Auf dem Weg zum Smart Government: Gestaltung eines intelligent vernetzten Regierungs- und Verwaltungshandelns

Das Internet der Dinge und das Internet der Dienste bedeuten disruptive Veränderungen für Industrie, Gesellschaft, Staat und Verwaltung. Smarte Objekte und cyberphysische Systeme erfordern ein intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln. Der Beitrag zeigt hierzu ein erstes Leitbild sowie die für Smart Government zu bearbeitende Forschungsagenda auf.

Disruptive Veränderungen werden oft unterschätzt, insbesondere solange man weder die sich anbahnenden Veränderungen wahrnimmt noch eine existenzielle Gefahr für das bestehende System erwartet. Die große Herausforderung liegt darin, unter den zahlreichen Innovationen jene zu identifizieren, die als „Game Changer“ mit ihren disruptiven Wirkungen eine echte Herausforderung für die eigene Wertschöpfung, Geschäftsmodelle, die nachgelagerten Dienstleistungen und die Arbeitsorganisation bedeuten. Zugleich sollte angemessen auf sie reagiert werden.

Disruptionen durch Industrie 4.0
Die Begriffe „vierte industrielle Revolution“ und „Industrie 4.0“ sind mit Sorgfalt so gewählt worden. 2011 wurden sie in Deutschland eingeführt, um Wirtschaft und Industrie öffentlichkeitswirksam auf die durch das Internet der Dinge und das Internet der Dienste zu erwartenden Disruptionen hinzuweisen. Bereits seit 2006 fördert die deutsche Bundesregierung im Rahmen der Hightech-Initiative gezielt die Forschung in diesen Bereichen. Diese Aktivitäten mündeten rasch in Anwendungsszenarien für intelligent vernetzte Objekte in industriellen Herstellungs- und Wertschöpfungsprozessen.

Smarte Objekte und cyberphysische Systeme
Das Internet der Dinge besteht aus smarten, das heißt intelligent vernetzten realen Objekten. Das sind Dinge, die zusätzlich mit Sensoren, Aktoren und Funkchips ausgestattet werden. Mit ihrer erweiterten Funktionalität lassen sie sich rasch in IT-Systeme einbetten. Dadurch erhalten sie eine virtuelle Identität, mit der auch kommuniziert werden kann. Zugleich können sie über Apps und Dienste genutzt und sogar in komplexere, so genannte cyberphysische Systeme eingebettet werden. Systeme aus intelligent vernetzten realen und virtuellen Objekten werden so zu sich selbst steuernden Ökosystemen, die Menschen nicht nur bei Information und Analyse unterstützen, sondern auch Automation und Steuerung eigenständig übernehmen.

Diese neuen technischen Möglichkeiten führen zu einem Paradigmenwechsel vor dem Hintergrund von Industrie 4.0, der für disruptive und damit auch revolutionäre Veränderungen sorgen wird: Hochautomatisiert lassen sich auch individualisierte Produkte mit einer Losgröße Eins in smarten Fabriken fertigen. Massenindividualisierung wird so bei niedrigen Durchlaufzeiten ermöglicht. Intelligente Produkte unterstützen aktiv die Produktionsprozesse. Aufträge steuern sich zum Teil selbst durch dynamische Wertschöpfungsketten und -netzwerke.

Smart Government
Selbstverständlich wird sich auch der öffentliche Sektor mit der Frage beschäftigen müssen, welche Veränderungen durch das Internet der Dinge und das Internet der Dienste ausgelöst werden: Wie soll ein intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln (Smart Government) aussehen? Auch Politik und Verwaltung werden sich Veränderungen stellen müssen, wenn sich Objekte des Alltags mit Hilfe von ansprechbaren Prozessoren, Sensoren und Aktoren erweitern und neu gestalten lassen. Vor allem die flächendeckende Einführung interoperabler elektronischer Akten- und Vorgangsbearbeitungssysteme wird Behörden verändern. Diese werden ihre Organisation dann nicht mehr um papierbasierte Dokumente, Akten und Vorgänge ausrichten, sondern sich mit Aufbau- und Ablauforganisation um smarte Dokumente und smarte Bescheide neu aufstellen.

Leitbild für ein intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln
Zentrale Aufgaben der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung lassen sich künftig hochautomatisiert gestalten, ohne dabei menschliche Entscheidungsträger aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Dies ermöglicht eine stärkere Massenbearbeitung von Einzelanträgen, Rechnungen und Genehmigungsprozessen. Intelligente Vorgänge unterstützen aktiv die Vorgangsbearbeitungsprozesse. Das heißt Vorgänge steuern sich selbst durch Zuständigkeiten und dynamische Wertschöpfungsnetzwerke. Autonome, sich selbst organisierende Vorgangsbearbeitungssysteme mit Genehmigungsfiktion ersetzen die bewährte papierbasierte wie botenlastige Aktenhaltung. Portalbasierte einheitliche Ansprechpartner kümmern sich um das gesamte Anliegen der Bürger und Unternehmen, ohne dass diese administrative Kenntnisse aufweisen müssen. Proaktive Verwaltungsleistungen und intelligente Bescheide ergänzen das Leistungsportfolio. All diese neuartigen kooperativen Ansätze stärken die dynamische Selbstorganisation und können zur Auflösung von klassischen Zuständigkeits- und Fachbereichsgrenzen in Staat und Verwaltung führen.

Smart Government Forschungsagenda
Aus diesem Leitbild heraus stellt sich die Frage nach einer Forschungsagenda, mit der ein intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln rasch erschlossen und konkretisiert werden kann. Diese wird sich an den folgenden Fragestellungen orientieren müssen: Welche Ansätze smarter Objekte eignen sich für den Einsatz im öffentlichen Sektor? Welche neuartigen, vertrauenswürdigen und verlässlichen cyberphysischen Systeme (CPS) sind für den öffentlichen Sektor zu konzipieren, zu bauen, zu vernetzen, zu steuern, zu kontrollieren und zu warten? Wie kann dies realisiert werden? Welche vorhandenen smarten Objekte und cyberphysischen Systeme eignen sich bereits zur Aufgabenerfüllung in Staat und Verwaltung? Mit welchen Szenarien kann ein Verständnis von Smart Government in die Breite getragen werden? Wie ist eine IT-Architektur des Staates in Zeiten des Internets der Dinge und des Internets der Dienste zu gestalten? Welche überzeugenden Antworten gibt es auf die mit dem Internet der Dinge verbundenen juristischen und ethischen Fragestellungen? Mit Blick auf zahlreiche ungeklärte rechtliche Fragestellungen gilt es zudem den aktuellen Rechtsgestaltungsbedarf durch den Gesetzgeber zu bestimmen und mit in der Sache förderlichen Vorschlägen zu konkretisieren. Außerdem eröffnet sich für die empirische Sozialforschung ein neues breites Forschungsfeld. Für eine erfolgreiche Umsetzung eines intelligent vernetzten Regierungs- und Verwaltungshandelns sind außerdem Vorgehensmodelle, ein Kommunikationskonzept und neuartige Angebote für Aus- und Weiterbildung über ein intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln hilfreich.

Linkverzeichnis:
Smart Government: http://www.smartgovernment.de

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AUTHOR: Jörn von Lucke

Professor und Direktor vom The Open Government Institute (TOGI) an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen

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