Identität und Privatsphäre Januar 2017

Das Internet verspricht die grosse Freiheit. Der Nutzen ist hoch. Der Preis dafür ist aber kein kleiner. Er besteht insbesondere aus Beschränkungen für die Herstellung von Vertrauenswürdigkeit. Sie muss in der Regel durch Kreditkarten und Bezahldienste gewährleistet werden, was erstens viel kostet und zweitens wenig Gewissheit in Bezug auf Identität und Eigenschaften des Gegenübers bietet.

Vielleicht erinnern sich Schweizer Leser und Leserinnen noch an den Versuch, einen digitalen Umzugsdienst zwischen Zürich und St. Gallen auf Basis von Kreditkartendaten zu etablieren. Während des grossen EU-Projekts, das dieses Vorhaben beabsichtigte, kam man drauf, dass das nicht funktioniert. Sämtliche Evaluatoren hatten übersehen, dass mit Kreditkarten keine vertrauenswürdigen Adressdaten verknüpft sind, die prominenten Projektbeteiligten ebenfalls. Ein Zeugnis des ganz normalen Wahnsinns rund um das Thema „IAM im E-Government“ (IAM steht dabei für Identity and Access Managenent). Dieser ganz normale Wahnsinn erinnert an ein Wienerlied von André Heller – oder auch nicht. Denn in Hellers Lied vom Gschupften Ferdl weiss der Biker zwar nicht, wohin er fährt, dafür ist er schneller dort. Im IAM hat man eher den Eindruck, dass man nirgendwo hin fährt, das dafür aber wirklich effizient.

Für diesen Effizienzwahnsinn gibt es gute und schlechte Gründe. Ein guter Grund ist: Komplexe Probleme brauchen einfache Lösungen. Die grosse Leistung von STORK 1 war, das Thema eID ganz eng auf die digitale Authentifikation zu fokussieren. Let’s clap for the Masterheads! Ein schlechter Grund ist: die gedankliche Reduktion des Problems macht die Lösung einfacher. Ein weiterer schlechter Grund ist: Die Fokussierung bei der Lösungsumsetzung auf Teilaspekte macht den Erfolg wahrscheinlicher. Sagen wir es einmal ganz brutal: die zwei genannten Ideologien entstammen der alten bürokratischen Logik aus der Zeit vor der Einführung der Leistungsverwaltung. Damals konnte man als Amt seine Erfolge erhöhen, indem man seine Aufgaben reduzierte. Heute wirkt das antik.
Vielleicht werden Sie einwenden, geschätzte Leserinnen und Leser, dass Fokussierung eigentlich unternehmerisches ist. Das stimmt auf der Ebene der Probleme, aber nicht auf der Ebene der Lösungen. Das BOS-Konzept (BOS = Blue Ocean Strategy) zeigt, dass man Fokussierung genau nicht mit einem Attribut gleichsetzen sollte, sondern viel eher mit einem aus Kundensicht interessanten Attributenmix. Sich auf das Produzieren einer Dienstleistung zu fokussieren, die nur in einem belebten Ökosystem vieler aufeinander bezogener Dienstleistungen grossen Nutzen stiften, das macht dann und nur dann Sinn, wenn es das Ökosystem gibt. Ein Schraubenproduzent muss keine Schraubenschlüssel produzieren und umgekehrt. Für IAM gilt das Analoge aber nicht.

Vielleicht werden Sie anderseits einwenden, geschätzte Leserinnen und Leser, dass liberales Denken einem dazu auffordert, alle neuen Staatsaufgaben abzulehnen. Auch dem widerspreche ich. Man bläht den Staat nur unnötig auf, wenn man darauf wartet, dass die Privatwirtschaft Probleme löst, deren Lösung erst sehr langfristig und möglicherweise nur für andere rentiert. Denn während des Wartens wird die Digitalisierung der Verwaltung blockiert und angesichts wachsender Anforderungen führt das zwangsläufig zu einem teureren Staat. Das ist ganz und gar nicht liberal. Lieber mehr Staat für weniger Steuergeld als weniger Staat für mehr Steuergeld, so sollte die liberale Devise in Zeiten der Digitalisierung heissen!

IAM ist geradezu ein Musterbeispiel, wie die Digitalisierung die Logik kehrt und die Rationalität von gestern zur irrationalen hilflosen Herumirrene von morgen wird. Lassen wir das nicht zu. Kümmern wir uns darum dass, der Staat die notwendige Infrastruktur an Vertrauensdiensten für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft – und von sich selber! – schafft!

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen viel Spass beim Lesen der Januarausgabe von SocietyByte, die dem Schwerpunkt „Identität und Privatsphäre“ gewidmet ist und sich um das zu schaffende Vertrauensdienste-Ökosystem dreht.

Herzlichst,
Ihr Reinhard Riedl

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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