Transformationales E-Government: Alles bleibt anders!
In diesem Beitrag wird E-Government aus ganzheitlicher Perspektive betrachtet und ein Programm für die digitale Transformation des Staats skizziert. Die Qualität des Fundaments und der Aufbau von Kompetenzen sind dafür kritische Erfolgsfaktoren.
Was ist E-Government? Die simple Antwort darauf ist noch immer dieselbe wie vor fünfzehn Jahren, sie lässt sich nur mit der heutigen Sprache eleganter formulieren: E-Government ist die digitale Transformation des Staats. Diese Transformation steht erst am Anfang. Sie wird primär die Art des professionellen Arbeitens im Staatsdienst verändern und sekundär die Formen der Teilhabe und der Legitimation. Die Transformation als Möglichkeit zu erkennen und praktisch zu nutzen, ist aber alles andere als einfach. Notwendig sind Abstraktionsvermögen, Kreativität, Kontextwissen, ästhetisch-sinnliches Vorstellungsvermögen und kulturelle Kompetenz. Notwendig ist auch ein gutes Fundament.
Strukturdiskussion – noch alle Fragen offen
Die digitale Transformation wird die Staatsstrukturen und darüber hinaus die philosophischen Grundlagen des Staats verändern. Das ist wenig umstritten, wurde aber noch nicht wirklich konsequent durchdacht und wenn, dann IT-basiert, umgesetzt. Nehmen wir die populäre These von der „Auflösung des Territorialitätsprinzips“: Sie impliziert nicht weniger als die Möglichkeit von Ordnung ohne Ortsbezug und widerspricht damit Carl Schmitts These vom Recht als Einheit von Ordnung und Ortung (1950). Damit wird aber auch das traditionelle Staatskonzept grundsätzlich in Frage gestellt. Dementsprechend verwundert es nicht, dass der fast zehn Jahre alte Diskurs noch immer wenig praktische Wirkung gezeigt hat. Ähnliches gilt für die Forderung nach der „Auflösung des Zuständigkeitsprinzips“: Die in Österreich praktizierte Front-Office-Lösung für Bezirksämter, die einen Bezug staatlicher Dienstleistungen wie z.B. eine Passausstellung unabhängig von Zuständigkeiten ermöglicht, zeigt, dass Informatikparadigmen oft viel wirksamer sind als Organisationsdiskurse.
Teamarbeitsdiskussion – gerade erst begonnen
Während man immerhin über Strukturveränderungen schon seit langem spricht, so hat die Diskussion über die neue Arbeitswelt der Verwaltung gerade erst begonnen. Die Stadt Wien setzt seit einiger Zeit auf die Jungen als Mitarbeitende (quasi die Generationen Y und Z) und das österreichische Finanzministerium schon etwas länger auf Wissenteilen. Und bei einem kürzlichen Besuch in Bremen war Arbeit 4.0 ein zentrales Zukunftsthema. Man sollte all diese Aktivitäten als Annäherung sehen an das eigentliche Kernthema, nämlich die Teamarbeit. Dem globalen Trend hin zu mehr Teamarbeit stehen gute Gründe gegen Teamarbeit in der Verwaltung und einige negative Erfahrungen damit entgegen. Diese Gegenargumente reichen nicht aus, um den Staat zur teamarbeitslosen Zone zu erklären, aber es wird einige Experimente und einige Forschung brauchen, um zu einfachen, praxistauglichen Konzepten für Teamarbeit im Staatswesen zu gelangen.
Drei Fundamente
Die oben jeweils nur kurz angeschnittenen Themen zeigen exemplarisch, wie gering unsere Vorstellung noch ist von der anstehenden digitalen Transformation des Staats. Diese sollte jedenfalls auf traditionellem E-Government aufbauen. Ein tiefes Wissen über Good Practices und Bad Practices ist ein notwendiges Fundament für transformatives E-Government – die Kenntnis von First Practices reicht nicht aus. Zu einem tiefen Wissen gehört sowohl eine multidisziplinäre Perspektive, die ökonomische, technische, rechtliche, ethnologische und ethische Sichten beinhaltet, als auch eine transdisziplinäre Perspektive, die diese Sichten kontextbezogen kreativ integriert. Wer die plusminus 14 E-Government Patterns nicht in- und auswendig kennt, der sollte deshalb diese zuerst intensiv studieren, bevor er über Transformationen nachdenkt.
Die digitale Transformation des Staats sollte aber auch die stattfindenden digitalen Transformationen von Gesellschaft und Wirtschaft kennen und die Erfahrung damit und das Wissen darüber nutzen. Es macht wenig Sinn über eine neue Organisation des Staats nachzudenken, wenn man die aktuellen Trends im Nichtstaatlichen nicht kennt und versteht. Denn anders als beispielsweise ein Unternehmen sollte der Staat dauerhaft existieren und Freiheit, Sicherheit und Vertrauen schaffen. Das schliesst unbedarfte Grossexperimente aus (auch wenn es keineswegs gegen lokale Experimente und Pilotprojekte spricht).
Sind diese beiden Fundamente vorhanden, so kann man philosophisch darüber nachdenken, was der ideale Staat der Zukunft sein könnte und sollte. Kann und muss! Denn ohne philosophische Perspektive wird die konzeptionelle Entwicklung der digitalen Transformation des Staats Stückwerk bleiben. Kein neuer Staat ohne neues Staatsbild und kein neues Staatsbild ohne eine Integration von Menschenbild und technisch-organisatorischen Handlungsoptionen. Gerade weil es eben nicht nur neue Chancen, sondern auch neue Risiken gibt – so dass traditionelle E-Government Konzepte nicht nur angestaubt sind, sondern sich auch als brandgefährlich erweisen könnten – braucht es auch eine neue Staatsphilosophie.
Worauf es ankommt
Die digitale Transformation des Staats braucht also ein dreifaches Fundament. Zusätzlich dazu sind viel Kontextwissen, Kreativität, Abstraktionsvermögen und ästhetisch-sinnliches Vorstellungsvermögen wichtige Erfolgsfaktoren.
In der heutigen Staatsorganisation sind viel Wissen und Knowhow materialisiert, das man unbedingt kennen sollte, wenn man nicht bei der digitalen Transformation schwer schädliche Nebenwirkungen riskieren will. Dieses Kontextwissen betrifft sowohl die Probleme als auch die Problemlösungen und der kulturelle Aspekt spielt dabei eine zentrale Rolle.
Für die Weiterentwicklung dieses Wissens und Knowhows braucht man Kreativität. Den Rahmen für diese Kreativität bilden Abstraktionen, die den Umgang mit der Komplexität des Staats vereinfachen. Komplementär zu abstrakten Perspektiven spielen aber auch ästhetisch-sinnliche Aspekte eine wichtige Rolle. Einerseits weil Staat Machen immer auch eine theatrale Aufführung beinhaltet. Anderseits weil die User Experience mit den neuen digitalen Werkzeugen das Verhalten so entscheidend steuern kann, dass sie die Weiterentwicklung des Staats mitbestimmt.
Alles bleibt anders
Es kommt also nicht auf Daten oder Prozesse an, sondern auf kulturelle Kompetenz, Kontextwissen, Abstraktionsvermögen, Kreativität und eine ästhetische Begabung an, wenn man die digitale Transformation des Staats effektiv realisieren will. Es gibt dafür aus den unterschiedlichsten Fremdbereichen erprobte Methoden, aber die E-Government Forschung hat sich diese noch nicht angeeignet und steht nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch ganz am Anfang. Ein Programm für transformatives E-Government muss zwingend die skizzierten Kompetenzen aufbauen, wenn es nicht grandios scheitern will – und es sollte dies möglichst tun, bevor es zu viel Schaden angerichtet hat.
Sicher wäre es einfacher, auf all das zu verzichten und beim konventionellen E-Government zu bleiben, das hier und da ein paar Dinge digitalisiert und automatisiert. Aber in einer Welt, in der die Digitalisierung Wirtschaft und Privatleben völlig umkrempelt gibt es keine Stabilität ohne Wandel -auch nicht für den Staat Es gibt aktuell viele Ideen, hoheitliche Aufgaben zu entstaatlichen und es gibt erste Ideen, Unternehmen ganz durch Algorithmen zu ersetzen. Darauf mit Transformationsverweigerung auf Seiten des Staats zu reagieren, wäre keine nachhaltige Strategie.
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