Wir brauchen deutsche ministerielle Digitaleinheiten und ein Digitalministerium

Die Schaffung eines neuen Digitalministeriums, eines neuen und wirkungslosen Silos, helfen nicht bei der digitalen Transformation. Die Übertragung von Strukturen aus Konzernen oder Start-ups wird im behördlichen Umfeld allerdings ebenfalls scheitern. Gefragt ist nach dem dritten Weg. Ein Versuch der Beschreibung.

Alle, Start-up, Mittelständler und Konzerne wollen es, einige Parteien auch, und auf Anhieb wirkt es für jeden attraktiv: Die Einführung eines Digitalministeriums und eines Digitalministers muss es spätestens nach der nächsten Kabinettbildung geben. Vorbild dafür sind die Chief Digital Officer (CDO) in Unternehmen.

Nichts weniger als die digitale Neuerfindung der sozialen Marktwirtschaft und der Arbeitswelt wird von einem Digitalministerium erwartet. Eine kurze Recherche genügt, um zu lesen, welche Forderungen solch ein neu entworfenes Ministerium erfüllen soll:

  • Ausbau des Glasfasernetzes in Stadt und Land
  • Einführung eines Schulfaches Digitalkunde
  • Förderung von Industrie 4.0
  • Anpassung des Datenschutzrechts
  • Wandel der Arbeitswelt

Diese Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen.

Die These hinter der Einführung eines Digitalministeriums ist: Wenn wir die diversen Abteilungen und Referate aus den verschiedenen Bundesministerien (wie Justiz, Wirtschaft, Verkehr, Finanzen, Bildung, Arbeit, Innen usw.) in ein Ministerium zusammenführen, dann wird die Digitalisierung besser und schneller gemeistert.

Lösungen aus der Wirtschaft funktionieren nur bedingt

Ähnliche Gedanken sind es, die bei großen Unternehmen zur Einrichtung eines CDOs (wahlweise heißen sie auch Chief Innovation Officer, Chief Information Officer o.ä.) führen. Diese/r möge doch bitte die Digitale Transformation des Unternehmens vornehmen, neues Geschäft entwickeln und neue Einnahmequellen generieren, aber das bestehende Geschäft und die Strukturen in Ruhe lassen. Und das Ganze ist in bitte zwei Jahren zu liefern. Begleitet werden diese von Inkubatoren und anderen Programmen, um Kreativität von außen ins Unternehmen zu bringen. Viele verschiedene Knöpfe werden gedrückt. Das Ergebnis ist überschaubar. Die ersten Programme werden daher schon wieder erfolglos eingestellt.

Digitale Transformation braucht eine Humane Transformation

Die digitale Transformation geht mit einer menschlichen Transformation einher. Alle Möglichkeiten, die dieser erstmal technologische Wandel mit sich bringt, kann nur von Menschen genutzt werden, die ein hinreichendes Maß an kreativen Kompetenzen mitbringen. Dazu gehören eine grundoptimistische Haltung sowie eine in Prototypen geprägte Denk- und Arbeitsweise. Die Digitalisierungs- und Innovationseinheiten in Unternehmen, wie sie ein CDO leitet, sind nicht nur damit beschäftigt, neue Geschäftsmodelle zu erarbeiten, sondern auch innerhalb ihrer eigenen Organisation den kulturellen Wandel anzustoßen, zu gestalten und ihre Kolleginnen und Kollegen in der neuen Denk- und Arbeitsweise einzuführen. Herkules und Sisyphos würden sie nicht um ihre Aufgaben beneiden. Da gibt es Mitarbeiter und Führungskräfte, die haben Lust, und solche, die kämpfen aktiv gegen diesen Wandel an, getrieben von Unverständnis oder Verlustängsten. Ein CDO und ihre/seine Kollegen wissen nur zu gut, dass sie Verbündete in allen Unternehmensbereichen brauchen, die bei der Entwicklung, dem Testen und Ausrollen von neuen Geschäftsmodellen helfen. Sonst laufen sie Gefahr, dass jede noch so gute Idee, von der Organisation mit so viel Gegenwehr und Bürokratie überzogen wird, dass sie nicht überleben wird und der langfristige Erhalt des Unternehmens ernsthaft gefährdet wird.

Verstehen des Systems

Im politischen und behördlichen Umfeld wird ein Digitalministerium, das auch gerne Zukunftsministerium heißen soll, insbesondere dann wirkungslos bleiben, wenn es isoliert arbeitet und personell vor allem aus Entrepreneuren, Designern, Entwicklern und anderen Mitgliedern der kreativen Klasse besteht. Sie sind brillant, wenn es darum geht, schnell Ideen zu produzieren, Prototypen zu bauen, Geschäftsmodelle zu kreieren. Im behördlichen und politischen Umfeld sind aber andere Fähigkeiten gefragt und andere Vorgehensweisen zielführender. Wer kein Verständnis und keine Demut für den Erfolg der bisherigen ministeriellen und behördlichen Strukturen aufbringt, die jahrzehntelang den Erfolg der Bundesrepublik Deutschland im Kleinen und Großen mitgeschrieben haben, wird nicht Teil der formellen und informellen Netzwerke und so wirkungslos bleiben.

Meine These: Ein Digitalministerium wird nach seiner Einrichtung sich mit diversen Abteilungen und Referaten aus allen anderen Bundesministerien und den Ländern auseinandersetzen müssen. Den Bund-Länder-Gesprächskreisen und anderen institutionalisierten interministeriellen Austauschplattformen wird dann eben ein weiterer Stuhl dazu gestellt. Die digitale Transformation wird damit vermutlich nicht besser oder schneller gelingen.

Herausforderungen sind vielfältig, Lösungen sollten es auch sein.

Folgende Gedanken, die ich mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der Hamburgischen Bürgerschaft diskutiere, können erfolgsversprechender sein:

  1. Bevor ein Ministerium aufgebaut wird, lohnt es sich eher nach der Bundestagswahl 2017, eine/r Staatsministers/in im Bundeskanzleramt zu ernennen, die/der erste Tests startet und den Boden für ein Digitalministerium bereitet.
  2. Ein Ministerium für Digitale Transformation wird nach der Bundestagswahl 2021 eingerichtet. Die/Der Minister/in wird Projekte und Ergebnisse liefern müssen, die die Koalitionspartner vereinbaren. An diesem Erfolg hängt ihre/seine weitere Karriere. Daher wird diese/r Minister/in alles daransetzen, im Kabinett, Parlament und Öffentlichkeit so viel Druck auszuüben, dass Ergebnisse produziert werden.
  3. Alle Ministerien stellen sicher, dass min. 3% des Personals in allen Abteilungen und Hierarchieebenen aus Mitgliedern der kreativen Klasse besteht, die nachgewiesenermaßen Erfahrungen im politischen und behördlichen Umfeld sammelten. Dienstherr dieser ministeriellen Digitaleinheiten ist aber das Ministeriumfür Digitale Transformation. So wird es möglich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der anderen Ministerien in Zusammenarbeit mit der kreativen Klasse mit der humanen Transformation beginnen können. Dass der Dienstherr laufend über Vorhaben in anderen Ministerien im Blick bleibt, ermöglicht es ihr/ihm, unterstützend aktiv zu werden.
  4. Unter der konzeptionellen Unterstützung des Ministeriums für Digitale Transformation schafft jedes Bundesministerium einen Ort, in dem hierarchie- und ressortübergreifend Mitarbeiter für einige Wochen sich einem bestimmten Thema (bspw. einem Gesetzentwurf zum autonomen Fahren) arbeiten können. Zu den Teilnehmern gehören nicht nur Referenten und Abteilungsleiter sondern auch Staatsräte, Ministerialdirigenten und Ministerialräte. Und selbstverständlich nehmen Vertreter der Länder daran teil, wenn ihre Interessen berührt werden.
  5. Das Ministerium für Digitale Transformation stellt durch regelmäßig inspirierende Netzwerk-, Fortbildungs- und Fachveranstaltungen für alle Mitarbeiter aller Häuser und nachgeordneten Behörden sicher, dass hinreichend viel Austausch und
    Kommunikation stattfindet, um neue Erkenntnisse und Ideen schneller in alle Ministerien diffundieren zu lassen. Es wird Zeit, dass die Erkenntnisse aus der Arbeitspsychologie und Organisationsforschung Einzug in den Alltag der Bundesministerien bekommt. Die Kolleginnen und Kollegen, die dort heute dienen, haben es redlich verdient, bessere Arbeitsbedingungen vorzufinden.
  6. Das Ministerium für Digitale Transformation unterstützt Bemühungen in den Bundesländern und stimmt mit ihnen Eckpunkte für eine digitale Föderalismusreform ab, damit sich alle Beteiligten an einer mittel- und langfristige Perspektive orientieren
    können.
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AUTHOR: Khalil Bawar

Geboren 1984 in Afghanistan, aufgewachsen in Berlin und Hamburg entwickelte Khalil Bawar früh Leidenschaft für die Themen Innovation, Gesellschaft und Politik. Der ausgebildete Lehrer arbeitete neben dem Studium bei Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit 2012 ist Khalil Bawar als Innovationsberater für diverse Unternehmen und Einrichtungen tätig. Er lebt in Hamburg und im schweizerischen Bern und organsiert seit 2016 Innovationslabore für NavigationLab im D-A-CH Raum. Ende 2016
unterstütze er für drei Monate aktiv den Wahlkampf von Hillary Clinton vor Ort im Battleground State Ohio.

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