Open by default oder Open by demand ? – Teil III

Grundsätzliche Irrtümer und eine Lösung mit Augenmass

Eine Vorbemerkung zur Volkswirtschaftlichen Theorie als Wissenschaft
In dem im zweiten Teil erwähnten Schweizer Bericht werden mehr als 10 Studien behandelt, die mit verschiedenen Methoden versuchen, den volkswirtschaftlichen Nutzen zu schätzen, der mit der Öffnung von Verwaltungsdaten by default erzielt werden könnte. Sie alle beziehen sich auf volkswirtschaftliche Theorien. Das klingt wissenschaftlich, fast wie naturwissenschaftliche Nachweise. Man muss jedoch beachten, dass die Volkswirtschaftslehre eine Wissenschaft eigener Prägung ist. In meinem wirtschaftswissenschaftlichen Studium hat ein Professor diese Besonderheit in einem Witz pointiert dargestellt: Auf einer Insel befinden sich drei schiffsbrüchige Wissenschaftler, die schon mehrere Tage nichts zu essen und zu trinken haben. Da wird eine Konservendose angeschwemmt. Sie überlegen, wie sie sie öffnen könnten. Der Physiker sagt, man brauche ein spitzes Werkzeug. Der Chemiker empfiehlt nach einer Säure zu suchen. Und der Volkswirt sagt: „Nehmen wir an, die Dose sei offen!“.

Für Ökonomen ist es selbstverständlich, Aussagen auf hypothetischen Prämissen aufzubauen, die sie Aussenstehenden nicht immer verständlich machen. Dies gilt auch für die Studien, die sich auf offene Verwaltungsdaten als Wirtschaftsgüter beziehen.

Vier Irrtümer bei der Schätzung des Wertes offener Verwaltungsdaten

  1. Der Inhalt spielt keine Rolle – Daten sind homogene Güter
    In den vorliegenden Studien wird allgemein von Daten gesprochen, die als gleichwertig behandelt werden. Daher wird angenommen, dass auch die Erlöse aus der Nachnutzung gleich sind. Das ist jedoch offensichtlich nicht der Fall. Jeder kann nachvollziehen, dass die in vielen Studien näher betrachteten nationalen Geo- und Wetterdaten eher in Anwendungen nachgenutzt werden, die Umsätze generieren, als die von vielen Kommunen bereitgestellten Ergebnisse der Kommunalwahlen.
  2. Die Kosten spielen keine Rolle – Die Grenzkosten sind gleich Null
    Das häufig angeführte Argument der vernachlässigbaren Grenzkosten der digitalen Verbreitung ist nur zum Teil richtig, in den Schlussfolgerungen jedoch falsch. Grenzkosten sind die Stückkosten einer weiteren Einheit eines Gutes, hier also einer weiteren Kopie eines Datensatzes. Die Kosten eines weiteren Downloads sind tatsächlich nahe Null. Aber das ist nur ein Bruchteil der gesamten Kosten der Bereitstellung der Daten auf einem Portal, wie sie in dem Modell der Wertschöpfungskette im ersten Teil aufgeführt worden sind, in den meisten Studien aber gar nicht erwähnt werden. Daten werden nicht so heruntergeladen, wie sie für die verwaltungsinternen Zwecke vorliegen. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat für die Prozesse der Veröffentlichung ein dreijähriges Projekt mit einem Volumen von mehr als 5 Mio. Euro investiert (Bürgerschaft 2013, S.6).
  3. Die Wertschöpfung kommt den Bereitstellern zugute
    Eine Kosten-Nutzen-Rechnung motiviert datenhaltende Stellen nur, wenn ihnen die in Aussicht gestellten Erlöse aus der Nachnutzung auch zufließen. Die erwähnte Schweizer Studie stellt schon auf der Bundesebene eine Asymmetrie fest. Während einzelnen Behörden bei einem Gebührenverzicht Einnahmen im Haushalt fehlen, fließen die aus Umsätzen der Nachnutzung resultierenden zusätzlichen Steuereinahmen in den Bundeshaushalt und müssten dort wieder den datenhaltenden Stellen durch eine Erhöhung ihres Budgets zugewiesen werden. Ob dies geschieht ist fraglich. Für die Öffnung von Daten der Kommunen gibt es dieselbe Asymmetrie ohne zu erwartenden Ausgleich. Die Kosten der Öffnung fallen bei ihnen an, gestiegene Einnahmen aus der Umsatz- und Einkommensteuer jedoch auf der Bundesebene, ohne dass diese ursächlich der Öffnung von Daten zugrechnet werden können.
  4. Die Art der Bereitstellung spielt keine Rolle
    Implizit wird unterstellt, dass alle Daten sofort nach ihrer Erstellung auch veröffentlicht werden. Angesichts der großen Unterschiede bei den Schnittstellen-Kosten und der zu erwartenden Nachfrage ist eine Verpflichtung zu einer generellen anlasslosen Bereitstellung wegen der damit verbundenen hohen Kosten betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. Aber die Verwaltung soll nicht selbst entscheiden, welche Daten sie schnell, welche später und welche sie gar nicht öffnet. Es ist verwunderlich, dass die Ökonomen nicht die sonst stets präferierte Lösung prüfen, dass der Markt die Ressourcenallokation steuert.

Open by demand in Bremen
Die Freie Hansestadt Bremen hat bei der Novellierung ihres Informationsfreiheitsgesetzes 2015 eine Lösung gefunden, die man „Open Data by Demand“ nennen kann. Da es um die Bereitstellung für Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft geht, sollen diese entscheiden, welche Daten sie in welcher Form begehren. Nach §11 sind alle Behörden verpflichtet, alle Informationen eines umfangreichen Katalogs, die nicht explizit einer Beschränkung unterliegen (insbes. Datenschutz, Betriebsgeheimnisse, Urheberschutz) digital über ein zentrales Informationsregister bereitzustellen. Dabei handelt es sich überwiegend um PDF-Dokumente, also nicht um offene und weiter verarbeitbare Formate. Nach § 1 hat jedoch jedermann gleichzeitig das Recht, auf Antrag die Informationen in maschinenlesbaren und weiter verarbeitbaren Formaten zu erhalten und frei nutzen zu dürfen. Dies gilt auch für Daten aus Datenbanken.

Damit fällt der im Wertschöpfungsmodell angesprochene rechtliche und technische Aufwand nur noch für Daten an, für die es eine Nachfrage gibt, und nicht für sogenannte Karteileichen. Der Unterschied bei den Kosten ist enorm. Eine Schnittstelle zu einer internen Datenbank kann zwischen 2.000 und 100.000 Euro kosten, ein einmaliger Datenbankabzug hingegen nur einen dreistelligen Betrag. Sollte ein Datensatz häufiger nachgefragt werden, ist dies ein hinreichender Grund für die Schaffung einer permanenten dynamischen Schnittstelle.

Open Government soll bürgerorientiert sein. Diese Lösung ist bürgerorientiert. Wer nachfragt bekommt die Daten ohne Beschränkung der Nachnutzung. Welche Daten man nachfragen kann, ergibt sich aus den im Portal enthaltenen zurzeit rund 56.000 Dokumenten. Darüber hinaus kann man mit einem Formular auf dem Transparenzportal Daten anfragen. Diese Anfragen werden mit einem Ampelsystem veröffentlicht und verfolgt.

Die zitierte Schweizer Studie kommt am Ende zu der Erkenntnis, dass letztlich über die OGD Strategie eine politische Entscheidung getroffen werden muss. „Open by demand“ ist eine politische Entscheidung mit Augenmaß, für die es keiner fragwürdigen Schätzungen bedarf.


Quellenhinweis

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (2013) Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 13. Juni 2012 „Erlass eines Hamburgischen Transparenzgesetzes“. Drucksache 20/4466


Teil I: Über neue Goldmacher und eine komplexe Wertschöpfungskette
Teil IIEine Schätzung für die Schweiz ist nur scheinbar besser

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AUTHOR: Herbert Kubicek

Herbert Kubicek ist pensionierter Hochschullehrer für Angewandte Informatik an der Universität Bremen und Senior Researcher am Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib)

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