E-Voting – Ausgabe Juni 2017

Fast immer, wenn ich mit Nicht-Experten über E-Government spreche, fällt das Stichwort E-Voting. Im Gespräch mit Experten, betonen diese aber häufig, dass E-Voting keinen wirklichen Nutzen bringe. Und ich gebe zu, ich habe diese Meinung als Experte auch schon vertreten. Festzustellen ist also: Volk und Establishment haben offensichtlich sehr unterschiedliche Meinungen zum Thema.

Wäre ich ein Vertreter des Volks, würde ich jetzt eventuell die Frage nach dem Nutzen all dieser E-Government Dienste stellen, an denen Experten teilweise seit 15 Jahren basteln und die irgendwann in mittelferner Zukunft grösseren Teilen der Schweizer Bevölkerung zur Verfügung stehen werden. Aber ich vertrete hier, wenn überhaupt jemanden, dann die Forschenden. Für uns ist E-Voting primär eine mathematisch-technische Herausforderung und sekundär mit unterschiedlichsten Themen aus den Rechts- und Politikwissenschaften sowie der Ethnologie verbunden.

Die Herausforderungen
Mathematisch-technisch lautet die Forschungsfrage: Kann man E-Voting ziemlich sicher realisieren? Wobei „ziemlich“ im Sinne von „der Bedeutung des Wählens geziemend“ zu verstehen und präzise zu definieren ist. Die exakte Definition ist im Kontext der Rechtsinformatik zu diskutieren und basierend auf politikwissenschaftlichen Grundlagen zu finden. Dabei wird die Antwort aber je nach Land unterschiedlich ausfallen. Erstens, weil die Staatsgrundlagen jeweils andere sind und zweitens die Wirklichkeit des demokratischen Wählens jeweils eine andere ist.

In manchen Mitgliedsstaaten der EU erscheinen die aktuell gültigen, mathematisch formulierten, Anforderungen für den breiten Einsatz von E-Voting in der Schweiz bizarr hoch, weil diese Staaten mit ganz anderen Problemen konfrontiert sind. Beispielsweise mit dem mirakulösen Bevölkerungswachstum in manchen Wahlbezirken direkt vor den Wahlen. Auch ist der praktische Nutzen für die Gruppe der Hauptprofiteure, nämlich der im Ausland lebenden Wahlberechtigten, in manchen Ländern nicht so politisch neutral wie im Fall der Schweiz. Dafür wird in der Schweiz durch das digitale Wählen von einem beliebigen Ort aus die Fairness der Wahlen nicht in Frage gestellt. E-Voting ist also immer sowohl im institutionellen als auch im kulturellen Kontext zu betrachten.

E-Voting als Symbol, respektive Indikator
Dieser institutionell-kulturelle Kontext ist auch für die Schweiz bedeutend. Die E-Voting-Bereitschaft ist ein Symbol für die Fähigkeit des Staats, sich digital zu transformieren. Erklärungen zu intrinsischen Staatsdefiziten, wie beispielsweise jene, dass der Schweizer Staat nicht fähig sei, mit dem technologischen Wandel mitzuhalten und deshalb die Ausgabe von international anerkannten elektronischen Identitäten der Privatwirtschaft überlassen müsse, stellen das e-Voting geradezu ins Scheinwerferlicht. Nicht wenige denken darüber nach, auch das Wählen zu entstaatlichen und die Kontrolle darüber einer Blockchain-Community zu überantworten. Man wird dementsprechend genau schauen, wie schnell der Staat mit seinem E-Voting vorwärts kommt oder ob auch hier gilt: Der Staat kann es nicht.

Die grosse Zahl der Nicht-E-Government-Experten hat deshalb recht, wenn sie E-Voting als eines der bedeutendsten E-Government-Themen ansieht. Es geht mindestens symbolisch um die Zukunftsfähigkeit des Schweizer Staatswesens. Es gibt aber keinen Grund zu überhasteten Schnellschüssen, ganz im Gegenteil: Es ist dringlich, eine ziemlich sichere E-Voting Lösung zu entwickeln, die das Vertrauen in die Institutionen stärkt.

Nachtrag
Ich erinnere mich noch an einen eGov Lunch, bei dem mir auf meine Nachfrage als Moderator erklärt wurde, dass a.) die Vielfalt der Wahlzettelpapiere in der Schweiz eine hohe demokratische Bedeutung habe und b.) man es schon 1848 sehr streng mit dem korrekten Wählen gehalten habe. Und zwar vom führenden Experten für Wählen in der Schweiz. Dieses Erlebnis steht für mich beispielhaft dafür, wie gross die Verwirrung um die grosse Sache „Demokratie“ mittlerweile ist.

Darum formuliere ich es hier hoffentlich unmissverständlich: Selbstverständlich meine ich mit E-Voting im Kontext Schweiz ein medienbruchfreies E-Voting, keinen analog-digitalen Zwitter.

Herzlichst, Ihr Reinhard Riedl

Zur Ausgabe E-Voting

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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