Open by default oder Open by demand ? – Teil II

Eine Schätzung für die Schweiz ist nur scheinbar besser

Im ersten Teil wurde eine von der Technologiestiftung Berlin vorgelegte Schätzung des volkswirtschaftlichen Nutzens von OGD für den Stadtstaat Berlin wegen absurder Annahmen kritisiert. Nun wird eine Studie betrachtet, die die wirtschaftlichen Auswirkungen von OGD für die Schweiz auf Bundesebene schätzt. Dieser Bericht im Auftrag des Schweizer Bundesarchivs soll in erster Linie klären, ob ein Verzicht auf bisher erhobene Gebühren über höhere Steuereinnahmen kompensiert werden kann, gleichzeitig aber auch die Auswirkungen einer generellen offenen Bereitstellung („Open by default“) abschätzen. Die Autorin kommt letztlich zu dem Ergebnis, dass dadurch auf Bundesebene ein jährlicher Nutzen zwischen 44,2 und 61,6 Mio. CHF entstehe und dass bei geschätzten Kosten von 41,3 Mio. CHF ein Nettonutzen zwischen 2,9 und 20,3 Mio. CHF pro Jahr zu erwarten sei (Bürgi-Schmelz 2014, S. 98).

Auf den ersten Blick erscheint diese Studie vertrauenswürdiger als die der Technologiestiftung Berlin. Sie enthält einen umfassenderen und durchaus kritischen Überblick über eine ganze Reihe Studien mit volkswirtschaftlichen Schätzungen des Nutzens einer sektoralen oder umfassenden gebührenfreien Abgabe von Public Sector Information (PSI) oder Open Government Data (OGD). Von diesen unterscheidet sie sich auch dadurch, dass eine Umfrage bei 56 Schweizer Bundesbehörden durchgeführt wurde.

Diese Umfrage erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als eine Falle. Von den 56 angeschriebenen Behörden haben nur 28 geantwortet und nur 15 Ämter haben Angaben zu OGD-Aufwänden und 9 zu OGD-Erträgen gemacht. „Eine ganze Reihe“ hat angegeben, dass sie keine OGD haben – was ja im üblichen Verständnis von OGD nicht der Fall sein kann. Die Falle besteht darin, dass im weiteren Verlauf die Angaben dieser 9 bzw. 15 Ämter auf die gesamte Bundesverwaltung hochgerechnet werden, obwohl diese nicht repräsentativ sein können.

Die antwortenden Behörden geben bereits PSI gegen Gebühren ab. Sie erzielten 2012 mit „Standardangeboten“ einen Ertrag von 41 Mio. CHF (S. 83). Die Aufwände werden von den 15 antwortenden Ämtern für die Bereitstellung von Standardangeboten mit insgesamt 9,7 Mio. CHF angegeben. Falls der Bund „seine Daten in digitalen Standardangeboten grundsätzlich allgemeinen gratis zur Verfügung stellen würde“ (S. 86), werden die einmaligen Umstellungskosten von den antwortenden Behörden mit insgesamt 5,5 Mio. CHF beziffert, und die jährlichen Kosten mit ca. 5,2 Mio. CHF. Dieser Betrag liegt unter den aktuellen Bereitstellungskosten von 9,7 Mio. CHF (S. 86), was durchaus plausibel ist. Der einzige Schwachpunkt besteht darin, dass von diesen 15 antwortenden Ämter nicht valide auf die gesamte Bundesverwaltung geschlossen werden kann.

Die Autorin räumt ein, dass es kaum möglich ist, ein zuverlässiges Modell für den wirtschaftlichen Nutzen von PSI zu entwickeln. Daher bleiben “nur eine relativ rudimentäre Anlehnung an die Resultate anderer Studien oder stark vereinfachte Hochrechnungen“ (S. 90). Dies tut sie mit drei verschiedenen Schätzungen.

Aus drei mal “mangelhaft“ wird auch nicht „gut“

Als ersten Ansatz werden die von drei Studien vorgenommenen Schätzungen des PSI Wertes für die gesamte EU im Verhältnis zur Höhe des Bruttoinlandproduktes auf die Schweiz heruntergerechnet. Die Schätzungen für die EU schwanken zwischen 32 und 168 Milliarden CHF, für die Schweiz wären das analog 1,2 bis 6,5 Milliarden CHF (S. 92). Es wird nicht näher untersucht, wie es bei den Ausgangsstudien zu derart großen Unterschieden gekommen ist.

Als zweite Methode werden die aus der Umfrage gewonnenen Ertragsangaben in Höhe von 41 Mio. CHF auf die Gebühreneinnahmen des Bundes durch OGD hochgerechnet. Dazu wird der Anteil der Gebühreneinnahmen an den Gesamteinnahmen des Staates ermittelt und die OGD Einnahmen aus der Stichprobe werden mit diesem Faktor multipliziert. Dies führt zu fiktiven OGD-Gebühreneinnahmen von 125 Mio. CHF. Die zugrundeliegende Annahme, dass die Ämter, die nicht an der Umfrage teilgenommen haben und bisher keine Daten gegen Gebühren abgeben, dies in derselben Höhe tun könnten wie die Ämter für Geo- und Wetterdaten darf bezweifelt werden.

Um von den geschätzten Erträgen aus Gebühren zu dem volkswirtschaftlichen Nutzen zu gelangen, werden Multiplikatoren eingeführt. Diese werden für Statistikdaten auf 6,9 und für Geodaten auf 13,5 festgelegt und „behelfsmäßig“ als Unter- und Obergrenze der Schätzung der Gesamteinnahmen aus OGD verwendet. Danach liegt der geschätzte OGD-Nutzen zwischen 0,86 und 1,68 Milliarden CHF. Angesichts dieser Größenordnung wird die aus dem ersten Ansatz ermittelte obere Grenze von 168 Milliarden CHF als „zu optimistisch“ bewertet und eine mittlere Schätzung von 1,2 Milliarden CHF getroffen (S. 94). Daraus wird auch eine Schätzung zusätzlicher Beschäftigung abgeleitet. Nach dem bestehenden Verhältnis von Wertschöpfung und Beschäftigung im IKT-Sektor würden die geschätzten Umsätze zu einer zusätzlichen Beschäftigung von 5.200 bis 7.200 Personen führen (S. 94f.).

In einer dritten Berechnung wird untersucht, ob die positiven volkswirtschaftlichen Auswirkungen beim Bund zumindest budgetneutral ankommen. Den in der Umfrage ermittelten Erträgen von 41 Mio. CHF werden die einmaligen Umstellungskosten und jährlichen Kosten gegenübergestellt. Danach amortisieren sich die Umstellungskosten in den ersten drei Jahren und ab dem vierten Jahr entstünde ein jährlicher „Effizienznutzen“ von 4,5 Mio. CHF (S. 97). Für die ersten drei Jahre ergeben sich zusätzliche Kosten von jeweils 0,3 Mio. CHF und ein Ertragsausfall durch den Gebührenverzicht in Höhe von 41,3 Mio. CHF.

Um festzustellen, ob dieser Verlust durch zusätzliche Steuereinnahmen zumindest kompensiert werden kann, werden für die geschätzte Wertschöpfung von 0,86 bis 1,2 Milliarden CHF die zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer geschätzt. Dazu wird angenommen, dass diese 8% von 55 % der Wertschöpfung betragen. Die 55 % werden angesetzt, weil die Schweizer Haushalte mehr als 50% für Konsum ausgeben. Was das mit der Besteuerung der Wertschöpfung durch OGD zu tun hat, wird nicht erklärt. Zusätzlich werden die Einnahmen aus der direkten Bundessteuer aufgrund der angenommenen zusätzlichen Beschäftigung im Umfang von 5.200 bis 7.200 Personen geschätzt. Bei durchschnittlichen Steuereinahmen von 1.200 CHF pro Person wären das 6,2 bis 8,6 Mio. CHF. Insgesamt ergibt sich daraus ein jährlicher Nutzen für den Bund zwischen 44,2 und 61,6 Mio. CHF. Abzüglich der geschätzten Kosten bleibt ein jährlicher Nettonutzen zwischen 2,9 und 20,3 Mio. CHF (S. 98).

So kommt die Autorin zu dem Fazit, „dass sich OGD für den Bund budgetneutral umsetzen lässt“ (S.100). Allerdings gilt dies nicht automatisch für die einzelnen Behörden, die auf Einnahmen verzichten. Daher müsse deren Budget entsprechend aufgestockt werden. Bei diesem Fazit ist keine Rede mehr von der „rudimentären Anlehnung an andere Studien“ und den „stark vereinfachten Hochrechnungen“. Und dennoch scheinen der Autorin diese Schwächen nicht ganz aus dem Sinn geraten zu sein. Denn sie formuliert: „Die Berechnungen haben gezeigt, dass es aus ökonomischer Sicht empfehlenswert ist, OGD einzuführen. Dennoch bleibt dies letztlich eine politische Entscheidung“ (S. 99). Das ist insofern richtig, als „aus ökonomischer Sicht“ immer heißt, „auf der Basis stark vereinfachender Annahmen“. Und die müsste die Politik prüfen. Dazu mehr im dritten und letzten Teil.


Quellenangabe
Bürgi-Schmelz, Adelheid (2014:) Wirtschaftliche Auswirkungen von Open Government Data. Verfasst im Auftrag des Bundesarchivs (https://www.egovernment.ch/index.php/download_file/force/347/3337/)


Teil I: Über neue Goldmacher und eine komplexe Wertschöpfungskette

Teil III: Grundsätzliche Irrtümer und eine Lösung mit Augenmass

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AUTHOR: Herbert Kubicek

Herbert Kubicek ist pensionierter Hochschullehrer für Angewandte Informatik an der Universität Bremen und Senior Researcher am Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib)

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