und Arbeitsräume wächst stetig. Heute ist der Energiebedarf für die Erhaltung eines komfortablen Raumklimas in der Schweiz für rund 37 Prozent des gesamten Energieverbrauchs verantwortlich. Um davon wegzukommen, dürfen wir nicht ausschliesslich auf die Gebäudetechnik setzen – denn der Mensch macht deren Vorteile oft zunichte.

Ein paar Tatsachen vorweg: Wir Menschen fühlen uns wohl bei einer Raumtemperatur von 20 bis 24° Celsius, möglichst ohne Durchzug, gerne auch mit genügend Tageslicht. Wir wollen uns weder ausgestellt noch eingesperrt fühlen und brauchen frische Luft, um frei atmen zu können. Nun ist es im Schweizer Mittelland im Jahresdurchschnitt nur rund 10° Celsius warm. Die Differenz zu unserem Wohlfühlbereich überwinden wir mit einer geeigneten Gebäudehülle und, je nach deren Qualität, mehr oder weniger thermischer Energie.

Wärme ohne Heizung – eigentlich kein Problem
Um die Differenz zwischen der Aussen- und der gewünschten Innentemperatur zu überwinden, gibt es Heizungen. Aber nicht nur: Sonneneinstrahlung, verschiedenste Elektrogeräte und nicht zuletzt wir Menschen mit einer Wärmeleistung von 70 bis 100 Watt pro Person wirken ebenfalls als Wärmequellen. Mit einem ausgewogenen Glasanteil und einer optimalen Wärmedämmung kommen sogenannte Passivhäuser heute problemlos ohne Heizung aus. Solche Gebäude sind in der Lage, das Raumklima im Wohlfühlbereich von 20 bis 24° Celsius zu halten – sogar fast ohne Gebäudetechnik.

Viel Heizwärme verpufft in alten Gebäuden
Auch bei normalen Neubauten wird heute wegen der gesetzlich vorgeschriebenen, guten Wärmedämmung nur noch wenig Heizwärme benötigt. Anders ist es bei Gebäuden, die vor dem Jahr 2000 erstellt worden sind. Hier ist der Wärmestrom von innen nach aussen relativ gross. Diese Gebäude stellen den Grossteil unseres Gebäudeparks dar und brauchen viel Heizwärme, die heute noch zu einem grossen Teil aus nicht erneuerbaren fossilen Energiequellen erzeugt wird. Hier liegt eine der grossen Herausforderungen der Energiewende.

Der Mensch wird zum Störfaktor
Der Mensch hat einen sehr grossen Einfluss auf den Energiebedarf in Gebäuden. Wären wir im Winter im Durchschnitt mit einem Grad Celsius weniger zufrieden, könnten wir rund 5 Prozent Heizenergie einsparen. Wer aber lebt schon gerne in einem Haus, in dem die Temperatur nicht komfortabel ist? Ist es zu kalt, wollen wir heizen; ist es zu warm, wollen wir kühlen und öffnen die Fenster. Gerade Letzteres kommt in gut gedämmten Häusern oft vor. Ist also ein Gebäude nicht selbst in der Lage, den Komfortbereich zu halten, wird der Mensch zum Störfaktor. Insbesondere im Niedrigenergiebereich ist der Einfluss der Nutzer auf den Energiebedarf oft gross und kann Abweichungen von 50 bis 100 Prozent gegenüber der berechneten Energiemenge ausmachen, wie eine Studie des Bundesamts für Energie 2010 ergeben hat.

Die Gebäudetechnik hilft beim Energiesparen…
Wir Menschen haben wenig Gespür für Energie, für Komfort aber sehr wohl. Energie sparen wir nur dann, wenn wir Änderungen im Energieverbrauch explizit wahrnehmen, den Zusammenhang zu unserem Handeln erkennen und uns klare Ziele setzen. Hier kann die Gebäudetechnik einsetzen: Einerseits vermeidet sie durch selbsttätiges Regeln innerhalb des Komfortbereichs, dass unnötig Energie aufgewendet wird. Andererseits gibt sie dem Nutzer Feedbacks in Form von geeigneten Informationen, die diesen zum Eingreifen auffordern – oder davon abhalten. Sparsames Verhalten wird damit begreifbar. Wollen wir das Energiesparpotenzial der Gebäudetechnik ausschöpfen, müssen wir deshalb den Nutzer mit seinen Bedürfnissen und Gewohnheiten noch besser berücksichtigen.

… aber sie kann es nicht alleine richten
Wir sollten uns aber davor hüten, die Gebäudetechnik als Heilsbringerin zu sehen. Zuerst müssen wir die Hausaufgaben im baulichen Bereich sorgsam erledigen, um zu verhindern, dass die Abweichungen zum Komfortbereich mit viel technischem Aufwand und einem stetigen Energiestrom korrigiert werden müssen. Deshalb gilt: Das Gebäude soll leisten, die Gebäudetechnik soll justieren.

Smarte Gebäude müssen gutmütig sein
Sowohl die Gebäudetechnik als auch das Gebäude selbst müssen also smart sein. Ein smartes Gebäude hat solide bauliche Eigenschaften: eine gute Wärmedämmung, einen angemessenen Glasanteil, eine wirksame Beschattung und eine gute thermische Speichermasse. Es reagiert deshalb gutmütig auf schwankende externe und interne Wärmeverhältnisse und kann fast oder sogar ganz ohne Gebäudetechnik den Komfortbereich für die vorgesehene Nutzung ganzjährig erhalten. Eine intelligente Gebäudetechnik ergänzt das Gebäude als System. Aber keine auch noch so smarte Gebäudetechnik kann ein nicht smart gebautes Gebäude heilen.


Der Beitrag stammt aus der folgenden Publikation:

«Energiewende»
Wie können wir unsere begrenzten Ressourcen so einsetzen, dass wir Umwelt und Klima weniger belasten als bisher und dennoch einen hohen Lebensstandard erreichen? Diese Frage steht im Zentrum der Energiewende als Ganzes – denn die Energiewende greift tiefer als der blosse Ausstieg aus der Kernkraft. Die Autorinnen und Autoren betten die Energiewende ein in den grösseren Zusammenhang der Begrenztheit unserer Erde und präsentieren einschlägige Lösungen mit ihren Chancen und Grenzen in der praktischen Umsetzung.

Mit Glossar: „Die Energiewende in 100 Begriffen“.
EBP (Hrsg.): Energiewende. Erschienen 2017 im vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich (ISBN 978-3-7281-3827-9).

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des vdf Hochschulverlags.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Heinz Richter

Heinz Richter leitet den Geschäftsbereich Energie + Technik bei EBP.

AUTHOR: Martin Meier

Martin Meier ist selbständiger Energieberater und leitete bis Juni 2016 bei EBP das Team Energieberatung.

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