Open-Government-Data erleichtert politische Teilhabe
Der Populismus ist nicht nur in Europa auf dem Vormarsch und lässt bei vielen Sorgen um die Demokratie aufkommen. Doch gerade die Erfolge der Populisten bringen auch eine Gegenbewegung hervor, die sich stark macht für Grundrechte und die Werte der Demokratie. Was genau braucht eine moderne Demokratie? Dieser Frage geht Dr. Günther Schefbeck, Leiter der Stabsstelle „Parlamentarismusforschung“ der Parlamentsdirektion Wien in seinem Beitrag nach.
Was sind demokratische Werte? Es stehen sich zwei grosse Vorstellungen gegenüber. Auf der einen Seite gibt es das Konzept der „Grundrechtsdemokratie“. Dieses sucht einen ethischen Grundkonsens, bei dem sich das Konzept der Menschenwürde mit Verfahrensweisen verbindet, die den staatlichen Willen im Einzelnen bilden, ohne dabei die ethischen Grenzen zu überschreiten.
Anderseits verortet das Konzept der „Verfahrensdemokratie“ die Demokratie allein in den Verfahrensregeln. Ausgehend von der auf der Erkenntnistheorie begründeten Skepsis, dass das absolut Gute oder Richtige nicht immer zweifelsfrei erkennbar ist, werden die Entscheidungen des massgeblichen staatlichen Willens in demokratischen Verfahren gebildet. „Demokratie schätzt den politischen Willen Jedermanns gleich ein“, sagt der Staatsrechtler Hans Kelsen, und: „Darum ist der Relativismus die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraussetzt.“
Der in dieser Gegenüberstellung grundgelegte Diskurs kann an dieser Stelle nicht geführt werden. Es muss genügen, den weiteren Überlegungen den engeren Begriff der Verfahrensdemokratie zugrunde zu legen und daraus abzuleiten, dass als demokratischer Wert zu werten ist, was funktional der demokratischen Bildung des staatlichen Willens dient. Dazu zählen evident alle Regeln, die sicherstellen, dass der politische Wille jedes und jeder Einzelnen, soweit er politisch berechtigt ist, mit gleichem Gewicht in die staatliche Willensbildung eingeht. Daher die zentrale Funktion des Wahlrechts und des Verfahrensrechts insbesondere in der Gesetzgebung für die Demokratie. Sind Fragen des Wahlrechts auch weiterhin im Fokus öffentlicher Debatten über Demokratie und Demokratiereform, so ist doch in den vergangenen Jahren ein weiteres Konzept in den Vordergrund solcher Debatten getreten: das Konzept der „Transparenz“.
Transparenz in der Demokratie
Was ist Transparenz? Nach dem Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter dient sie „funktional der demokratienotwendigen Interdependenz der (relativ) autonomen Bereiche politischer Kommunikation“. Zu solchen Bereichen zählen das parlamentarische Plenum ebenso wie der viel berufene Stammtisch, die Parteiversammlung ebenso wie die Social-Media-Plattformen. Hier wie dort wird über Fragen der staatlichen Willensbildung diskutiert. Sollen diese Diskurse nicht substantiell divergieren, bedürfen sie einer zumindest minimalen gemeinsamen Informationsgrundlage, einer elementaren Schnittmenge an Wissen über politisch aufgegebene Probleme, zu diskutierende Lösungsansätze und nicht zuletzt den jeweils aktuellen Stand des Verfahrens, in welchem diese Ansätze ausgemittelt werden.
Fehlt diese gemeinsame Wissensgrundlage, droht Desintegration des politischen Systems, zumindest mittel- und langfristig: Fehlendes Wissen über die Realisierung politischer Lösungen verursacht, als das noch geringste Übel, Redundanz im politischen Diskurs. Fehlendes Wissen über Entscheidungsgrundlagen und Argumente verursacht Entfremdung, vermindert Akzeptanz politischer Entscheide. Solche Akzeptanz ist aber ihrerseits die Voraussetzung für die Effektivität dieser Entscheide und damit für die Leistungsfähigkeit des politischen Systems selbst.
Wissen über Argumente muss, schon angesichts des in der Demokratie nicht minder geforderten Wissens über die jeweils eigene Interessenlage, nicht zur Akzeptanz dieser Argumente führen. Aus diesem Grund ist ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger als das Wissen über die ausgetauschten materiellen Argumente, das Wissen über das eingehaltene formale Verfahren. Demokratie als Verfahrensmodell basiert primär auf der Akzeptanz von Verfahren, also im Sinne des Systemtheoretikers Niklas Luhmann auf „Legitimation durch Verfahren“: Das materielle Ergebnis eines den demokratischen Verfahrensregeln entsprechend zustande gekommenen staatlichen Willensbildungsprozesses gilt dem Demokraten auch dann als legitim, wenn er diesem Ergebnis argumentativ nicht folgen kann.
Wichtigstes Transparenzgebot in der politischen Demokratie ist daher die Verfahrenstransparenz. Die Forderung, sie zu gewährleisten, gilt natürlich im Besonderen für das Verfahren der generell-abstrakten staatlichen Willensbildung, also der Gesetzgebung. Sie dringt aber immer weiter auch in andere Verfahrensebenen, in Ebenen der individuell-konkreten staatlichen Willensbildung ein: Während das gerichtliche Verfahren schon traditionell zumindest hinsichtlich der Hauptverhandlung öffentlich gewesen ist, sieht sich heute auch das Verwaltungsverfahren mit der Forderung nach vermehrter Transparenz konfrontiert.
Schweden als Transparenz-Pioniere
Nur wenige Staaten verfügen über eine weit zurückreichende Tradition der Transparenz im Verwaltungsverfahren: Das klassische Beispiel ist Schweden mit seinem auf das Jahr 1766 zurückgehenden „Öffentlichkeitsprinzip“, das – mit wenigen überwiegend sicherheitspolitisch motivierten Ausnahmen – alle Verwaltungsdokumente öffentlich zugänglich gemacht hat. Erst in jüngerer Vergangenheit ist der Widerstreit zwischen diesem administrativen Prinzip einerseits und dem individuellen Recht auf Datenschutz andererseits sichtbar geworden oder gemacht worden.
Während also das am konsequentesten verwirklichte Konzept der administrativen Transparenz in der Güterabwägung mit dem Datenschutzkonzept seine Einschränkungen erfahren hat, sind in den vergangenen Jahren in einer rasch zunehmenden Zahl von Staaten gesetzliche Grundlagen für den freien Zugang zu administrativen Informationen geschaffen worden, die als Typus üblicherweise als „Informationsfreiheitsgesetze“, in der Begrifflichkeit anknüpfend am 1966 erlassenen „Freedom of Information Act“ der USA, bezeichnet werden. In Deutschland und in der Schweiz beispielsweise ist jeweils 2006 ein Bundesgesetz in Kraft getreten, während in Österreich seit mittlerweile mehr als drei Jahren über ein solches Gesetz – bisher ergebnislos – diskutiert wird. Insgesamt haben mittlerweile über 110 Staaten Informationsfreiheitsgesetze erlassen.
Maschinenlesbarer Staat als Standard
Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben den politischen Diskurs über freien Zugang zu staatlichen Informationen natürlich allein schon durch praktische Vereinfachung der Zugangswege befeuert. Die „Open Government Data“-Bewegung, durch die Obama-Administration in den USA mit weltweiter Wirkung gefördert, hat den „maschinenlesbaren Staat“ zum Standard erklärt, den es zu erreichen gilt. Gerade um der potentiellen Gefahr, durch Bereitstellung einer Überfülle an Daten ihre Konsolidierung zu Wissen erst recht zu erschweren, begegnen zu können, ist die Mediatisierung der Datenflut durch Maschinen und damit die Forderung nach Bereitstellung staatlicher Daten in maschinenlesbarer Form essentiell geworden.
Offene staatliche Daten sind zu einem unentbehrlichen Rohstoff nicht nur für die Wirtschaft, die sie in der Entwicklung von Diensten weiterverarbeiten kann, sondern auch für die politische Demokratie geworden: Gleich ob sie als Bausteine zur Errichtung von Schutzwällen gegen „alternative Fakten“, die ohne Evidenzbasis im politischen Diskurs ausgeschieden werden können, oder zur Konstruktion eines Legitimationsrahmens für die staatliche Willensbildung verwendet werden, die durch sie vermittelte Transparenz muss als unverzichtbarer demokratischer Wert aufgefasst werden.
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