Enterprise Architecture im Bachelor Wirtschaftsinformatik

Im Herbstsemester 2015/16 wurde die Lernumgebung des Kurses für Enterprise Architecture im Bachelor der Berner Fachhochschule komplett umgestellt. Resultat ist ein Kurs, der den Studierenden in einer sehr realitätsnahen Simulation ermöglicht, Architekturarbeit persönlich zu erleben und zu gestalten, in diesem Jahr im Kontext der Fähigkeiten von Behörden.

Initialisierung
Wie viele Änderungen in Unternehmen startete die Vorbereitung des Herbstsemesters 2015/16 mit einer Ressourcenfrage: wie können wir die verschiedenen Anforderungen mit den vorhandenen Ressourcen abdecken? Und nicht zuletzt: wie lässt sich der Kurs zu Enterprise Architecture mindestens ebenso gut anbieten, ohne unter diesen Ressourcenproblemen zu leiden?

Bisheriger Kurs
In den vergangenen Jahren erarbeiteten sich die Studierenden im Präsenzunterricht in sieben mal vier Lektionen die Theorie, welche sehr nahe den beiden Büchern «Enterprise Architecture as Strategy» [1] und «Quasar Enterprise» [2] folgt. Die Theorie wurde durch die Studierenden in Zwei-Wochen-Etappen in einem persönlichen, semesterübergreifenden Fallbeispiel in sechs Etappen angewendet. Eine mündliche Prüfung in Form eines Gesprächs des Studierenden in der Rolle eines Beraters mit seinem Prüfenden in der Rolle eines Kunden mit einem spezifischen Architekturproblem beschloss das Semester.

Neuer Kurs
Das didaktische Konzept sieht als Abschluss vor, dass alle Studierenden in der Blockwoche im Januar in einem Gross-Workshop gemeinsam eine Architektur erarbeiten. Wenn wir sie zu Architektur-Arbeit befähigen wollen, müssen sie schliesslich in der Lage sein, in einem Team mit anderen Architekturartefakte zu erstellen. So stellt sich eigentlich die Herausforderung, die Studierenden durch das Semester sinnvoll auf diese Challenge vorzubereiten.

Im Grundsatz folgt der Kurs der Idee, dass die Studierenden zum selbstständigen Lernen befähigt werden sollen. Dies beinhaltet insbesondere auch, gute Bücher zu lesen und das Gelesene in die Praxis umsetzen zu können. Die Studenten wurden entsprechend aufgefordert, als Vorbereitung für die Workshop-Woche die beiden Bücher [1] [2] zu lesen und entlang den bisherigen sechs Etappen in einer Lerngruppe gemeinsam ein Fallbeispiel zu erarbeiten. So befähigt sollen sie in die gemeinsame Blockwoche starten.

Gemeinsame Erarbeitung einer Enterprise Architecture
Allen Kursteilnehmenden wurde eine Aufgabe gestellt, die es umfassend zu bearbeiten gilt: Die Erarbeitung der Geschäftsfähigkeiten der Behörden in der Schweiz über alle föderalen Ebenen hinweg, ausgehend von eCH-0122 – Architektur E-Government Schweiz [3], Abschnitt 5.3. Die 35 Studierenden wurden zufällig in sieben Architekturteams à fünf Personen eingeteilt. Jedem Team wurde, ausgehend von der Idee, dass sie das Architekturteam eines der Departemente des Bundes sind, die Kern-, sowie die Führungs- und unterstützenden Fähigkeiten zugeteilt (weisse Buchstaben in Abbildung 1 zeigen Gruppenzuweisung).

faehigkeiten-der-behoerden

Abbildung 1 Fähigkeiten der Behörden (nach [3])

Zu diesen Fähigkeiten sollten die Gruppen die Teilfähigkeiten und in diesen die Geschäftsobjekte und -prozesse identifizieren. Um arbeitsfähig zu werden, mussten die Studierendengruppen den Scope ihrer Aufgabe erfassen und untereinander diesen auf jeden Studierenden weiter aufteilen. Erstes Etappenziel war, mitte Woche alle identifizierten Elemente in ein Enterprise Architektur Werkzeug zu importieren und da erste toolbasierte Validierungsprüfungen zu machen. Die tabellarischen und grafischen Reports aus dem EA-Werkzeug lagen den Studierenden dann jeweils am nächsten Morgen vor. Ein weiterer Zwischenimport vor der Endversion wurde auf den Donnerstag festgelegt. Studierende konnten jederzeit zusätzliche Imports durchführen. Um ihnen bewusst zu machen, dass Architekturen iterativ entstehen, mussten sie aber immer klarmachen, für welchen Zeitpunkt (Mittwoch, Donnerstag oder Freitag) sie ihre Importe durchführen wollten.

Das erwartete Resultat Ende Woche war von jedem Studierenden ein eigenständiger Bericht zum mit der Gruppe gemeinsam abgesprochenen Scope begleitet mit einer Import-Datei für den Zeitpunkt «Freitag» für das Enterprise Architektur Werkzeug. Vom Umfang her umfasst jeder Bericht:

  • Management Summary
  • Einleitung
  • Enterprise Architektur (gem. [1])
  • Dokumentation der Geschäftsfähigkeiten
  • Dokumentation der Geschäftsobjekte
  • Dokumentation der Geschäftsprozesse
  • Dokumentation der Geschäftsfälle
  • Zusammenfassung und Ausblick
  • Lernreflexion
  • Anhang

Prozess der gemeinsamen Erarbeitung
Die Architektur wurde in einem iterativen Prozess erarbeitet. Die Studierenden mussten sich in ein ihnen unbekanntes Themenfeld eindenken. Zudem war auch das angewandte Metamodell [4] ihnen vollständig neu. Dies entspricht sehr eng der Situation, in welcher man als Berater in ein neues Unternehmen kommt.

Um 14:30 Uhr tauschten die Gruppen täglich innerhalb der Gruppe über ihren Stand und offene Fragen aus. Dies wurde um 15:30 Uhr in einem Kursmeeting mit einem Vertreter pro Gruppe konsolidiert. Offene Fragen wurden diskutiert, aber nicht entschieden. Am nächsten Morgen um 8:15 Uhr trafen sich die Gruppenvertreter wieder, um die offenen Fragen noch einmal zu diskutieren und die Beschlüsse zu fassen. Um eine gute gemeinsame Basis zu haben, wurde das Protokoll sofort erstellt und gleich noch im Meeting freigegeben. In Gruppenmeetings um 9:15 Uhr wurde in jeder Gruppe das weitere Vorgehen besprochen.

Die Beschlüsse bezogen sich auf Konkretisierungen des Auftrags (a), Aktualisierung des Scopes der Gruppen (versioniert), Interpretation der Metamodell-Vorgaben und Werkzeug-Sichten, Konventionen (b) sowie Gesamtgestaltungsfragen zum Zielmodell. Auch gewichtige Architekturentscheidungen konnten zeitnah gefällt werden.

Fazit und Ausblick
Die Studierenden haben die Fallbeispiele während dem Semester in etwa in der bisherigen Arbeitsqualität erstellt. Rundum überrascht waren wir von der realitätsnahen Arbeitsumgebung in der Blockwoche. Die Studierenden erlebten die Herausforderung der Arbeit an einem grossen Resultat in grossen Gruppen sehr hautnah. Diese Erfahrung lässt sich grundsätzlich nicht nur auf den Arbeitsalltag für Architekten transferieren, sondern ebenso in andere Anwendungsfelder der Informatik. Inhaltlich konnten alle Behördenfähigkeiten relevant vertieft werden, wobei vorallem in den Abhängigkeiten zwischen den Fähigkeiten noch einiges zu leisten wäre.

Aus der Erfahrung aus 2015/16 wird das selbstständige Lernen im Herbstemester 2016/17 durch drei monatliche Präsenzveranstaltungen unterstützt. Zudem wird die Blockwoche im Januar am Donnerstag ausgesetzt, weil die Studierenden an diesem Tag noch eine Semesterarbeit abgeben müssen. Ansonsten werden wir mit der Studierendengruppe auch Anfang 2017 wieder eine intensive Arbeitswoche verbringen. Das Thema der Arbeit wird bis Ende November definiert und sich wahrscheinlich auf eines unserer Projekte fokussieren, das Metamodell wird auf [1] [2] [4] basieren.


Literatur

  1. J. W. Ross, P. Weill, and D. C. Robertson, Enterprise Architecture as Strategy – Creating a Foundation for Business Execution. Boston, Massachusetts: Harvard Business School Press, 2006.
  2. G. Engels, A. Hess, B. Humm, O. Juwig, M. Lohmann, J.-P. Richter, M. Voss, and J. Willkomm, Quasar Enterprise – Anwendungslandschaften serviceorientiert gestalten, 1. Auflage. Heidelberg: dpunkt.verlag, 2008.
  3. W. Müller and H. Lindner, “eCH-0122 – Architektur E-Government Schweiz: Grundlagen,” Zürich, 2014.
  4. A. Spichiger and P. Noser, Fähigkeiten-basierte Unternehmensarchitektur, In Arbeit. Bern.

(a) im Auftrag jeweils mit Überarbeitungsmarkierungen geändert
(b) z.B. Kürzel der Geschäftsfähigkeiten in gelber Schrift in Abbildung 1

Creative Commons Licence

AUTHOR: Andreas Spichiger

Schwerpunktverantwortlicher E-Government, SocietyByte, BFH-Zentrum Digital Society.
Leiter E-Government-Institut, Departement Wirtschaft, Berner Fachhochschule

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